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News: Handliche Kernkartoffel

Die Natur bringt häufig Moleküle und Teilchen hervor, die in zwei Formen existieren, wobei die eine ein Spiegelbild der anderen ist. Wissenschaftler unterscheiden sie in links- und rechtshändig. Nun konnten Physiker experimentell nachweisen, dass auch Atomkerne eine Händigkeit aufweisen können - und zwar, wenn ihr Spin in eine ganz bestimmte asymmetrische Richtung weist.
Physiker suchen gerne nach Symmetrien, da sie Aufschluss über fundamentaler Prinzipien in der Natur liefern. So führt beispielsweise die Erkenntnis, dass ein Experiment heute genauso abläuft wie morgen, also symmetrisch in der Zeit ist, zum Energieerhaltungssatz. Viele Moleküle und Teilchen können in zwei spiegelbildlichen Formen vorliegen: der links- und der rechtshändigen.

Schon recht früh fanden Forscher heraus, dass auch Atomkerne nicht unbedingt kugelförmig sind, sondern langgezogene Ellipsoide bilden können. Sogar eine dreiachsige – triaxiale – Form wäre denkbar, bei der die Achsen in alle drei Raumrichtungen eine unterschiedliche Länge haben. Theoretiker schlugen eine derartige kartoffelartige Struktur bereits 1960 vor. Sollte sie existieren, so könnte es auch Händigkeit bei Kernen geben.

In den letzten Jahren konnten Stefan Frauendorf von der University of Notre Dame in Indiana und seine Kollegen vom Rossendorf Research Center in Dresden theoretisch zeigen, dass Händigkeit bei Kernen auftreten kann, die eine triaxiale Geometrie haben und eine ungerade Anzahl an Protonen und Neutronen besitzen. In diesen Kernen wäre es möglich, dass die beiden ungepaarten Kernbausteine ihre Bahnen um unterschiedliche Achsen ziehen – das Neutron zum Beispiel um die kürzeste und das Proton um die längste Achse – während der Kern als Ganzes sich um die dritte Achse mittlerer Länge dreht. Die drei Rotationsbewegungen lassen sich auf zwei verschiedene Weisen anordnen, die spiegelbildlich ineinander übergehen – also links- und rechtshändig. Es ergibt sich so ein Gesamtspin um eine asymmetrische Achse. Soweit die Theorie, den experimentellen Befund blieben die Wissenschaftler bislang noch schuldig.

Um das Phänomen im Versuch nachzuweisen, arbeitete Frauendorf nun mit Krzysztof Starosta von der State University of New York in Stony Brook zusammen. Die Physiker beschossen Proben ausgewählter Elemente mit schweren Ionen, um Kerne mit 75 Neutronen und 55, 57, 59 beziehungsweise 61 Protonen herzustellen – also Kerne der Elemente Cäsium, Lanthan, Praseodym und Promethium. Das Team detektierte anschließend die Energie und Richtung der von den Kernen ausgesandten Gammastrahlung und konnte so viele verschiedene Spinzustände nachweisen.

Das Team fand eine lange Serie so genannter Dublettlinien – paarweise auftretende Energieniveaus, die durch eine schmale Energielücke getrennt sind. Da die Drehimpulse identisch sind, also von gleichen Atomen stammen müssen, meinen die Wissenschaftler, dass die paarweise auftretenden Energien je von einem links- und einem rechtshändigen Atomkernen stammen. Der Nachweis der Händigkeit ist gleichzeitig auch ein guter Hinweis auf eine triaxiale Kerngeometrie. "Unsere experimentelle Methode war nicht weltbewegend", gibt sich Starosta bescheiden, "aber bis dahin hatte es noch niemand versucht."

"Die Frage, ob es stabile triaxiale Kerngeometrien gibt, wird seit Jahrzehnten diskutiert", meint Mark Riley von der Florida State University in Tallahassee, "Starosta und seine Kollegen haben nun den ersten direkten Hinweis erbracht, der zweifelsohne Aufsehen in der Kernphysik erregen wird."

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  • Quellen
Physical Review Focus
Physical Review Letters 86: 971 (2001)

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