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Klimaschutz: Handeln oder wandeln?

Nun ist es also amtlich: Der Mensch verursacht mit höchster Wahrscheinlichkeit die Erderwärmung - natürliche Quellen betrachtet die Wissenschaft allenfalls als untergeordnet. Doch wie soll die Menschheit darauf reagieren? Scharfe Bremse bei den Emissionen oder lieber Anpassung an das Unvermeidliche? "Beides" muss wohl die Antwort lauten, aber wie?
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In der Theorie sieht alles ganz einfach aus: China benötigt für seine rasant wachsende Wirtschaft mehr Energie und baut aus diesem Anlass ein Kraftwerk. Nun stehen Land, Staatsapparat und Investoren vor der Wahl, entweder ein billiges, aber relativ ineffizientes Kohlekraftwerk zu bauen, das als klimafeindliche Kohlendioxidschleuder die Welt wieder ein Stückchen näher an den Abgrund rückt. Oder aber sie entscheiden sich für eine moderne Verstromung auf Gasbasis mit neuester Technologie, die relativ sauber produziert, dafür aber deutlich teurer ist.

Aufgeheizte Arktis | Aufgeheizte Arktis: Nirgendwo macht sich der Klimawandel ähnlich stark bemerkbar wie in der Arktis, die sich schneller erwärmt als der Rest des Planeten. Für die Menschen dort heißt es schon jetzt "wandeln oder weichen", wenn der Permafrost taut, die Küsten bröckeln und das Eis schwindet.
Angesichts des molochartigen Energiehungers Chinas bei gleichzeitig knapp bemessener Kassenlage fiele die Entscheidung pro schmutzige Kohle wohl leicht. Seit 2003 existiert allerdings – im Rahmen des Kyoto-Protokolls – der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, kurz CDM), mit dem klimaschädigende Schadstoffe marktwirtschaftlich beschränkt werden sollen. China baut deshalb anstelle des Kohle- ein Gaskraftwerk, lässt sich die eingesparten Emissionen zertifizieren und verkauft sie als so genanntes CDM-Guthaben an einen Kyoto-Vertragspartner, der sich diesen erworbenen Bonus wiederum auf seines eigenes Reduktionsziel anrechnen lassen kann. Am Ende steht ein Gewinn für alle Seiten, denn es ist einfacher und billiger, eine CO2-extensive Energiewirtschaft in einer aufstrebenden Nation zu etablieren, als für teures Geld funktionsfähige Anlagen in Industriestaaten umzurüsten oder zu ersetzen.

CDM ergänzt perfekt den Emissionshandel, den die Europäische Union innerhalb ihrer Grenzen seit 2005 praktiziert, um ebenfalls über marktwirtschaftliche Regelungen und fortschreitend künstlich verknappte Emissionsrechte ihren Kohlendioxid-Ausstoß in den Griff zu bekommen. Stößt einer der teilnehmenden Industriebetriebe mehr CO2 aus, als ihm laut seinen Rechten zustünde, muss er diese Kapazitäten auf dem Zertifikate-Markt von sparsameren Firmen erwerben – Zusatzkosten für die einen, Zubrot für die anderen. Seit 2006 dürfen auf Initiative Großbritanniens auch CDM-Guthaben bis zu zwei Dritteln auf die Einsparungsvorgaben angerechnet werden, sodass die Firmen für das gleiche Geld statt eher minimalen Reduktionen im Binnenland nun deutlich größere in Schwellenländern erzielen können.

Funktioniert aber auch praktisch, was sich auf dem Papier gut anhört? Unter Experten wie Michael Wara von der Universität Stanford besteht Einigkeit, dass CDM in relativ kurzer Zeit viele Teilnehmer gefunden hat und dabei erfreulicherweise große Staaten wie China und Indien einbinden konnte, die nicht aktiv das Kyoto-Protokoll stützen [1]. Und immerhin gelang es, nennenswerte Mengen an Kohlendioxid und anderer aufheizender Gase wie Methan, Stickoxide oder Fluorkohlenwasserstoffe zu verhindern und aktiv zu reduzieren – wenngleich sich die jährlich rund 280 Millionen Tonnen Einsparung winzig gegen die 26 Milliarden Tonnen Gesamtausstoß ausnehmen.

Dennoch ist Wara bei einem detaillierteren Blick auf die Mechanismen nicht zufrieden mit den Resultaten – mehr noch, er spricht sogar von einem Versagen. Statt einer CO2-freien oder -reduzierten Energiewirtschaft die Bahn zu bereiten, geht ein guter Teil der Aufwendungen zum Beispiel in die Vermeidung des Industriegases HFC-23 (Trifluormethan), von dem eine Tonne so klimaschädlich ist wie 11 700 Tonnen Kohlendioxid. Die Krux ist, dass immer in Kohlendioxid-Äquivalenten abgerechnet wird: Firmen, die bei der Produktion von Kühlmitteln als Nebenprodukt auch HFC-23 erzeugen, machen also satte Gewinne, wenn sie sich deren – vergleichsweise billige – Zerstörung bezahlen lassen. Nach Waras Berechnungen verdienen sie dabei über CDM mit etwa 4,7 Milliarden Dollar das Doppelte von dem, was sie mit ihrem eigentlichen Erzeugnis, den Kühlmitteln, erzielen könnten.

Für rund hundert Millionen Dollar ließen sich allerdings effektive technische Vorrichtungen in die Produktionsanlagen einbauen, mit denen das Gas gar nicht erst entstünde. Satte 4,6 Milliarden Dollar würden dadurch frei für tatsächlichen Klimaschutz durch den Bau neuer Windenergieanlagen oder von Gaskraftwerken – wenn dies politisch gewollt wäre. Wara schlägt deshalb vor, CDM zu einem reinen Kohlendioxid-Markt zu machen und die anderen fünf beteiligten Gase in einem eigenen Segment unterzubringen, was nach 2012 unter einem neuen Kyoto-Abkommen machbar wäre. Zudem macht es keinen Sinn, nur die potenziell vermiedenen Emissionen zu belohnen, ohne dass der schon vorhandene Sockel an tatsächlich erzeugten Gasen angetastet wird. Deshalb, so Wara, müsste im nächsten CDM mehr in neue Technologien für eine wirklich kohlendioxidarme Energiewirtschaft investiert und diese Errungenschaften anschließend mit den Schwellenländern geteilt werden.

Selbst bei einem sofortigen Stopp aller Atmosphärenverschmutzungen ließe sich jedoch nach den Erkenntnissen der Forschung der Klimawandel mit all seinen Folgen nicht mehr aufhalten. Die Menschheit muss sich zumindest teilweise daran anpassen, fordern deshalb Roger Pielke von der Universität von Colorado in Boulder und seine Kollegen [2]. Denn neben der Erderwärmung trägt auch das rapide Bevölkerungswachstum in bestimmten Regionen zu einer erhöhten Gefahrenlage bei. Schließlich ziehen immer mehr Menschen in sturmgefährdete Küstenregionen wie Florida, Ost- und Südasien oder steigt die Zahl der Bewohner in Trockengebieten wie dem Sahel oder Nordafrika besonders schnell, ohne dass jetzt schon ausreichend Trinkwasserreserven dort verfügbar wären. Mit der Aufheizung dürften sich diese Krisen weiter verschärfen.

Super-Taifun Haitang | Taifun Haitang zog im Juli 2005 mit Spitzenwindgeschwindigkeiten von bis zu 105 Knoten über den Pazifik in Richtung China und Taiwan. Wirbelstürme wie dieser bringen auch heftigen Regen, der ganze Landstriche unter Wasser setzt. Noch ist nicht restlos sicher, dass die Intensität der Stürme durch den Klimawandel zunimmt. Bessere Anpassungen an ihre Folgen sind dennoch zwingend nötig.
Ihre Ansicht bedeute aber eine Abkehr von der bisherigen "reinen Linie" der Vereinten Nationen und ihres Rahmenprogramms zum Klimawandel (UNFCCC), schreiben die Autoren. Denn diese behandele Anpassungen nur im engsten Sinne an die Folgen der menschengemachten Erderwärmung, sie vergesse dabei aber viele Maßnahmen, welche Gesellschaften im Ganzen robuster gegenüber negativen Veränderungen machten. So konzentriere sich die philippinische Regierung politisch – etwa mit Forderungen an die Industriestaaten – mittlerweile auf einen Meeresspiegelanstieg von ein bis drei Millimeter pro Jahr, der sie verstärkte Überflutungen im Küstenbereich befürchten lässt. Gleichzeitig ignoriere sie das exzessive Abpumpen von Grundwasser in diesen dicht besiedelten Ebenen, wegen der das Gelände jährlich um bis zu zehn Zentimeter absinkt – Denk- und Handlungsmuster, die Pielkes Team weltweit beobachtet hat: Jedes globale Problem von Sturmschäden bis zum Artensterben werde ihrer Meinung nach vorwiegend unter dem Klimawandelaspekt diskutiert.

Das wiederum führe dazu, dass internationale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll ungleich mehr Gelder in die globale Reduzierung von Treibhausgasen leiten als in lokale Anpassungsmaßnahmen, obwohl damit mehr zum Schutz der Betroffenen erreicht werden könnte. Mit dieser Ansicht stützen Pielke und seine Kollegen zumindest teilweise die Meinung des Statistikers Björn Lomborg von der Universität Århus, der im Rahmen des so genannten Kopenhagener Konsens von 2004 zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern – darunter vier Nobelpreisträgern – eine globale Prioritätenliste erstellt hat. Auf ihr rangierten Gesundheitsfragen, Bekämpfung des Hungers und eine verbesserte Wasserversorgung ganz oben, während Maßnahmen gegen den Kohlendioxid-Ausstoß an letzter Stelle standen, weil Aufwand und Nutzen hier zu klein erschienen.

Der Kopenhagener Konsens zog scharfe Kritik nach sich – nicht nur von Klimatologen, sondern auch von Ökonomen, welche die Berechnungen wie die jeweils dafür verwendete Datenbasis bemängelten. Gleiches könnte nun ebenso Pielkes Denkschrift passieren, stehen ihr doch Gutachten wie der Stern-Report für die britische Regierung gegenüber. Darin beschreibt der Cambridger Gelehrte Nicholas Stern die astronomischen Summen, die eine fortgesetzte Aufheizung des Planeten der Weltgemeinschaft kosten würden, sollten nicht schleunigst Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Durchgeführt werden muss darum wohl beides: Reduzierung so weit wie möglich, Anpassung überall, wo nötig – zu sehr haben wir schließlich schon ins Erdsystem eingegriffen.

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