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Biotechnologie: Grüne Wirkstofffabriken

Sie liefern uns nicht nur Sauerstoff und Nahrung: Pflanzen können auch gezielt Wirkstoffe für Medikamente herstellen - wenn Wissenschaftler sie dazu bringen.
Grüne Wirkstofffabriken
Dicht an dicht und nach Größe sortiert reihen sich Pflanzen mit großen, grünen Blättern auf den beweglichen Tischen aneinander. Regelmäßige Bewässerung und das Sonnenlicht von oben versorgen den kleinen Urwald, bei Bedarf gibt es auch künstliche Beleuchtung. Bei den Bewohnern des Gewächshauses in Aachen handelt es sich um Tabakpflanzen – und sie haben ein Geheimnis: Von außen nicht sichtbar, produzieren sie in ihren Blättern einen Antikörper gegen HIV. Eines Tages könnte dieser Wirkstoff in Gelen vor einer Infektion mit dem Virus schützen.

Ursprünglich produzieren Tabakpflanzen keine Antikörper gegen das HI-Virus, Wissenschaftler vom Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Aachen haben sie mit Hilfe von Gentechnik erst dazu gebracht. Dazu haben sie in die Pflanzen ein fremdes Gen – ein so genanntes Transgen – eingeschleust, welches für den Antikörper kodiert. Mit Hilfe dieser genetischen Bauanleitung geben sie vor, wie das gewünschte Protein aussehen soll. Die transgenen Pflanzen produzieren es in großen Mengen, und schließlich wird es aus den Blättern extrahiert. Auf diese Weise können Wissenschaftler schon verschiedene Proteine gewinnen, etwa Antikörper, Impfstoffe und Enzyme.

Das Prinzip ist nicht neu. Seit geraumer Zeit nutzen Forscher gezielt gentechnisch veränderte Organismen als Wirkstofffabriken. Schon 1982 kam das erste so hergestellte Medikament auf den Markt: menschliches Insulin aus transgenen Bakterien. Ein Vorteil solcher Produktionssysteme ist, dass sie relativ komplexe Moleküle synthetisieren können. Und so könnten neben Bakterien, Hefen und tierischen Zellkulturen nun auch Pflanzen als Produktionsstätten dienen. Mehrere "plant made pharmaceuticals" (PMP) befinden sich bereits in klinischen Studien, das erste PMP – allerdings aus Pflanzenzellkultur – steht kurz vor der Zulassung.

Das Prinzip Pflanze

Die Wissenschaftler vom Fraunhofer IME gehören zu den Pionieren auf diesem Gebiet: "Die Arbeiten reichen ununterbrochen bis in die 1980er Jahre zurück", erklärt Stephan Hellwig, Leiter der Abteilung für integrierte Produktplattformen. "Im Rahmen des EU-geförderten Pharma-Planta-Projekts konnten wir zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, einen Wirkstoff in entsprechenden Mengen in Pflanzen so herzustellen und aufzubereiten, dass er am Menschen als Medikament angewandt werden kann." Der HIV-Antikörper soll demnächst in einer ersten klinischen Studie getestet werden. "Ob aber nun genau dieser Wirkstoff mit genau diesem Produktionssystem einmal auf den Markt kommt, stand nicht im Vordergrund des Projekts. Es ging in erster Linie um das Prinzip", betont Hellwig.

Sicher und günstig

Dabei wird dieser Antikörper sogar schon von Hamsterzellen hergestellt. Warum also nun auch in Pflanzen? Hellwig sieht die Vorteile vor allem in der Sicherheit und den niedrigen Kosten. Pflanzen sind – anders als Bakterien oder Hefen – höhere Organismen und können sehr komplexe Proteine herstellen. Dies leisten zwar auch tierische Zellkulturen, allerdings sind diese wiederum zu sehr mit dem Menschen verwandt. So könnten Viren, die möglicherweise in solchen Kulturen vorhanden sind, auch für den Menschen gefährlich werden. "Das Risiko, das über pflanzliches Ausgangsmaterial für den Menschen schädliche Viren bis ins fertige Arzneimittel gelangen, ist hingegen deutlich geringer. Deswegen können auch die Aufreinigungsschritte, die sicherheitshalber zur Entfernung etwaiger Viren unternommen werden – etwa in Abhängigkeit von der Verabreichungsform – unter Umständen entfallen. Das macht den Prozess einfacher und preiswerter", so Hellwig.

Doch beim Blick auf den kleinen Urwald im Gewächshaus wird auch etwas anderes deutlich: Die Pflanzen brauchen im Prinzip nur Licht, Luft, Wasser und ein paar Salze zum Leben. Hellwig bringt es auf den Punkt: "Biomasse von Pflanzen lässt sich sehr billig herstellen!" In Bioreaktoren, wie sie bei Bakterien und Zellkulturen verwendet werden, sei der Aufwand erheblich größer. Noch seien allerdings die Expressionsraten, also die Menge an hergestelltem Protein, nicht so gut wie in tierischen Systemen, lenkt er ein. "Ein Kilo Pflanzen produziert noch nicht so viel Protein wie ein Liter tierische Zellkultur. Aber wir holen auf, und bald könnten Pflanzen als Produktionssystem nicht nur sicherer, sondern auch deutlich billiger sein!"

Tabakpflanzen mit Wirkstoff gegen HIV | Am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie in Aachen produzieren gentechnisch veränderte Tabakpflanzen einen Antikörper gegen HIV in ihren Blättern.
Darüber hinaus sprächen noch andere Punkte für Pflanzen als Wirkstofffabriken: So seien sie möglicherweise in der Lage, einige Moleküle zu produzieren, die andere Systeme nicht oder nur in geringen Mengen herstellen könnten. Auch sei ein "Scale-up", also eine Vergrößerung des Produktionsmaßstabs, relativ schnell möglich. Auf Grund der geringen nötigen Investitionen sei ein Anbau in Entwicklungsländern ebenfalls denkbar. Zudem gebe es immer noch den Traum der "essbaren Impfstoffe": Vielleicht könnte man eines Tages Impfstoff in essbaren Pflanzenbestandteilen herstellen.

Lösbare Schwierigkeiten

Hellwigs Tabakpflanzen sind jedoch nicht essbar, und der Antikörper muss von unerwünschten Pflanzenstoffen sorgsam abgetrennt werden. Doch nicht nur mit der Aufreinigung und der vorher erwähnten Effizienz müssen sich die Forscher auseinandersetzen. "Die Glykosylierung, eine spezielle Nachbearbeitung des Proteins in der Zelle, ist bei Pflanzen etwas anders als beim Menschen. Ob das später im Menschen ein Problem werden könnte, ist noch nicht abschließend geklärt", gibt Stephan Hellwig zu bedenken. "Das Pflanzensystem müsste also möglicherweise noch angepasst werden. Das ist ein bisschen Arbeit, aber es geht."

Die im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Pflanzen häufig diskutierte Biosicherheit sieht der Wissenschaftler gelassen: "Eine transgene Pflanze, die ein bestimmtes Protein herstellt, ist an sich nicht gefährlich." Da die Pflanzen allerdings große Mengen an Medikamenten enthielten, sei es wichtig, diese von der Umwelt und der Bevölkerung abzutrennen. Das könne zum Beispiel ein Gewächshaus leisten, denn es wäre problemlos möglich, ausreichende Mengen darin zu produzieren. "Auf so eine Abtrennung können wir nicht verzichten. Wir haben schon gesehen, dass es in der Industrie durchaus Probleme gab und beispielsweise Saatgüter vermischt wurden. Diesen Aspekt muss man ernst nehmen und bei Biopharmazeutika noch ernster!"

Individuelle Pflanzen für individuelle Patienten

Auch im Gewächshaus in Halle bei der Icon Genetics GmbH grünt es, auch hier stehen Tabakpflanzen, und auch hier stellen Wissenschaftler Wirkstoffe in Pflanzen her. Und doch ist hier einiges anders als beim Fraunhofer IME. Victor Klimyuk, Leiter der Entwicklung bei der Tochterfirma von Bayer Innovations, geht es weniger ums Prinzip, stattdessen möchte er auf jeden Fall Substanzen produzieren, die dann auch auf den freien Markt kommen. Seine Kollegen und er haben bereits ein System zur Wirkstoffproduktion in Pflanzen entwickelt, mit dem mittlerweile schon einige Firmen unterschiedliche Proteine herstellen.

Icon Genetics testet gerade die Sicherheit eines damit hergestellten Proteins in einer klinischen Studie der Phase I. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms, einer Krebserkrankung bestimmter weißer Blutkörperchen. Jeder Patient soll einen auf ihn zugeschnittenen Antikörper bekommen, der sein Immunsystem gezielt auf die Krebszellen lenkt. Dazu sind patientenspezifische Pflanzen nötig, die genau das jeweilige Protein herstellen.

Transient statt transgen

Die verwendete Methode weicht von der aus Aachen ab: Während Hellwig und seine Kollegen transgene Pflanzen verwendeten, schleusen die Mitarbeiter von Icon Genetics das Gen nur transient, vorübergehend, in die Pflanze ein. Es wird also nicht stabil in das Pflanzengenom integriert, sondern bleibt in der verwendeten Träger-DNA, in diesem Fall einem veränderten Virus. Die Maschinerie liest es dort ab und produziert das gewünschte Protein.

"Die Pflanzen sind bei Einbringen des fremden Gens bereits vollständig entwickelt und bieten ausreichend Biomasse", erklärt Klimyuk. "Das ist ein großer Vorteil. Im Gegensatz dazu sind transgene Pflanzen häufig durch das fremde Gen in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung beeinflusst."

Sorgfältige Aufreinigung | Die Abtrennung des Wirkstoffs von den anderen Pflanzenbestandteilen ist ein wichtiger Schritt in der Produktion von plant made pharmaceuticals. Hier filtrieren Mitarbeiter von Icon Genetics GmbH den Pflanzenbrei.
Einen weiteren Vorteil sieht er in der Geschwindigkeit: "Bereits eine Woche nach Einbringen des Gens können wir genug Protein aus der Pflanze isolieren. Das Anziehen transgener Pflanzen ist deutlich zeitaufwändiger." Allerdings war die Methode lange sehr ineffizient. Klimyuk und seine Kollegen von Icon Genetics haben die Effizienz gesteigert, so dass die Pflanze große Mengen an gewünschtem Protein herstellt. Durch den Geschwindigkeitsvorteil eigne sich die Methode auch gut zur Herstellung von Grippeimpfstoffen bei Pandemien. Einige amerikanische Firmen arbeiten daran und testen die Stoffe teilweise schon in klinischen Studien.

Sobald es um die industrielle Anwendung geht – wie bei Icon Genetics –, ist das Scale-up ein Thema. Zunächst produzieren die meisten Entwickler in einem geringen Maßstab. Wenn sich das Produkt in Studien als erfolgreich und sicher erweist, möchten sie die Produktion möglichst schnell steigern. Auch hier sind für Klimyuk die Pflanzen die besseren Wirkstofffabriken: "Bei Zellkulturen kann dieser Wechsel von einer kleinen zu einer Produktion in größeren Reaktoren zu einer Veränderung der Qualität führen, bei Pflanzen ist es hingegen problemlos möglich, einfach die Anzahl der Pflanzen zu steigern."

Bioreaktor statt Gewächshaus

Doch nicht alle Firmen, die sich mit Wirkstoffproduktion in Pflanzen befassen, nutzen ganze Pflanzen. In Israel bei Protalix Biotherapeutics Inc. sucht man vergebens nach Gewächshäusern mit kleinen, grünen Urwäldern. Stattdessen finden sich dort übermannshohe, durchsichtige Tanks mit einer orangefarbenen Flüssigkeit darin: Es sind gentechnisch veränderte Karottenzellen, die ebenfalls ein Medikament synthetisieren. "Dieses Produktionssystem in Bioreaktoren bietet vor allem kontrollierte, saubere Bedingungen und erfüllt die nötigen Vorschriften", erläutert David Aviezer, Präsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Protalix Biotherapeutics. Die von Hellwig und Klimyuk genannten Vorteile von ganzen Pflanzen gegenüber Zellkulturen fallen hier allerdings weg, wie beispielsweise günstige Biomasse und ein leichtes Scale-up.

Wirkstoff aus Karottenzellen | Protalix Biotherapeutics produziert in Karottenzellkulturen in diesen großen Bioreaktoren ein Enzym zur Therapie des Gaucher-Syndroms, einer seltenen genetisch bedingten Krankheit. Das Medikament könnte bald das erste plant made pharmaceutical auf dem freien Markt sein.
Die israelische Biotechfirma hat sich dennoch dafür entschieden: Mit Hilfe der Karottenzellen produzieren sie ein Enzym, welches beim Gaucher-Syndrom, einer seltenen genetisch bedingten Krankheit, das fehlende Enzym ersetzen soll. Ende Februar 2011 erwarten Protalix Biotherapeutics und der Konzern Pfizer, der die Vermarktungsrechte für die USA hat, die Entscheidung der Food and Drug Administration (FDA) zur Marktzulassung. Das Medikament wäre das erste zugelassene plant made pharmaceutical. Schon heute ist es für einige Patienten verfügbar.

Pflanzen mit Zukunft?

Bis zu diesem Punkt hat es vergleichsweise lange gedauert. Denn bereits seit über 20 Jahren forschen Wissenschaftler schon an Wirkstoffproduktion in Pflanzen. Hellwig sieht jedoch eine große Entwicklung und meint, das Feld sei "deutlich mehr in Bewegung als noch vor fünf bis zehn Jahren". Auch bemerkten sie deutlich mehr Interesse von der Industrie.

Einen Grund, warum der Bereich erst jetzt langsam an die Schwelle zur Anwendung tritt, sieht er darin, dass weltweit viel weniger Wissenschaftler an dem Thema arbeiteten als an der Weiterentwicklung von tierischen und bakteriellen Zellsystemen. Auch in Klimyuks Augen haben die plant made pharmaceuticals eine Zukunft und werden vor allem durch Schnelligkeit in der Produktion und den Kostenvorteil überzeugen, auch wenn es keine universelle Methode werden wird. Er glaubt, dass in einiger Zeit bestimmte Technologien in diesem Bereich andere Systeme ersetzen werden. Das ein oder andere Bakterium müsste sich dann vielleicht einen neuen Arbeitsplatz suchen.

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