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Immunsystem: Gürtelrose-Impfung schützt offenbar vor Demenz

Eine Impfung gegen die Gürtelrose senkt nachweislich das Risiko, an Demenz zu erkranken. Wie genau der Schutzeffekt zu Stande kommt, ist noch unklar.
Afroamerikanischer, älterer Mann zeigt nach der Impfung seinen Oberarm mit Pflaster
Das Präparat Zostavax, ein abgeschwächter Lebendimpfstoff gegen Gürtelrose, hat bei älteren Erwachsenen in Wales die Häufigkeit von Demenzerkrankungen gesenkt.

Dank einer Besonderheit des walisischen Gesundheitssystems wurde ein klarer Beleg dafür erbracht, dass Impfen vor Demenz schützen kann. Fachleute um Pascal Geldsetzer von der Stanford University haben die Gesundheitsakten älterer Waliser und Waliserinnen untersucht und festgestellt: Jene, die gegen Gürtelrose immunisiert wurden, erkrankten seltener an Demenz. Ihr Risiko dafür sank innerhalb des siebenjährigen Beobachtungszeitraums um etwa 20 Prozent, verglichen mit Ungeimpften.

Das Ergebnis stützt die These, wonach Viren, die das Nervensystem angreifen (in diesem Fall die Erreger der Gürtelrose), das Demenzrisiko erhöhen. Eine entsprechende Impfung senkt offenbar auch die Wahrscheinlichkeit einer neurodegenerativen Erkrankung. Bereits Mitte 2023 war die Studie von Geldsetzer und seinem Team als Vorabveröffentlichung erschienen, nun hat sie den Peer-Review durchlaufen, also das fachliche Kreuzgutachten.

Gürtelrose wird durch denselben Erreger verursacht, der auch die Windpocken auslöst: das Varizella-Zoster-Virus. Nach der Erstinfektion, die häufig Windpocken hervorruft, überdauern die Erreger lebenslang in Nervenzellen. Wenn die betroffene Person geschwächt ist, etwa durch Alterserscheinungen, Krankheiten oder eine beeinträchtigte Immunfunktion, können die ruhenden Viren reaktiviert werden und eine Gürtelrose auslösen. Diese geht mit heftigen Schmerzen einher, mit Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Fieber und Hautausschlägen samt Bläschen- und Krustenbildung.

Geschädigte Nervenzellen

Seit Längerem steht der Verdacht im Raum, dass Varizella-Zoster-Viren das Demenzrisiko erhöhen. Sie gehören zur Familie der Herpesviren, bei denen es empirische Hinweise auf einen solchen Zusammenhang gibt. Diese Erreger befallen Nervenzellen, können Gehirnentzündungen verursachen, scheinen das Denkorgan auf subtile Weise zu schädigen und so zu Neurodegeneration beizutragen.

In Wales hat sich durch Zufall die Gelegenheit geboten, die These empirisch zu prüfen. Dort wurde ein Gürtelrose-Impfstoff im Zuge einer Stichtagsregelung angeboten. Das Impfprogramm sah vor, dass jede Person, die am 1. September 2013 79 Jahre alt war, ein Jahr lang Anspruch auf den Impfstoff hatte. Wer älter war, hatte keinen Anspruch; jüngere hingegen konnten sich in den darauf folgenden Jahren immunisieren lassen. Diese Regeln waren nötig, da der Impfstoff nur begrenzt vorrätig war und rationiert werden musste.

Geldsetzer und seine Kollegen verglichen Personen, deren 80. Geburtstag in die Woche vor dem Stichtag fiel, mit solchen, bei denen er in der Folgewoche lag. Bei Ersteren lag die Impfquote nahe null, bei Letzteren betrug sie rund 50 Prozent. Der Altersunterschied zwischen beiden Gruppen von einer Woche fällt bei diesem Lebensalter praktisch nicht ins Gewicht, und darüber hinaus gab es keine systematischen Unterschiede zwischen ihnen, etwa hinsichtlich soziodemografischer Daten. Das ermöglichte ein randomisiertes Studiendesign mit einer Kontroll- und einer Interventionsgruppe. Insgesamt schloss die Analyse rund 280 000 Menschen ein.

Das Resultat: Demenzerkrankungen traten in dem siebenjährigen Beobachtungszeitraum unter jenen, die die Impfung bekommen hatten, etwa 20 Prozent seltener auf. Der Schutzeffekt war bei Frauen stärker als bei Männern. Das könnte zum Beispiel auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunfunktion zurückgehen. So fällt die Antikörperreaktion auf Impfungen bei Frauen durchschnittlich stärker aus, und Gürtelrose kommt bei ihnen häufiger vor als bei Männern. Ob der Impfstoff vor Demenz schützt, indem er die körpereigene Abwehr allgemein ankurbelt oder indem er speziell die Reaktivierung der Varizella-Zoster-Viren abschwächt oder durch noch einen anderen Mechanismus, ist unbekannt.

Unklar ist zudem, ob andere Impfstoffpräparate genauso gut oder vielleicht sogar noch besser vor Demenz schützen. Hinweise darauf gibt es schon, wie Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen gegenüber dem Science Media Center betonte. So sei im zurückliegenden Jahr eine Studie mit über 65-jährigen US-Amerikanern erschienen, in der nach der Einführung des rekombinanten Proteinimpfstoffs Shingrix gegen die Gürtelrose weniger Demenzen beobachtet wurden als im vorangegangenen Zeitraum, in dem der Lebendimpfstoff zum Einsatz gekommen war. Daher sei davon auszugehen, dass der in Deutschland empfohlene Proteinimpfstoff ebenfalls besser vor Demenz schütze als der Lebendimpfstoff.

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