Direkt zum Inhalt

News: Haarscharfer Unterschied

Eine winzige Abweichung in der Struktur eines Proteins bei Vögeln und Säugetieren half der Chilipflanze, ihr Überleben zu sichern. Denn die kleine Differenz bewirkt, dass Krummschnäbel die roten Schoten ungerührt verschlingen, verdauen und die Samen keimfähig an anderer Stelle ausscheiden, während Mäuse oder Ratten die für sie unerträglich scharfen Früchte verschmähen.
Wer beim Biss in eine Chilischote vor Schmerz das Gesicht verzieht, spürt gerade die Folgen der Evolution am eigenen Leib: Der scharf schmeckende Inhaltsstoff Capsaicin soll eigentlich hungrige Säugetiermäuler vom Verzehr der roten Schoten abhalten. Denn Zähne und Verdauungstrakt zerstören die in der Frucht geborgenen Samen und verhindern damit, dass diese in keimfähiger Form an an anderer Stelle wieder ausgeschieden und somit verbreitet werden.

Krummschnäbeln (Toxostoma curvirostre) hingegen macht die scharfe Substanz nichts aus. Und wenn sie sich an den Schoten gütlich tun, ist das auch ganz im Sinne der Chilipflanze (Capsicum annuum) – denn die Vögel erfüllen den Auftrag der Samenverbreitung mit Bravour.

Reiner Zufall? Wohl nicht, wie Sven-Eric Jordt und David Julius von der University of California in San Francisco nun zeigen. Mithilfe des Capsaicin-Rezeptors von Ratten spürten die Forscher in einer Gendatenbank von Hühner-DNA die entsprechende Sequenz bei Vögeln auf. Das daraus abgeleitete Protein, ein nicht-selektiver Ionenkanal in der Membran von schmerzleitenden Nervenbahnen, stimmt zwar in der Aminosäureabfolge nur zu 68 Prozent mit der Ratten-Vorlage überein. Doch als die Forscher das Gen in Eizellen von Krallenfröschen einbrachten und die Funktion überprüften, stellten sie ähnliche Eigenschaften fest: Beide werden durch Hitze und Säuren aktiviert, Calcium- und Natriumionen strömen dann in die Zelle ein und lösen so die Weiterleitung der Reize ins Rückenmark aus.

Aber in einem wesentlichen Punkt unterscheiden sich die beiden Kanäle: Capsaicin lässt den Rezeptor der Vögel völlig kalt. Erst in hohen Konzentrationen zeigt sich eine kleine Wirkung – ein Hinweis darauf, dass zumindest Reste einer möglichen Bindungsstelle für den Reizstoff vorhanden sein müssten. Daraufhin konstruierten die Wissenschaftler eine Reihe von Zwischenformen aus den beiden Vorlagen und überprüften, welche davon reagierten. Der Unterschied ist klein, aber haarscharf: Letztendlich nur acht Aminosäuren geben den Ausschlag über Empfindlichkeit oder nicht. Denn als Jordt und Julius diesen Abschnitt in den Hühner-Rezeptor einbauten, entstand wieder eine funktionierende Andockstelle für das Capsaicin.

Diese so winzige Abweichung bot der Chilipflanze einen großen Vorteil im Kampf um das Dasein und der Ausbildung ihrer eigenen ökologischen Nische. Denn der Inhaltsstoff trennte scharf zwischen geeigneten und nicht geeigneten Genießern ihrer Früchte – und sicherte damit ihr Überleben.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.