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Riesenviren: Größtes Riesenvirus mit mysteriöser Zusatzausstattung

Die neuesten Rekord-Riesenviren haben Bauanleitungen für Lichtsinn-Proteine und allerlei weiteren vermeintlich überflüssigen Ballast im Genom. Noch weiß niemand warum.
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Forscher hatten die größten aller Viren bis Anfang dieses Jahrtausends noch völlig übersehen, lernen seit der ersten Entdeckung über Mimiviren und Co aber kaum aus: Die mit einem oft deutlich über 300 Kilobasenpaaren langen und damit sehr komplexen genetischen Informationspaket ausgestatteten Viren spielen eine lang unterschätzte Rolle in allen Ökosystemen. Einen weiteren Beleg liefert nun ein vielköpfiges Team von Wissenschaftlerinnen und Forschern um Alexandra Worden vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel: Sie beschreiben im Fachblatt »PNAS« mit dem Choanovirus ein im Ozean heimisches Virus häufiger mariner Einzeller, der in seinem rekordverdächtig umfangreichen Virengenom sehr spannende Proteinbauanleitungen codiert.

Das Choanovirus ist eines der seltenen bislang aus dem Ozean isolierten Riesenviren. Zwar vermuten Forscher eine enorme Bedeutung dieser Vertreter im marinen Ökosystem, es ist aber sehr schwer, sie tatsächlich nachzuweisen. Das Choanovirus spürten die Forscher nun mit Metagenomanalysen in Proben aus dem Nordostpazifik auf. Er vermehrt sich in metazoischen Einzellern, den Kragengeißeltieren, die sich von eingestrudelten Bakterien ernähren. Weitere Untersuchungen belegen, dass die Choanoviren die Viren mit dem bis dato längsten je entdeckten Genom sind: Es codiert 862 Proteine, von denen fast 450 keine homologe Entsprechung bei anderen Arten haben.

Andere Proteine des Riesenvirus kennen Forscher dagegen durchaus. Sie codieren etwa für Enzyme, die bei zellulären Verdauungsprozessen eine Rolle spielen – etwa Chitin abbauenden Proteinen, die man auch als Insekten infizierende Viren kennt. Zudem verfügt das Choanovirus über die Bauanleitungen für eine lichtabhängige Protonenpumpe, wie die Forscher überrascht feststellten: eine virale Variante eines Rhodopsins. Solche Enzyme spielen eine wichtige Rolle in der Fotosynthese und in Lichtsinneszellen, sie pumpen bei Beleuchtung Protonen über Zellmembranen. Womöglich transportieren die Riesenviren solche Enzymbauanleitungen – die für ihren eigenen Lebenszyklus sinnlos erscheinen – von Wirt zu Wirt und statten diesen dann mit Zusatzfunktionen aus. Die räuberischen Kragengeißeltierchen bekommen vielleicht Enzyme zum Abbau von ihnen sonst nicht zugänglichen Biomolekülen der Beutebakterien oder Anleitungen für den Bau von lichtabhängigen Systemen mit noch unbekannter Funktion.

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