Das Smartphone hat Pause: Was bringen Handyverbote an Schulen?

»Viele schimpfen, wenn sie ihre Handys nicht mitnehmen dürfen, und fragen sich, was sie sonst in der Pause machen sollen«, sagt Oliver, zwölf Jahre alt. An seiner Gesamtschule gilt ein Handyverbot auf dem gesamten Schulhof. Die meisten halten sich daran – aber nur widerwillig. Statt in Gruppen über Bildschirme gebeugt, stehen manche quatschend herum, andere kicken einen mitgebrachten Ball. Lehrkräfte hoffen, dass die Kinder in den freien Minuten rennen, toben, reden, statt zu scrollen.
Die Diskussion um Smartphones an Schulen ist vielschichtig. Einige wollen sie ganz vom Schulgelände verbannen, andere nennen das bevormundend oder weltfremd. Tut ein generelles Verbot Kindern und Jugendlichen überhaupt gut?
Die Debatte ist nicht neu. Dennoch wird um das Thema derzeit erneut gerungen – angestoßen unter anderem von Bundesbildungsministerin Karin Prien. Als Bildungsministerin in Schleswig-Holstein hatte sie private Geräte bereits an Grundschulen verbannt. Nun will sie eine Expertenkommission einsetzen, die gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Länder Empfehlungen zum Umgang mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken erarbeiten soll.
Tatsächlich liegen schulische Regelungen rund um Smartphones in der Zuständigkeit der Länder; ein bundesweit einheitliches Gesetz ist daher kaum zu erwarten. Entsprechend existieren bereits vielerorts eigene Vorgaben: In Hessen etwa dürfen Grundschülerinnen und -schüler seit dem Schuljahr 2025/26 keine privaten digitalen Geräte mehr auf dem Schulgelände nutzen. Das Mitführen von Smartphones, Tablets oder Smartwatches ist gestattet, die Nutzung im Schulalltag aber tabu. An weiterführenden Schulen sind Ausnahmen möglich, etwa in bestimmten Pausenbereichen oder Aufenthaltsräumen.
In Bayern ist die Nutzung des privaten Handys für Schüler an Grund- und Förderschulen grundsätzlich untersagt; weiterführende Schulen können eigene Nutzungsordnungen erlassen. Im September 2025 kündigte Ministerpräsident Markus Söder an, das Verbot bis zur 7. Klasse auszuweiten. Andere Bundesländer verfolgen ähnliche Ansätze oder verpflichten ihre Schulen, eigene verbindliche Konzepte zu erarbeiten. In einigen Bundesländern haben die Schulen aber bislang noch völlige Freiheit im Umgang mit privaten Handys: in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Berlin.
Egal, wer am Ende die Regeln festlegt: Digitale Geräte prägen den Alltag von Kindern und Jugendlichen heute wie kaum etwas anderes. Ist grundsätzliche Ablehnung also der richtige Weg? Der Medienpädagoge Eik-Henning Tappe, Professor für Digitalisierung und Medienpädagogik in der Sozialen Arbeit an der FH Münster, bezweifelt das: »Ein Verbot erzeugt die Illusion, dass man damit viele Probleme löst – und dass das Elternhaus den Rest übernimmt«, sagt er. »Tatsächlich entstehen dadurch oft neue Schwierigkeiten, statt dass bestehende verschwinden.«
Was sagt die Wissenschaft?
Der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer sieht das anders. Er plädiert seit Längerem für ein Smartphone-Verbot an Schulen und hat dessen mögliche Wirkungen in einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit untersucht. Laut der Analyse von Zierer und seinem Kollegen Tobias Böttger wirken sich Handyverbote positiv auf das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern aus. Die schulischen Leistungen verbesserten sich allerdings nur geringfügig. »Wir empfehlen, dass Verbote in Schulen gemeinsam mit bildenden Maßnahmen eingeführt und regelmäßig evaluiert werden«, schreiben die Autoren. Bei näherem Hinsehen unterscheiden sich die Positionen von Eik-Henning Tappe und Klaus Zierer damit weniger, als es zunächst scheint: Beide fordern eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema und eine sinnvolle pädagogische Begleitung durch die Schulen.
Zierers Analyse hat jedoch eine Einschränkung: Sie basiert auf einem sogenannten Rapid Review von nur fünf Originalstudien – ihre Aussagekraft ist daher begrenzt. Eine größere Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2024, die 22 Studien aus zwölf Ländern auswertete, kam zu einem weniger eindeutigen Schluss: Ob Schülerinnen und Schüler tatsächlich besser lernen oder sich wohler fühlen, wenn das Handy zu Hause bleibt, lässt sich derzeit nicht eindeutig beantworten. Die Forschenden fordern weitere Untersuchungen: insbesondere randomisierte, kontrollierte Studien. Denn bisher stützen sich viele Publikationen auf uneinheitliche Definitionen von »Handyverbot« und auf Befragungen von Eltern, Kindern oder Lehrkräften, also auf subjektive Einschätzungen. Für klare Aussagen über Konzentration und Lernleistung wären dagegen objektive Messungen nötig.
Ähnlich schwierig ist die Frage zu beantworten, ob Kinder sich in den Pausen tatsächlich mehr bewegen, wenn kein Smartphone zur Hand ist. Eine dänische Forschungsgruppe untersuchte das 2021 mit Kindern zwischen 10 und 14 Jahren: Vier Wochen lang durften sie in den Pausen kein Handy nutzen – und waren in dieser Zeit tatsächlich aktiver. Doch die Befragung am Ende der Studie zeigte, dass etwa ein Drittel schon gegen Ende des handyfreien Monats wieder zum alten Verhalten zurückkehrte, weil die Lehrkräfte die Regel nicht mehr streng durchsetzten.
Die Mitschüler des zwölfjährigen Oliver sind – wie wahrscheinlich viele andere auch – nicht begeistert von der Verbotsregel an ihrer Schule. Das lässt sich als Zeichen lesen, dass Kinder das Spielen ohne Smartphones verlernt haben, oder auch als Mahnung, dass Schulhöfe anregender gestaltet werden müssten.
Ablenkung durch pure Anwesenheit?
Doch Smartphones beeinflussen die Kinder nicht nur, wenn sie aktiv genutzt werden. Klaus Zierer betont, dass die Geräte im Unterricht das Denken beeinträchtigen können – selbst wenn sie ausgeschaltet sind. Dieses Phänomen wird als »Brain-Drain-Effekt« bezeichnet. »Wir wissen, dass allein die Anwesenheit des privaten Smartphones die Aufmerksamkeit und die Lernleistung reduziert«, so Zierer.
Die erste Studie, die diesen Zusammenhang beobachtete, erschien 2017. Damals ließen Forschende mehr als 500 Schülerinnen und Schüler Aufgaben lösen, die ihr Arbeitsgedächtnis und ihre Problemlösungsstrategien prüften. Je nach Testgruppe lag das Handy währenddessen sichtbar auf dem Tisch, steckte in der Tasche oder blieb in einem anderen Raum. Das Ergebnis: Am besten schnitten die Kinder ab, deren Gerät nicht in Reichweite war. Am schlechtesten die, bei denen es offen auf dem Tisch lag.
Der Brain-Drain-Effekt wurde seither mehrfach untersucht, jedoch nicht immer bestätigt. Ein Team um Zierer betrachtete ihn daher 2023 in einer Metaanalyse mit 22 Studien. Das Ergebnis ist ein differenzierteres Bild. Offenbar beeinflussen Smartphones manche kognitiven Fähigkeiten stärker als andere. Vor allem das Gedächtnis scheint empfindlich zu reagieren, während die Aufmerksamkeit selbst weniger stark betroffen ist. Um die genauen Zusammenhänge zu verstehen, seien weitere Untersuchungen nötig.
Schulkinder oft reflektierter als erwartet
Dass private Geräte im Klassensaal und auf dem Pausenhof stören können, findet auch Oliver: »Eine Klassenkameradin von mir hatte eine Zeit lang das Handy im Mäppchen liegen und hat heimlich was geguckt.« Irgendwann habe sie aber selbst genug davon gehabt und damit aufgehört.
Grundsätzlich scheinen sich viele Kinder der Ablenkungsgefahr bewusst zu sein. Laut einer Befragung der Vodafone Stiftung von 2025 sprechen sich 60 Prozent der Jugendlichen für ein Verbot im Unterricht aus. Schwieriger wird es dort, wo die Regelungen uneinheitlich sind oder von einzelnen Lehrkräften abhängen – dann fehlt eine klare Orientierung.
Bemerkenswert ist zudem: Rund vier von fünf Schulkindern wünschen sich Unterrichtseinheiten oder Schulprojekte zum Umgang mit sozialen Medien und konkrete Tipps für eine gesunde Nutzung. Das zeigt: Ein reines Verbot löst die Herausforderungen nicht, sondern verschiebt sie ins private Umfeld.
Wie Kinder digitale Balance lernen
Der Medienpädagoge Eik-Henning Tappe hat drei Tipps für Eltern, Lehrkräfte und alle, die junge Menschen bei ihrem Umgang mit den digitalen Möglichkeiten unterstützen möchten:
1. Fragen statt urteilen: Lassen Sie sich zeigen, wofür und weshalb das Kind das Smartphone nutzt und wie das funktioniert. So entsteht ein Gespräch auf Augenhöhe, das Verständnis statt Kontrolle fördert.
2. Vorleben statt verbieten: Wenn Lehrkräfte und Eltern selbst ständig aufs Handy schauen, wirkt Tadel schnell unglaubwürdig. Erklären Sie stattdessen, warum Erwachsene in bestimmten Situationen andere Freiheiten haben – das schafft Orientierung und macht Regeln nachvollziehbar.
3. Ernst nehmen statt abwerten: Erkennen Sie die digitalen Lebenswelten an. Was uns banal oder sinnlos erscheint, kann für junge Menschen sozial, kulturell oder emotional bedeutsam sein. Das anzunehmen, schafft Vertrauen und öffnet Räume für echte Medienbildung.
Auch unter Lehrkräften gehen die Meinungen auseinander, berichtet Christoph Fuchs, Lehrer für Geografie sowie Politik und Wirtschaft am Gymnasium Michelstadt im Odenwald. Er arbeitet dort am Digitalisierungskonzept der Schule mit und ist zugleich Jugendmedienschutzbeauftragter. »In einem Kollegium mit knapp 120 Personen gibt es, was das Thema angeht, tatsächlich eine gewisse Polarisierung«, sagt er.
Lehrkräfte uneins
Diese beginne schon bei ganz praktischen Fragen: Wie sollen Aufsichten in den Pausen Verstöße gegen ein Handyverbot handhaben? »Im eigenen Unterricht ist meist klar, wie die Regeln aussehen. In den Pausen aber bedeutet die Kontrolle eine zusätzliche Belastung.«
Ein häufiges Argument für ein komplettes Verbot sei die Sorge, dass Unterrichtsszenen ohne Wissen der Lehrkräfte gefilmt und online gestellt werden. »Auf TikTok oder Instagram tauchen durchaus Videos auf, die Lehrpersonen zeigen – oder Mitschnitte werden plötzlich in Elterngesprächen hervorgeholt«, so Fuchs. Gleichzeitig gebe es viele engagierte Lehrkräfte, die sowohl den Nutzen digitalen Lernens als auch die Bedeutung von Medienerziehung betonen.
Das Gymnasium Michelstadt hat sich mit einem Digitalisierungskonzept gezielt der Medienbildung verschrieben. Fuchs und seine Kolleginnen und Kollegen wollen digitale Werkzeuge dort einsetzen, wo sie den Unterricht tatsächlich bereichern. »Das bedeutet nicht, alles unbedingt digital zu machen«, betont der Lehrer. »Aber bei manchen Themen kann das einen echten Mehrwert haben. Etwa, wenn wir politische Diskussionen im Netz beobachten und aktuell im Unterricht besprechen.«
Wie Smartphones das Lernen sinnvoll unterstützen und welche Kompetenzen Lehrkräfte dafür brauchen, ist ein komplexes Thema. Gleichzeitig bringt der digitale Unterricht einen weiteren Aspekt in die Debatte um ein Handyverbot: Viele Schulen, wie das Gymnasium Michelstadt, setzen auf das Prinzip »Bring your own device«: Hier sollen Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte nutzen.
»Es gibt zwei Tablet-Koffer, die sich Klassen ausleihen können, wenn die Schüler und Schülerinnen keine eigenen dabeihaben«, erläutert Fuchs. Dazu kommen einige Computerräume, welche die Lehrkräfte für ihre Stunden buchen können – ein Anfang, aber noch nicht genug für flächendeckenden digitalen Unterricht. Zudem müssten alle Aufgaben auch ohne technische Hilfe lösbar bleiben.
Mitbringen oder ausleihen?
Viele Kinder seien ohnehin mit eigenen Smartphones und Tablets ausgestattet, sagt Fuchs. Das Konzept »Bring your own device« ermögliche digitalen Unterricht also überhaupt erst. Doch es hat Gegner.
Der Schulpädagoge Klaus Zierer lehnt private Geräte im Unterricht entschieden ab. »Ich habe mit Kollegen den Begriff der ›digitalen Schuluniform‹ in die Debatte gebracht«, erklärt er. »Der Staat muss genügend Geräte zur Verfügung stellen, die so eingerichtet sind, dass die Kinder keine sozialen Medien nutzen oder spielen können, sondern wirklich nur lernen.« Private Handys seien schlicht zu verlockend und eine Kontrolle für die Lehrkräfte kaum möglich.
Doch eine Ausstattung aller Schulen mit einheitlichen Geräten wäre teuer. Fuchs bezweifelt, dass das flächendeckend realisierbar ist. »In Hessen und mit rund 1300 Schülerinnen und Schülern in unserer Schule wären wir nicht in der Lage, Geräte für alle bereitzuhalten«, sagt er.
Selbst die vorhandenen Leihtablets bringen Schwierigkeiten mit sich, erzählt Christa. Die 16-Jährige hatte ihr Handy früher nie mit in der Schule – bis digitales Lernen ab der 9. Klasse zum Alltag wurde. »Ich bin anfangs in die Mediothek gegangen und habe mir ein Tablet ausgeliehen. Aber das hat den Unterricht verzögert, also habe ich irgendwann meins mitgenommen«, sagt sie. Die Schultablets funktionierten zudem nicht sonderlich gut; das Wort »Schrott« kommt Christa dazu in den Sinn.
Eigene Geräte anzuschaffen, die mit Stiftbedienung und guter Leistung für den Unterricht geeignet sind, kostet viel Geld. Das spricht für Schulgeräte – sofern sie finanzierbar und von ausreichender Qualität sind.
Eine Welt außerhalb der Schule
Auch Eik-Henning Tappe hält es für sinnvoll, Tablets im Unterricht auszuleihen. Gleichzeitig warnt er davor, private Geräte völlig auszuklammern. »Bildung umfasst auch das Gestalten meiner Umwelt und Lebenswelt«, sagt er. »Mit meinen eigenen Tools lerne ich, wie ich Wissen im Alltag erschließe und die erlernten Fähigkeiten wirklich nutze.« Ein pauschales Verbot blende diese Lebensrealität aus.
Kinder kommen ohnehin nicht als unbeschriebenes Blatt in die Schule. Wenn jemand zu Hause beleidigende Nachrichten im Klassenchat liest, bleibt die seelische Last nicht mit dem Handy auf dem Nachttisch liegen. Christoph Fuchs kennt solche Situationen und möchte die Jugendlichen auch hier unterstützen. Doch Erwachsenen fehle oft der richtige Blick für die Probleme der jungen Menschen.
Deshalb leitet er am Gymnasium Michelstadt gemeinsam mit Kollegin Sibylle Beck das Programm »Digitale Helden«: Schülerinnen und Schüler ab der 9. Klasse lassen sich dort in einem Wahlpflichtkurs ausbilden, um später jüngere Jahrgänge zu begleiten. Sie hören zu, wenn es um Sorgen und Konflikte in der digitalen Welt geht, und helfen auch technisch – etwa beim Thema Privatsphäre und Datenschutz. »Das ist eine gute Ergänzung zu weiteren Bausteinen in der Medienbildung«, sagt Fuchs.
So könnte es klappen
Ganz ohne Regeln geht es nicht – darin sind sich alle einig. Im Unterricht darf nicht gespielt werden, in den Pausen soll Raum für Bewegung und soziale Kontakte ohne digitale Hilfsmittel bleiben. Ein generelles Handyverbot greift jedoch zu kurz. Es blendet aus, dass Smartphones längst Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sind. Wie also könnte ein sinnvolles Konzept aussehen?
Vielleicht so, wie es vielerorts bereits praktiziert wird: In der Grundschule funktioniert der Schulalltag zunächst ohne eigene Geräte. In höheren Klassen können geregelte Ausnahmen hinzukommen. »Zum Beispiel Räume für die Oberstufe, in denen die Schülerinnen und Schüler zu bestimmten Zeiten ihre Handys nutzen dürfen«, schlägt Klaus Zierer vor. Wenn solche Freiräume in eine durchdachte Medienbildung eingebettet und durch Programme wie die »Digitalen Helden« ergänzt werden, könnten Kinder und Jugendliche tatsächlich lernen, bewusst mit ihren Geräten umzugehen, und dieses Wissen auch außerhalb der Schule nutzen.
»Verbote wären leichter durchzusetzen, aber bei so einem komplexen Thema können wir nicht auf einfache Lösungen setzen«, sagt Eik-Henning Tappe. »Wenn wir Kinder und Jugendliche in die Entscheidungen einbeziehen, fördern wir zugleich Demokratiebildung und erzielen wahrscheinlich mehr Akzeptanz.«
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