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Anthropologie: Hatten Neandertaler doch kürzere Kindheit?

Wachstumslinien
Aus Untersuchungen eines Neandertaler-Backenzahns aus dem belgischen Scledina schließen Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dass Neandertaler-Kinder doch schneller heranwuchsen als bei Homo sapiens. Andere Studien hatten diese 2004 erstmals geäußerte These zuvor widerlegt.

Wachstumslinien | Wachstumslinien in einem Neandertalerzahn (links – diagonal verlaufende Linien) und an der Außenseite (rechts – horizontale Linien). Das Zählen und Vermessen dieser Linien half bei der Alterbestimmung des Kindes auf 8 Jahre zum Todeszeitpunkt.
Tanya Smith und ihre Kollegen hatten das Innere des Zahns, Daten aus einem Mikro-CT-Scan und Hinweise auf eine entwicklungsbedingte Spannung, die auf den Oberflächen der Zahnkronen und -wurzeln zu sehen ist, analysiert. Die daraus abgeleitete chronologische Abfolge des Zahnwachstums sehe beim Neandertaler anders aus als beim modernen Menschen, erklärt Smith. Die Zähne des bei seinem Tod vermutlich achtjährigen Neandertaler-Kindes wiesen demnach einen Entwicklungsstand auf, wie er heute bei 10- bis 12-Jährigen zu beobachten sei.

Histologischer Schnitt | Histologischer Schnitt durch die Krone des ersten Backenzahns des Scladina-Kindes (links) und ein virtueller Schnitt desselben Zahns erstellt aus einem Mikro-CT-Scan vor der Durchtrennung des Zahns.
Im Jahr 2004 hatte das französisch-spanische Forscherduo Fernando Ramirez Rozzi und José Bermúdez de Castro aus Zahnuntersuchungen auf ein schnelleres Wachstum und damit eine kürzere Kindheit bei Neandertalern geschlossen. Ein internationales Team um Debra Guatelli-Steinberg von der Staatsuniversität Ohio sowie eine weitere Arbeitsgruppe um Christopher Dean vom University College London hatten dies jedoch widerlegt. Die Forscher stützten sich dabei sowohl auf charakteristische Wachstumsrillen im Zahnschmelz, die so genannten Perikymatien, als auch computertomografische Aufnahmen.

Dean und seine Kollegen hatten unter anderem festgestellt, dass die Zahnentwicklung insgesamt anders abläuft als bei Homo sapiens, und somit Schlussfolgerungen aus einzelnen Details nicht aussagekräftig sind. Smith und ihre Mitarbeiter schließen nun, dass die Entwicklungszeit der Neandertaler zwischen der von Homo habilis und des modernen Menschen anzusiedeln sei. Eine lange Kindheit, die entsprechend viel Zeit für ein ausgedehntes Heranreifen des Gehirn bietet, gilt als typisch menschliches Merkmal. (af)

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