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Biophysik: Grüppchenbildung an der Zellgrenze

Die Membranen biologischer Zellen sind ein buntes und dynamisches Gemisch verschiedener Sorten von Lipiden. Aber wenn die Funktion es verlangt, tritt Ordnung in das Gewühl des Lebendigen. Mit einem Strahl schwerer Ionen wollen Wissenschaftler dieser Organisation auf die Spur kommen.
Wären die feinen Membranhäutchen um lebende Zellen etwa eine Milliarde Mal größer, wäre alles viel einfacher. Das Gewusel der vielen kleinen Moleküle würde unwillkürlich an den Blick aus der Vogelperspektive auf ein großes Volksfest erinnern: Überall schieben sich Menschen hin und her, laufen einander vor die Füße und vollführen mehr oder minder zufällige Wanderungen. An bestimmten Stellen scharren sie sich jedoch geordnet um Losbuden, Würstchenverkäufer und Fahrgeschäfte. Und immer wieder bewegen sich Grüppchen von Touristen durch das Bild, die sorgsam darauf bedacht sind, einander nicht zu verlieren, während sie über den Platz treiben. Schnell ein paar Fotos geschossen oder ein Filmchen gedreht – und schon lässt sich zu Hause bequem analysieren, wer wo gewesen ist und warum. So einfach hätten es Biologen auch gerne.

Doch sehr zum Verdruss der Forscher misst der Trubel ihres Begehrens nicht in Metern, sondern in Milliardstel Teilen davon, in Nanometern. Und damit sind die vielen Lipidmoleküle, aus denen sich biologische Membranen zusammensetzen, viel zu klein für gewöhnliche Mikroskope. Die Linsen verraten nichts von dem fließenden Gedränge der Teilchen, bei dem sie sich vermischen und entlang der Häutchenebene wandern. Es ist auch nicht zu sehen, dass eingelagerte Proteine wie die Buden auf dem Jahrmarkt bestimmte Lipidsorten stark an sich binden und so für eine ihnen genehme Umgebung sorgen. Und am Mikroskop ahnt man nichts davon, dass die Lipide sich stellenweise auch einfach so zu kleinen Ansammlungen eines Molekültyps zusammenfinden und wie die Touristen gemeinsam ihren Weg suchen.

Um dies alles zu verfolgen – und damit die Funktion biologischer Membranen als Grenzflächen der Zelle überhaupt erst zu verstehen –, ist eine raffiniertere Technik als die gute alte Lichtmikroskopie notwendig. Und so erdachten Wissenschaftler immer neue Methoden, um das Geschehen der Nanowelt trotz seiner Winzigkeit sichtbar zu machen. Mit großen Fluoreszenzmarkern beispielsweise, die wie riesige leuchtende Hüte auf den Köpfen der Lipid-Touristen sitzen und sie gut erkennbar machen, aber ihre natürliche Bewegung auch einschränken. Oder mit Rasterkraftmikroskopen, deren Bilder ohne Probleme ein einzelnes Lipidmolekül auflösen können, ohne allerdings zu wissen, ob es sich bei dem Buckel um einen Touristen oder nur einen Abfalleimer handelt, da sie keinerlei Aussage über die chemische Zusammensetzung ermöglichen.

Nun bieten Chemiker um Mary Kraft von der Stanford-Universität eine neue Methode an, die zumindest vom Verhalten der Lipidgrüppchen aussagekräftige Schnappschüsse liefern soll. Wobei das Wort "Schüsse" schon einen wesentlichen Teil des Verfahrens verrät: Denn die Wissenschaftler schießen tatsächlich auf die Membranen und schauen sich anschließend an, was beim Aufprall nach oben geschleudert wird.

Zunächst aber muss das Testmaterial angemischt werden. Bislang laufen die Versuche nicht mit echten Zellmembranen, sondern noch mit einem künstlichen Mix aus zwei verschiedenen Lipidsorten. Eine davon wird mit dem Stickstoffisotop 15N markiert, die andere mit Kohlenstoff 13C. Anhand dieser kleinen Marker, die das Verhalten der Moleküle nicht beeinflussen sollten, wird sich später zwischen den Lipiden unterscheiden lassen. Zunächst verteilen sich die Lipide aber bei 70 Grad Celsius rein zufällig und werden dann auf einen vorgewärmten Siliziumkristall mit einem Siliziumoxid-Überzug gebracht. Es bildet sich eine flache Membran aus, die langsam abkühlt. Während dieser Zeit entmischen sich die Lipide teilweise wieder. In der nahezu flüssigen Phase entstehen kleine gelartige Inseln, die wie unsere Touristengruppen vom Fest alle zu einer Sorte gehören. Hat die Probe Raumtemperatur erreicht, wird sie eingefroren, um die Verteilung zu fixieren, und das Wasser entfernt.

Die derartig erstarrte Versammlung wandert nun ins Visier einer Ionenkanone, die mit einem feinen Strahl elektrisch geladener Caesium-Atome auf die Membran schießt. In einem engen Raster wandert der Strahl über die Lipidschicht und zerstört dabei einige der Moleküle. Vor allem Bruchstücke aus 12C15N- und 13C1H- stieben als so genannte Sekundärionen in alle Richtungen davon. Ein Massenspektrometer fängt sie auf und analysiert anhand der Ionenmassen, welche Lipidsorte gerade im Fadenkreuz des Caesiumstrahls liegt. Immerhin erreicht die seitliche Auflösung dabei etwa 100 Nanometer, weshalb die Technik auf den Namen Nano-Sekundärionen-Massenspektroskopie (NanoSIMS) getauft wurde.

Ungleich verteilte Lipide | Eine Insel von 13C-haltigen Lipiden (hell gelb und orange) inmitten eines Meeres von 15N-haltigen Molekülen. Die Verteilung wurde mit der neu entwickelten Methode der Nano-Sekundärionen-Massenspektroskopie aufgeklärt.
Als Lohn der Mühe erscheinen auf dem Computerbildschirm schließlich Kleckse in Falschfarben, aus denen die Verteilung der Lipidmoleküle ersichtlich ist. Wie erwartet zeigen sich tatsächlich sortenreine "Inseln", die sich passend zur Analogie ein wenig aus dem übrigen Lipid-"Meer" herausheben und darum auch mit dem Rasterkraftmikroskop zu ertasten sind. Die NanoSIMS dürfte damit ihre Nagelprobe bestanden haben.

Welchen Platz das neue Massenspektroskopie-Verfahren im Repertoire der Biologen erhalten wird, bleibt abzuwarten. Die Forscher selbst sind zuversichtlich, dass sich nicht nur künstliche Membranen damit untersuchen lassen, sondern auch echte Zellstücke. Dafür müssten dann jedoch die Lipide mit Isotopen markiert werden. Oder die in den Lipidmembranen eingebetteten Proteine, falls die Neugierde sich diesen Molekülen zuwenden sollte. Wie die fragilen Systeme dann auf den Ionenstrahl reagieren werden, müssen weitere Experimente zeigen. Noch liefert die NanoSIMS nur Fotos von streng reglementierten Lipidversammlungen. Auf echten Membran-"Volksfesten" geht es weit bunter zu, als unsere Laborweisheit uns zuweilen träumen lässt.

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