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Festkörperphysik: Gravitonähnliche Teilchen zeigen sich in Quantenmaterial

Kühlt man Elektronen in einer Halbleiterschicht stark ab, treten seltsame Phänomene auf: In einem Experiment benahmen sich die Ladungsträger wie ein hypothetisches Teilchen der Quantengravitation.
Quantengravitation
Bringt man Elektronen in Extremsituationen, können sie ein seltsames Verhalten an den Tag legen.

Seit etwa 100 Jahren suchen Physiker nach einer Weltformel. Dafür müssen sie die zwei grundlegenden Naturgesetze, die unsere Welt im ganz Großen und ganz Kleinen beschreiben, miteinander vereinen: einerseits die Quantenphysik und andererseits die Theorie der Schwerkraft, die allgemeine Relativitätstheorie. Eine der verbreitetsten Methoden besteht im Versuch, eine Quantentheorie der Gravitation aufzustellen. Dafür gibt es viele verschiedene Ansätze, die sich stark voneinander unterscheiden – doch sie alle haben ein gemeinsames Element. Wie die übrigen drei Grundkräfte müsste auch die Schwerkraft ein eigenes Elementarteilchen besitzen, das so genannte Graviton. Ein solches konnte in der Natur bisher nicht nachgewiesen werden; dafür wären ungeheure Energiemengen nötig, weit mehr als Teilchenbeschleuniger erreichen. Aber nun ist es einem Team der Columbia University in New York gelungen, Elektronen in einem Halbleiter zu beobachten, die sich zumindest so verhalten wie ein Graviton.

In ihrem Experiment kühlten die Forschenden eine dünne Schicht des Halbleiters Galliumarsenid auf tausendstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt. Dann brachten sie das Material in ein starkes Magnetfeld. Normalerweise bewegen sich Elektronen in Festkörpern so schnell, dass sie sich gegenseitig kaum wahrnehmen. Durch die starke Kühlung werden die Teilchen aber abgebremst und nun stoßen sie sich wegen ihrer negativen Ladung stark ab. Das Magnetfeld beeinflusst ihre Bewegung zusätzlich, was zu erstaunlichen Phänomenen führt: Die Elektronen können sich durch die auf sie wirkenden Kräfte zusammenschließen und wie völlig andere Teilchen verhalten. Fachleute sprechen von »Quasiteilchen«, da es sich bei diesen Elektronenanregungen nicht um Elementarteilchen handelt, die in der Natur frei auftauchen.

Elektronentänze erzeugen Gravitonen

Der Physiker Aron Pinczuk, der 2022 verstorben ist, hatte bereits Ende der 1990er Jahre vorhergesagt, dass man auf diese Weise die Elektronen in Galliumarsenid dazu bringen könnte, wie hypothetische Gravitonen zu agieren. Es genügt aber nicht, ein solches Verhalten in einem Festkörper zu erzeugen. Man muss es auch nachweisen können. Dazu hatte Pinczuk mit seinem Team eine Methode ausgearbeitet, bei der das System mit einem Laser beschienen wird. Die Photonen werden an dem gekühlten Material gestreut und das Muster der abgelenkten Lichtteilchen gibt dann Aufschluss über die Zustände im Festkörper.

Selbst wenn es noch kein endgültiges Modell für eine Quantengravitation gibt, sind sich Physikerinnen und Physiker einig, dass eine solche Theorie Gravitonen enthält. Diese Elementarteilchen würden die Schwerkraft erzeugen, die wir wahrnehmen. Und auch über gewisse Eigenschaften der hypothetischen Teilchen herrscht Konsens. Das Graviton wäre demnach das einzige Elementarteilchen mit einem Spin von zwei. Der Spin ist ein quantenmechanisches Merkmal, das jedem Teilchen innewohnt. Bei Elektronen kann man ihn sich wie einen winzigen Magneten vorstellen, den sie mit sich tragen und der mit dem Nordpol entweder nach oben oder nach unten ausgerichtet ist. Gravitonen könnten hingegen fünf verschiedene Spinzustände innewohnen (-2, -1, 0, 1, 2) – mehr als jedes andere bisher beobachtete Elementarteilchen beherbergt.

»Unser Experiment stellt die erste experimentelle Bestätigung dieses Konzepts von Gravitonen dar«Lingjie Du, Physiker

In ihren Experimenten konnten die Forschenden beobachten, dass die Elektronen ein Quasiteilchen mit einem Spin von zwei bildeten. Zudem erfüllten die Teilchen weitere Eigenschaften, die für Graviton-Quasiteilchen vorhergesagt wurden: Sie wiesen beispielsweise die passenden Energielücken zwischen dem Grundzustand und den angeregten Zuständen auf. »Unser Experiment stellt die erste experimentelle Bestätigung dieses Konzepts von Gravitonen dar«, sagt der Physiker Lingjie Du von der chinesischen Univeristät Nanjing, einer der Autoren der aktuellen Arbeit.

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  • Quellen
Pinczuk, A. et al.: Evidence for chiral graviton modes in fractional quantum Hall liquids. Nature 628, 2024

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