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Alternative Heilverfahren: Hauptsache Pieks

Schmerzbehandlung mit Akupunktur ist so beliebt wie umstritten, Studienergebnisse zeigten kein einheitliches Bild. Zwar fühlten sich viele Behandelte hinterher besser - merkwürdigerweise aber auch, wenn gar nicht die klassischen Punkte genadelt wurden. Regel oder Ausnahme? Fundierte Daten liefert die bislang größte Studie weltweit.
Akupunktur
Etliche Menschen haben genug von Pillen, Krankengymnastik und Co oder empfinden die Schulmedizin gar als ungeeignete engstirnige Einzelsymptombetrachtung. Sie verstehen ihren Körper als ein Gesamtgefüge, das mehr ist als bloß Summe seiner Teile, und bevorzugen dem entsprechende Therapien. Andere suchen nach fehlgeschlagenen konventionellen Behandlungsansätzen einen alternativen Weg, anhaltende Gesundheitsprobleme in den Griff zu bekommen. Viele von ihnen landen über kurz oder lang bei Akupunktur.

Die traditionelle chinesische Akupunktur beruht auf der Vorstellung, dass eine Lebensenergie Qi auf definierten Bahnen – den Meridianen – unseren Körper durchfließt. Krankheiten seien die Folge von Störungen in diesem Fluss, der sich aber über die auf den Leitbahnen befindlichen Akupunkturpunkte steuern lässt. In diese Punkte gesetzte Nadeln sollen vorhandene Blockaden lösen und das harmonische Gleichgewicht der Strömung wiederherstellen. Darauf beruhend, aber mit etwas anderem Ansatz arbeitet die Ohrakupunktur oder Auriculotherapie, die vor fünfzig Jahren von dem französischen Arzt Paul Nogier entwickelt wurde. Hier repräsentiert die Ohrmuschel ein Abbild im Kleinen aller Körperzonen und Organe mit entsprechenden Reflexpunkten, die durch die Nadeln stimuliert werden.

Alternative Schmerztherapie ...

Beide Verfahren haben längst ihren festen Platz in der Schmerztherapie. Gerade chronische Schmerzpatienten – und davon ist immerhin fast ein Fünftel der Deutschen betroffen – hoffen auf Linderung durch Akupunktur. Doch im Jahr 2000 hatte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Erstattungsfähigkeit des Verfahrens zunächst eingeschränkt: Bezahlt wurde nur noch, wenn es sich um chronische Kopfschmerzen, chronische Lendenwirbelsäulen-Beschwerden oder chronische osteoarthritische Schmerzen handelte und die Therapie im Rahmen kontrollierter Studien erfolgte. Hintergrund der Maßnahme: Die Wirksamkeit des Nadelns war nicht zweifelsfrei erwiesen.

Einzelne Akupunktur-Studien hatten zwar einen schmerzlindernden Effekt offenbart, der darauf beruhen dürfte, dass durch eine Nervenreizung verschiedene schmerzhemmende Systeme aktiviert werden. Auch die Ausschüttung der körpereigenen Schmerzmittel Endorphine wurde gemessen, ebenso wie die Freisetzung der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, die in der Schmerzkommunikation eine Rolle spielen. Wurden allerdings mehrere Studien in einen Topf geworfen, verwischten die im Einzelfall so klaren Ergebnisse. Und irritierend blieb zudem, dass viele dieser Effekte und Behandlungserfolge auch auftraten, wenn die Nadeln gar nicht in Akupunkturpunkte gestochen wurden – löste allein die Hautverletzung die Anti-Schmerzreaktion aus?

Das Gerac-Projekt (German acupuncture trials) – eine von mehreren Krankenkassen initiierte deutschlandweite Studie – sollte Klarheit bringen. Unter der Leitung der Ruhr-Universität Bochum wurden in vier Einzelstudien die Erfolge von "richtiger" Akupunktur im Vergleich zu Scheinakupunktur, bei der die Nadeln nicht so tief und außerhalb der klassischen Akupunkturpunkte gesetzt werden, sowie konventioneller Therapie verglichen. Maßgeblich war, wie sich die pro Therapieansatz jeweils über 300 behandelten Patienten nach einem halben Jahr fühlten.

... egal, wo die Nadel steckt

Bei Migräne und Spannungskopfschmerz stellten die Forscher keinen Unterschied zwischen echter und Scheinakupunktur fest, allerdings auch keine Differenz zur medikamentösen Linderung [1]. Im Fall der Knieprobleme schnitt die Akupunkturbehandlung besser ab als die konventionelle Therapie, doch hielten sich auch hier Schein und Nicht-Schein die Waage [2]. Und genauso lauten die Ergebnisse zum Einsatz bei chronischen Kreuzschmerzen, die Heinz Endres von der Ruhr-Universität Bochum und seine Kollegen nun präsentieren [3].

Krankengymnastik, Massage, Wärmebehandlung, Elektrotherapie, Rückenschule, Injektionen und gezielte Handlungsanleitungen – der gesamte Kanon der klassischen Rückentherapie brachte gerade einmal einem Viertel der Patienten Besserung, verglichen mit doppelt so vielen der Genadelten, egal, wo und wie tief die Nadeln steckten. Welcher Mechanismus verbirgt sich dahinter? Ist es womöglich sogar überflüssig, sich an die tradtionellen Punkte auf den Meridianen zu halten? Die Wissenschaftler sind nach wie vor ratlos: Womöglich zeigten sich hier bislang unbekannte Auswirkungen von Akupunktur, oder unspezifische Einflüsse wie eine positive Erwartungshaltung der Erkrankten mischten kräftig mit. Vielleicht aber gebe es auch überhaupt gar keine ausdrücklich spezifischen Akupunktur-Effekte. Die Wissenschaftler vermuten jedenfalls einen gemeinsamen zu Grunde liegenden Mechanismus, der sich auf die Schmerzentstehung, die Übertragung von Schmerzsignalen oder deren Verarbeitung im zentralen Nervensystem auswirkt. Er ist offenbar stärker als der Einfluss der aktiven körperlichen Standardtherapie und mag auf einer Kombination von Placebowirkung und nicht-spezifischen Faktoren beruhen. Hier herrscht ganz offensichtlich noch dringender Forschungsbedarf.

Klar ist dennoch das Fazit: "Akupunktur stellt eine überzeugende alternative Therapie zur multimodalen konventionellen Behandlung dar", schließen die Forscher. Sie sei für Ärzte eine viel versprechende und effektive Option bei Kreuzschmerzen, die nur wenige Nebenwirkungen oder Kontraindikationen aufweise. Schon heute haben dreißig Prozent aller Patienten, die letztendlich eine Schmerzklinik aufsuchen, Erfahrungen mit den Nadeln. Angesichts dessen, dass chronische Rückenschmerzen die Liste der häufigsten Schmerzerkrankungen anführen und mehr als dreißig Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage verursachen, sollten Krankenkassen und Ärzte diese Alternative sicher noch stärker in Betracht ziehen und bestehende Einschränkungen in der Kostenübernahme aufheben. Schließlich scheinen sie damit mehr Menschen zu helfen als mit Pillen, Krankengymnastik und Co.

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