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Positive Psychologie: Sie wollen uns doch nur glücklich machen!

Die Positive Psychologie untersucht, was Menschen zufrieden macht und innerlich wachsen lässt. Kritiker werfen ihr vor, sie sei mehr Ideologie als Wissenschaft. Zu Recht?
Lachende Frau

Die Geschichte der Positiven Psychologie beginnt nicht etwa an einer Universität, sondern im Garten von Martin Seligman. Es ist 1998. Während der US-amerikanische Psychologe fleißig Unkraut jätet, wirft seine fünfjährige Tochter Nikki das Unkraut einfach in die Luft. Als er sie anschreit, entgegnet sie ihm: »Papa, erinnerst du dich an meinen fünften Geburtstag? Ich war eine Heulsuse, habe jeden Tag gejammert. Als ich fünf Jahre alt wurde, beschloss ich, nicht mehr zu jammern. Das war das Schwerste, was ich je getan habe. Und wenn ich aufhören kann zu jammern, kannst du aufhören, so ein Meckerfritze zu sein.«

Seligman erkennt daraufhin, dass es bei der Erziehung von Kindern nicht darum geht, sie zu korrigieren und ihre Schwächen zu beheben. Vielmehr sollte man ihre Stärken erkennen und fördern. Und ihnen helfen, ein Umfeld zu finden, in dem sie ein produktives, erfülltes Leben führen können. »Das war nicht weniger als eine Offenbarung für mich«, schrieb Seligman in einer Art Gründungsmanifest der Positiven Psychologie, das 2000 im Fachblatt »American Psychologist« erschien.

Denn auch in der Psychologie lag der Schwerpunkt damals auf dem Negativen, wie Seligman bemerkte: Psychologen trieb vor allem um, wie sich in Menschen ungute Emotionen breitmachen, wie man psychische Störungen erkennen und beheben kann. In den folgenden 20 Jahren nahmen Martin Seligman und seine zahlreicher werdenden Mitstreiter stattdessen unter die Lupe, was Menschen glücklich macht, sie innerlich wachsen lässt und wie man sie mit psychologischen Interventionen dabei unterstützen kann.

»Das war nicht weniger als eine Offenbarung für mich«
Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie

Auch die Positive Psychologie selbst wuchs und gedieh prächtig. Nicht nur im akademischen Elfenbeinturm: Coaches trugen die von ihr entwickelten Interventionen in die Praxis. Ihre Erkenntnisse gingen ein in Modelle der Mitarbeiterführung und -motivation, im angelsächsischen Raum sogar in Bildung und Erziehung. Doch ausgerechnet die auf das Positive ausgerichtete Psychologie sieht sich immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Was ist dran an der Kritik, und was kann die Positive Psychologie nach 20 Jahren Forschung vorweisen?

Was das Wohlbefinden fördert

Gerne wird der Positiven Psychologie das empirische Fundament abgesprochen. Dabei sind empirische Untersuchungen in dem Forschungsfeld inzwischen zahlreich, wie ein Blick in die Literatur verrät. Vor allem das Wohlbefinden von Menschen ist ein zentrales Thema vieler Studien, ergab eine Übersichtsarbeit des Psychologen Stewart Donaldson von der Claremont Graduate University. Sie filterte auch heraus, was zu Wohlbefinden führt: etwa das Nachdenken über positive Erfahrungen. Ebenso förderlich ist es, dankbar für bestimmte Erlebnisse zu sein sowie seine Stärken zu erkennen und zu nutzen.

Doch nicht alle Studien, die veröffentlicht werden, sind gut gemacht. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf Interventionen der Positiven Psychologie. Gerne untersucht wird etwa die Übung »Drei gute Dinge im Leben«, bei der die Teilnehmer über mehrere Tage hinweg jeden Abend drei Dinge aufschreiben sollen, die an dem jeweiligen Tag gut gelaufen sind. Einige Metaanalysen haben solche Interventionsstudien gesichtet und ausgewertet. Dabei offenbarte sich: Je strenger die Maßstäbe waren, welche die Metaanalysen im Lauf der Jahre an die berücksichtigten Originalstudien stellten, desto mehr gingen die Effektstärken in den Keller. Einer ersten Metaanalyse von 2009 zufolge konnten Interventionen der Positiven Psychologie noch einigermaßen passabel das Wohlbefinden steigern und Depressionen abmildern. Eine Metaanalyse von 2013 konnte hingegen lediglich schwache Effekte finden. Die Autoren hatten dieses Mal nur randomisiert-kontrollierte Studien berücksichtigt, also Studien, bei denen die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip in Versuchs- und Kontrollgruppe eingeteilt wurden.

2019 knöpften sich Forscher um die Psychologin Carmela White von der University of British Columbia die beiden erwähnten Metaanalysen sowie die zu Grunde liegenden Originalstudien erneut vor. Sie registrierten dabei auch, wie viele Versuchspersonen daran teilgenommen hatten. Die Auswertung ergab, dass viele der Originalstudien tatsächlich nur Probandengrüppchen untersucht hatten. Berücksichtigten White und ihre Kollegen dies, fielen die Effekte der Interventionen auf das Wohlbefinden noch geringer aus. Beim Thema Depression waren sie oft gar nicht mehr statistisch signifikant.

Verbesserungswürdige Methodik

»Die Methodik von Interventionsstudien der Positiven Psychologie ist verbesserungsfähig«, sagt der Psychologe Anton-Rupert Laireiter von der Universität Salzburg. Doch trotz der teilweise eher schwachen Effekte findet Laireiter, dass die Positive Psychologie umfassender und methodisch besser erforscht werden sollte. Er weist zudem auf sehr wirksame Maßnahmen hin: »Interventionen, bei denen man seine Charakterstärken identifiziert und entwickelt, haben zum Teil recht hohe Effekte im Hinblick auf die Steigerung des Wohlbefindens gezeigt.« Zu Charakterstärken zählt die Positive Psychologie etwa Urteilsvermögen und Bindungsfähigkeit.

Auffällig sei dabei immer wieder, dass die Übungen stärker bei den Personen wirken, die psychisch belasteter sind. »Bei diesen Menschen gibt es einfach viel mehr Raum für Verbesserungen als bei Menschen, bei denen das Wohlbefinden schon vor der Intervention recht hoch ist«, erklärt Laireiter. Wichtig sei bei den Maßnahmen zudem, dass man sie mit einer positiven Erwartung absolviere. Außerdem sollten sie zu der jeweiligen Person passen. »Die Methoden der Positiven Psychologie sind keine Zauberformel, man muss eigenes Engagement und Ausdauer mitbringen, damit sie helfen«, sagt Laireiter.

»Die Methoden der Positiven Psychologie sind keine Zauberformel, man muss eigenes Engagement und Ausdauer mitbringen, damit sie helfen«
Anton-Rupert Laireiter, Psychologe

Johannes Heekerens, seines Zeichens Psychologe an der FU Berlin, gibt zu bedenken, dass das Forschungsfeld noch relativ jung ist und man gerade am Anfang eben sehr enthusiastisch war. »Man hat sich vielleicht manchmal zu weit aus dem Fenster gelehnt und behauptet, so manche Intervention sei wirksam. Jetzt rudert man ein bisschen zurück – so hoffe ich jedenfalls. Die Positive Psychologie als empirische Wissenschaft ist durchaus selbstkritisch.«

Viele Forscher haben allerdings ganz grundsätzlich ein Problem mit der Ausrichtung der Positiven Psychologie. Vertreter der »traditionellen« Psychologie kritisieren gerne, sie blende menschliche Probleme aus und ziele lediglich auf die Optimierung von Glück und Wohlbefinden ab. »Für die Positive Psychologie ist Glück kein Selbstzweck«, kontert hingegen die Psychologin Judith Mangelsdorf, Institutsleiterin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. »Die Idee ist vielmehr: Wenn ich in einer besseren emotionalen Verfassung bin, erleichtert dies ›flourishing‹, das Aufblühen eines Menschen – also erfülltere Beziehungen zu haben, die eigenen Stärken zu erkennen und den eigenen Sinn zu leben.« Zu einem erfüllten Leben gehörten dabei auch negative Emotionen und der Umgang mit Krisen. Es gehe nicht darum, einen Zustand zu schaffen, in dem ein Glücksmoment den nächsten jagt. »Es ist genauso wichtig, festzustellen, wenn man unglücklich ist, um daraus Veränderungen anzugehen.«

Glück kommt auch von außen

Die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas kritisieren in ihrem Buch »Das Glücksdiktat«, die Positive Psychologie ziele letztlich nur auf das Individuum ab und spiele äußere und gesellschaftliche Faktoren des Glücks herunter. Das machen die beiden Forscher an der »Glücksformel« der Positiven Psychologie fest: Die Gene seien der Formel zufolge zu 50 Prozent für das menschliche Glück verantwortlich. 40 Prozent habe das Individuum mit der Art seiner Lebensführung selbst in der Hand. Nur 10 Prozent des Glücks gingen auf das Konto von äußeren Faktoren und Lebensumständen.

Ursprünglich stammen die zitierten Zahlen von der Psychologin Sonja Lyubomirsky von der University of California in Riverside, die diese auf der Grundlage von Zwillingsstudien ermittelt hatte. Doch viel wichtiger: Man muss die verführerisch eingängigen Zahlen sorgfältig interpretieren. »Es heißt etwa nicht, dass mein Glückserleben zu 50 Prozent von meinen Genen abhängt«, sagt Judith Mangelsdorf. Es gehe nicht um Unterschiede im Glück innerhalb eines Individuums, sondern um Unterschiede im Glückserleben zwischen verschiedenen Individuen, betont Mangelsdorf. Und da ist es dann auch nicht ganz unerheblich, wen man miteinander vergleicht. Die Zwillingspaare aus Lyubomirskys Studien waren vorwiegend weiße US-Amerikaner. »Haben die Menschen einer Stichprobe wie in diesem Fall einen relativ ähnlich hohen Lebensstandard und vergleichbar gute Finanzen, dann spielen die Lebensumstände eine sehr viel geringere Rolle beim Thema Glück, als wenn man etwa Menschen aus den USA mit Menschen aus Afrika vergleichen würde.«

Illouz und Cabanas gehen in ihrem Buch mit ihrer Kritik jedoch noch weiter: Sie sehen hinter der Positiven Psychologie eine Ideologie am Werk, die dem Menschen aufzwingt, sich immer wieder in Eigenregie zu optimieren. »Illouz und Cabanas unterscheiden nicht zwischen der Positiven Psychologie als empirischer Wissenschaft und dem, was daraus in der Praxis gemacht wird«, entgegnet Judith Mangelsdorf. »Menschen, die Ideen der Positiven Psychologie in die Praxis tragen, sind oft mit viel Idealismus dabei, und das kann dann in Ideologie umschlagen.«

So würden in der Praxis zum Teil enthusiastische Leitsätze verwendet wie »Jeder Mensch kann lernen, glücklich zu sein«. »Das ist nicht nur wissenschaftlich in dieser Absolutheit nicht haltbar, sondern kann auch ideologischen Druck auf all jene ausüben, die sich unglücklich fühlen.« Die Positive Psychologie als Wissenschaft sei hingegen keine Ideologie, sondern versuche, das Glück empirisch zu erforschen.

Auch Anton-Rupert Laireiter hadert als wissenschaftlich denkender Mensch teilweise mit der praktischen Umsetzung der Erkenntnisse der Positiven Psychologie. Es gebe Ansätze, etwa im Coaching oder in der Beratung, wo man sich nicht um wissenschaftliche Evidenz kümmere. »Da wenden Menschen, die selbst nicht aus der Psychologie kommen, Methoden an, die sie mit Ideologien oder Glaubenssätzen im Hinblick auf deren Wirksamkeit und zu erwartende Effekte verbinden, die so nicht zu erwarten oder überzogen sind.« Auch Johannes Heekerens sagt: »Vieles aus der Positiven Psychologie ist hilfreich. Man muss allerdings mit der Erwartung herangehen, dass man kleinere Brötchen backt, als ursprünglich behauptet wurde.«

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