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News: Hand in Hand

Um sich einerseits nicht aus den Augen zu verlieren, aber andererseits nicht zu nahe zu kommen, haben Zellen der Retina eine besondere Methode entwickelt: Sie halten sich mit ausgestreckten Armen an den Händen.
Erstaunlich umständlich erscheint der Aufbau der Netzhaut im menschlichen Auge. So muss das eintreffende Licht zuerst die vertikal orientierten Nervenzellen passieren, bis es an die lichtempfindlichen dicken Zapfen und die etwas dünneren Stäbchen gelangt. Diese Photorezeptoren wiederum stehen wie Zinnsoldaten stramm nebeneinander aufgereiht, schön ordentlich in einer Reihe.

Eine gewisse Distanz zwischen den Photozellen ist jedoch dringend nötig, damit das Auge auch feinste Details aus der Umgebung wahrnehmen kann. Erst der präzise Abstand untereinander ermöglicht es dem Sehorgan, in einem Bild Einzelheiten ausmachen zu können. Genauso wichtig ist die Anordnung der vertikalen Lage aus Nervenzellen, die das im Rezeptor empfangene Signal verschlüsselt ans Gehirn weiterfunken.

Doch wie finden die schwarz-weiß sehenden Stäbchen, die farbempfindlichen Zapfen und die Nervenzellen während der Embryonalentwicklung an ihren angestammten Platz? Nicht nur für Lucia Gallio-Resta und ihr Team vom Institute of Neurophysiology in Pisa eine aufregende Frage, die sie durch ein künstlich herbeigeführtes Chaos im zellulären Netz lösen konnten.

So beobachteten die Neurologen, dass die Retinazellen im sich entwickelnden Auge dünne Zellfortsätze ausstrecken, die auf der Suche nach nachbarschaftlichen Kontakt sind. Doch eng lassen die Zellen die Nachbarschaft nicht werden: An ausgestreckten Ärmchen halten die Zellen sich auf gebührendem Abstand. Und so nimmt der Aufbau der Retina Ähnlichkeit mit einem weitmaschigen Netz an. "Sie halten Händchen, um zusammenzuhalten, und strecken die Arme aus, um auf Abstand zu kommen", beschreibt Gallio-Resta ihre Ergebnisse.

Beobachten ließ sich das zelluläre Verhalten in sezierten Retinas, deren geordnetes Netz die Wissenschaftler durch entsprechende Substanzen gehörig durcheinander wirbelten. Wenn die Nervenzellen nicht mehr Händchen halten durften, hielt sie nichts mehr auf ihren Plätzen. Stattdessen zerstreuten sie sich in alle Richtungen, wanderten sowohl vertikal als auch horizontal umher. Entfernten die Forscher das verwirrende Agens, nahmen die Zellen wieder ihre ursprüngliche Orientierung ein, so als sei nichts geschehen.

Gallio-Resta vermutete nun, dass die Zellen während der Augenentstehung alle auf die gleiche Art und Weise an Ort und Stelle gelangen. Hiernach bewegen sich die Zellen zuerst in breiten Bändern, wo sie untereinander eine Vielzahl von Verbindungen eingehen. Anschließend vergrößert sich der Abstand zwischen den Zellen, und sie werden so in die korrekte Distanz zueinander gezogen.

Helfen soll das Wissen um den embryonalen Aufbau der Netzhaut bei einer möglichen Rekonstruktion der Retina. So hoffen die Forscher die Augenerkrankung Retinitis pigmentosa durch Transplantation neuer lichtempfindlicher Zellen behandeln zu können. Allerdings könnten die ausgesetzten Zellen Hilfe brauchen, um die richtige Distanz zu ihren Nachbarn einzunehmen.

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