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Energieforschung in Deutschland: "Gute Voraussetzungen, um den Vorreiter zu spielen"

An einem Umbau der Energieversorgung führt kein Weg vorbei - wie er sich sinnvoll gestalten ließe, dazu äußert sich die Leopoldina in einer aktuellen Stellungnahme. Im Gespräch erläutert ihr Präsident Jörg Hacker die zentralen Thesen.
Abendstimmung am Kernkraftwerk Philippsburg
spektrumdirekt: Herr Professor Hacker, um was geht es in Ihren Empfehlungen zur Energieforschung, die Sie nun im Namen der Leopoldina der Bundesregierung vorlegen?

Jörg Hacker: Genau genommen haben wir es mit zwei Veröffentlichungen zu tun. Vor Kurzem veröffentlichten wir eine Stellungnahme der Ethikkommission zur Energiepolitik, in der ich Mitglied bin. Darauf folgt nun eine Stellungnahme der Leopoldina zur Energieforschung, um die uns die Bundesministerin für Forschung, Frau Schavan, gebeten hat. Darin werden die wichtigsten Punkte und Probleme der zukünftigen Forschung in Energiefragen herausgestellt.

Jörg Hacker | Professor Jörg Hacker ist seit September 2010 Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Der Mikrobiologe war zuvor Präsident des Robert Koch-Instituts in Berlin und ist gleichzeitig Mitglied der Ethikkommission zur Energiepolitik.
Wir wollten darin auch explizit kurzfristige Forschungsprioritäten ermitteln, obwohl Forschung ja meist mittel- und langfristig angelegt sein sollte. Gerade aber was erneuerbare Energien angeht, stehen Fragen zur Akzeptanz und der Bürgerbeteiligung, aber auch der Konstruktion von energietechnischen Anlagen im Mittelpunkt, die sich auch kurzfristig erforschen lassen. Die gewonnenen Daten sollten dann schon in der nahen Zukunft in die praktische Umsetzung gehen.

Wie sieht die Leopoldina in diesem Thesenpapier die Rolle der Kernenergie? Bis wann könnte und sollte die Bundesrepublik aus dieser Technologie aussteigen?

Die Ethikkommission hat im Grunde drei Dinge festgestellt: Es ist möglich, in Deutschland in zehn Jahren ohne Kernenergie auszukommen. Dazu müssen, zweitens, einige Randbedingungen beachtet werden: die sozialen Kosten, die Stabilität von Stromnetzen, die Sicherung der Grundlast oder das Erreichen der CO2-Ziele, zu denen sich die Bundesrepublik verpflichtet hat. Letzteres bedeutet, dass wir erneuerbare Energien zusätzlich bereitstellen müssen. Drittens müssen diese Punkte in einem Monitoring stets neu bewertet werden, um gegebenenfalls umsteuern zu können, sollte sich etwas in die falsche Richtung entwickeln.

Welche Punkte müssten Ihrer Meinung nach bei der Suche nach einem atomaren Endlager berücksichtigt werden?

Wir empfehlen eindeutig, den radioaktiven Abfall so zu lagern, dass er jederzeit rückholbar ist. Das hat zum einen den Vorteil, dass wir bei der Suche nach einem Endlager nicht auf einen einzigen Ort fixiert sein müssen, wo der Abfall für immer und ewig eingeschlossen bleiben muss. Stattdessen können wir auf neue technologische Entwicklungen reagieren, mit denen sich die radioaktiven Spaltprodukte unschädlich machen ließen. Zu Standortpräferenzen hat sich die Leopoldina nicht konkret geäußert, die Ethikkommission sieht hingegen, dass es völlig neue oder zusätzlich zu Gorleben mögliche Standorte für eine Lagerung geben könnte.

Gibt es Alternativen zur Endlagerung – Stichwort Transmutation –, und müsste die Forschung nicht auch in diese Richtung intensiviert werden?

Ja, das ist richtig. Ich denke, dass die technologische Entwicklung und die Grundlagenforschung im Bereich Transmutation, also der Umwandlung von strahlenden Isotopen in ungefährliche Elemente, intensiviert werden muss. Denn unabhängig davon, ob die deutschen Kernkraftwerke nun in zehn Jahren abgeschaltet werden oder nicht, bleibt uns der atomare Abfall ja erhalten. Es ist also klar, dass wir damit umgehen müssen und hier Forschungsanstrengungen notwendig sind.

Wir benötigen wohl auch nach Abschaltung der Kernkraftwerke noch Experten, die sich damit auskennen: Droht hier eventuell ein Engpass an kompetenten Ingenieuren und anderen Fachkräften, weil niemand mehr Kerntechnik studieren mag?

Wir betonen, dass die Energieforschung breit aufgestellt werden muss: Das darf sich nicht nur auf bestimmte Bereiche wie zum Beispiel die Fotovoltaik beschränken. Wir benötigen das gesamte Spektrum vom technologischen Bereich bis hin sogar zu sozialwissenschaftlichen Aspekten – diese darf man ja nicht vergessen. Wenn wir zum Beispiel die Kernkraftwerke abschalten, muss dieser Prozess sozial abgefedert werden – als Ausgleich könnte man an diesen Standorten etwa neue leistungsfähige Gaskraftwerke errichten, die zur Grundlasterzeugung dienen. Auf diese Weise blieben vor Ort qualifizierte Arbeitsplätze und Steuereinnahmen vorhanden, die wiederum Jungingenieure zum Studium verleiten und anlocken. Man kann die technischen Fragen nicht isoliert von den sozialen betrachten.

Das würde aber den drohenden Fachkräftemangel nicht verhindern. Man müsste das Studium attraktiver machen, oder?

Der gesamte Bereich der Energieforschung benötigt Fachkräfte, so wie in Deutschland Ingenieure und Naturwissenschaftler generell gefragt sind. Diese Forschungsrichtungen müssen also tatsächlich attraktiver gemacht werden. Hier müssen wir Nachwuchs anlocken.

Geben Sie dann auch der Politik Empfehlungen, wie verstärkt Nachwuchs gewonnen werden kann, oder bauen Sie darauf, dass in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Feld als so wichtig erscheint, dass automatisch die Leute kommen?

Das ist ein wichtiger Punkt, den wir explizit herausstellen. Im Hinblick auf Nachwuchsgewinnung im ingenieurwissenschaftlichen Bereich generell müssen wir unsere Anstrengungen intensivieren. Das beginnt bereits bei der Vermittlung von Kenntnissen in der Schule und hat auch etwas mit der Ausbildung der Lehrer zu tun. Zudem müssen wir in den Sozialwissenschaften aktiv werden – etwa in Fragen der Akzeptanzvermittlung.

Welche Formen der Energieerzeugung sieht die Leopoldina als besonders zukunftsträchtig an?

Die Energieforschung muss breit aufgestellt sein. Windenergie spielt hier zu Lande bereits eine große Rolle, die sich noch ausbauen lässt – etwa im Offshore-Bereich. Nicht davon zu trennen ist die Frage nach der Stabilität und dem Ausbau der Stromnetze. Dazu kommt natürlich die Solarenergie, die Geothermie gewinnt an Bedeutung, und auch Biomasse dürfen wir nicht vergessen, wobei hier das Potenzial limitiert ist – vor allem wenn man bedenkt, dass sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion tritt. Zusätzlich müssen wir in Speicherforschung investieren – jenseits der jetzigen Batterietechnologie.

Wie steht die Leopoldina zur CCS, also der Einlagerung von Kohlendioxid im Untergrund, die gerade in Brandenburg erprobt wird: Sollte hier die Forschung verstärkt werden?

Kohle- und Gaskraftwerke werden noch längere Zeit eine wichtige Rolle spielen. Selbst wenn sie bei uns schon stark reduziert sein werden, so bleiben sie international gesehen noch sehr lange am Netz. Ob CCS hilft, müssen wir abwarten, denn hier bleibt weiterhin sehr viel Forschungsarbeit zu leisten. Aus der jetzigen Situation heraus lässt sich momentan nur schwer ihre zukünftige Anwendung voraussagen.

Empfehlen Sie denn auch, dass in diesem Bereich die Forschung besonders gefördert wird?

Wir müssen uns generell Gedanken machen, wie wir mit dem Kohlenstoff und dem CO2-Problem umgehen. Es wäre natürlich optimal, wenn man den Zyklus schließen könnte. Wir unterstützen die Erforschung von CCS, die gerade im brandenburgischen Ketzin beginnt.

Gehen wir einmal weg von den rein technischen Fragen. Sie haben ja schon angesprochen, dass man die soziale Komponente nicht aus den Augen verlieren dürfe. Schließlich müssen heute schon viele Menschen einen großen Anteil ihres Einkommens aufwenden, um ihre Stromrechnung zu bezahlen. Gibt es da eine Möglichkeit, das sozial abzufedern? Wie müsste die Politik vorgehen?

Wir können der Politik keine sozialen Modelle vorrechnen, aber im Prinzip haben Sie Recht: Man muss die Preise im Blick haben. Das ist die soziale Komponente. Die Energiepreise haben aber natürlich auch für die Industrie eine große Bedeutung. Deutschland ist ein Industrieland und braucht diese industrielle Basis. Um unseren Wohlstand zu halten, benötigen wir eine sichere Energieversorgung, deren Preis wir nicht aus den Augen verlieren sollten. Und es kann keine Alternative sein, dass wir in großem Maßstab Strom aus dem Ausland einkaufen. Im Einzelfall lässt sich das nicht umgehen. Wir müssen jedoch sehen, dass wir in Deutschland Strom so produzieren, dass er in ausreichendem Maß vorhanden ist und Energie und Elektrizität bezahlbar bleiben.

Ist Deutschland ein internationales Vorbild, was den Umbau der Energieerzeugung anbelangt?

Im internationalen Maßstab wird Deutschland durchaus als ein Land gesehen, das seinen richtigen Weg geht. Das sieht man auch daran, dass die Bundesrepublik sehr erfolgreich Energietechnologie exportiert. Die Spitzenforschung findet heute vor allem in internationalem Rahmen statt. Insofern sollten internationale Forschungsverbünde, in denen Deutsche tätig sind, unbedingt mit unserer Beteiligung weiterlaufen.

Bis wann könnte denn die Bundesrepublik den Umstieg auf erneuerbare Energien schaffen?

Ein Datum zu nennen, ist immer schwierig. Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele in der CO2-Reduzierung gesteckt. Doch die gesamte Weltgemeinschaft wird über kurz oder lang von erneuerbaren Energien abhängig sein. Je früher der Umstieg passiert, desto besser.

Ist dieser Umbau eher etwas, was wir in 20 Jahren schaffen – oder muss man den Zeitrahmen länger ansetzen?

Ich denke, dass Deutschland gute Voraussetzungen besitzt, hier den Vorreiter zu spielen. Wann wir letztlich das Gesamtsystem umgestellt haben, werden wir sehen.

Herr Professor Hacker, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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