Grausiges Spektakel: Wie Europas größte Fledermaus kleine Vögel im Flug jagt und frisst
Was ein dänisch-spanisches Forschungsteam über das Jagdverhalten der größten europäischen Fledermaus herausgefunden hat, ist nichts für schwache Nerven. Und es ist die Lösung für ein rund 25 Jahre altes Rätsel. Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin »Science« beschreiben, jagt und fängt der Riesenabendsegler (Nyctalus lasiopterus) kleine Vögel mehr als einen Kilometer über dem Boden und verspeist sie im Flug. Der Mahlzeit voraus gehen rasante Sturzflüge, minutenlange Verfolgungsjagden und ein erbitterter Überlebenskampf.
Jedes Jahr wandern Milliarden von Singvögeln zwischen ihren Brutgebieten und Überwinterungsgebieten hin und her. Viele Arten fliegen dabei sehr hoch und reisen insbesondere nachts, um bei Tageslicht jagenden Räubern wie etwa Falken auszuweichen. Wie sich nun zeigt, nutzen Fledermäuse das zu ihrem Vorteil aus. Mithilfe ihrer Echoortung finden sie sich auch bei völliger Dunkelheit hervorragend zurecht, spüren vorbeiziehende Vögel auf und greifen sie an. Im Gegensatz zu bestimmten Insekten können Vögel die Echoortungsrufe der Fledermäuse nicht hören. Sie erkennen die Gefahr deshalb erst im letzten Moment, sodass sie kaum eine Chance haben, der Attacke zu entkommen.
Die Forschenden haben sich für ihre Studie virtuell auf den Rücken der Fledermäuse gesetzt, indem sie diese mit winzigen Sendern, sogenannten Biologgern, ausgestattet haben. Diese Instrumente zeichnen Bewegungen, Beschleunigung, Flughöhe und Geräusche auf. Zusammen geben die Daten Aufschluss über die Jagdtechnik der Tiere. Ihre Auswertung zeigt, dass die Riesenabendsegler ihre Beute in steilen, rasanten Sturzflügen in Richtung Boden verfolgten, ähnlich wie Kampfflugzeuge im Luftkampf. In einer besonders eindeutigen Aufnahme zeichnete das Mikrofon 21 Notrufe eines Vogels (eines Rotkehlchens) auf, gefolgt von 23 Minuten Kaugeräuschen der Fledermaus.
Wildes Jagd- und Flugmanöver
Die Fachleute hatten zwar nur Flugdaten von zwei Fledermäusen gesammelt. In Kombination mit Röntgen- und DNA-Analysen von Singvogelflügeln, die in deren Jagdgebieten gefunden wurden, zeichnen sie jedoch ein klares Bild: Die Riesenabendsegler töten die Vögel, indem sie sie beißen. Anschließend reißen sie ihnen die Flügel ab – wahrscheinlich, um das Gewicht ihrer Beute und deren Luftwiderstand zu reduzieren. Die Forscher vermuten, dass die Fledermäuse dann die dünne Haut zwischen ihren Hinterbeinen wie einen Beutel nach vorne strecken, um den Vogel im Flug zu fressen.
»Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und fressen«Laura Stidsholt, Biologin
»Es ist faszinierend, dass Fledermäuse die Vögel nicht nur im Flug fangen, sondern auch töten und fressen können«, sagt Laura Stidsholt, Assistenzprofessorin am Institut für Biologie der dänischen Universität Aarhus. Sie ist eine der Hauptautorinnen der Studie und war zum Zeitpunkt der Datenerhebung Postdoc am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. »Ein solcher Vogel wiegt etwa halb so viel wie die Fledermaus selbst – das wäre so, als würde ich beim Joggen ein 35 Kilogramm schweres Tier fangen und fressen.«
Seit einigen Jahrzehnten ist bekannt, dass mindestens drei große Fledermausarten sich im Flug von kleinen Vögeln ernähren. Ein Großteil dieses Wissens geht auf den spanischen Fledermausforscher Carlos Ibáñez von der Biologischen Station Doñana im spanischen Sevilla zurück, der auch an dieser Studie beteiligt war. Vor fast 25 Jahren entdeckte Ibáñez Federn im Kot von Riesenabendseglern. Seither hat er immer mehr Beweise dafür gesammelt, dass auch andere Fledermausarten Singvögel fangen und fressen. Zum genauen Hergang gab es jedoch bislang keine gesicherten Erkenntnisse.
»Wir wussten, dass Riesenabendsegler Insekten im Flug fangen und fressen, also nahmen wir an, dass sie das auch mit Vögeln tun – aber wir mussten es beweisen«, sagt Carlos Ibáñez. Die Hypothese stieß wegen des hohen Gewichts der Beutetiere bei Kollegen zunächst auf Skepsis. Doch nun scheint sich die Vermutung bestätigt zu haben. Die Tonaufnahme enthält den Angaben der Forschenden zufolge minutenlange Notrufe des verfolgten Vogels, gefolgt von plötzlicher Stille und langen Kaugeräuschen.
Es gibt eher wenig Grund zur Sorge, dass Fledermäuse die Populationen von Singvögeln bedrohen könnte. Der Riesenabendsegler ist äußerst selten und in vielen Gebieten selbst vom Aussterben bedroht, da sein Lebensraum im Wald verschwindet. Vielmehr ist das Wissen um die Ökologie und das Jagdverhalten der Fledertiere wichtig, um die Art zu erhalten. So lassen sich bessere und wirksamere Schutzstrategien entwickeln.
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