Direkt zum Inhalt

News: Hefe in Midlife-Crisis

Mit zunehmendem Alter steigt beim Menschen das Risiko, an Krebs zu erkranken. Der Mechanismus dahinter ist bisher unklar. Vielleicht bringen an Hefezellen beobachtete Alterserscheinungen Licht ins Dunkel.
Bild
Schlaflose Nächte sind keine Seltenheit im Wissenschaftlerleben, doch Michael McMurray vom Fred Hutchinson Cancer Research Center kann ein besonders vielstrophiges Liedchen davon singen. Stunde um Stunde hat er sich im Labor um die Ohren geschlagen, sich die Augen im Mikroskop wundgesehen, nur um eines ja nicht zu verpassen: Wenn seinen Hefezellen etwa alle zwei Stunden Töchter sprossen, die dann, vorsichtig abgenabelt, in ihrer eigenen Petrischale zu neuen Kolonien ausufern durften.

McMurray interessierte sich dabei besonders für das Farbenspiel jener frisch besiedelten Petrischalen – waren die Nachkommen alle weiß, alle rotbraun oder herrschte buntes Durcheinander? Denn auf diese Weise signalisierten ihm die Tochterzellen, ob ihr Erbgut noch gänzlich in Ordnung und funktionstüchtig war. Träger brauner Spuren litten an einer gefährlichen Alterserscheinung von Zellen: Ihr Genom war instabil geworden.

Bei Menschen ist genomische Instabilität einer der Hauptgründe dafür, dass Zellen entarten und sich zu Krebszellen entwickeln. Seit langem ist bekannt, dass im Alter die Gefahr steigt, an Krebs zu erkranken – für einen 70-Jährigen beträgt sie das Zehnfache als drei Jahrzehnte zuvor. Auf den ersten Blick scheint die Erklärung logisch: Je älter ein Körper ist, desto mehr Mutationen haben sich im Laufe der Zeit im Erbgut angehäuft. Doch ganz so einfach liegt die Sache offenbar nicht, vielmehr scheint es, dass die Mutationsrate mit dem Alter drastisch zunimmt. Versuche an Mäusen haben diese Vermutung bestätigt; welcher molekulare Mechanismus dahintersteckt, liegt aber noch im Dunkeln.

Nun bekommt Hefe keinen Krebs, aber auch diese Zellen altern und verändern sich dabei. Und genau wie beim Menschen gibt es offenbar auch hier einen kritischen Punkt, ab dem sich der Prozess beschleunigt, wie McMurray durch seine nachtraubende Fleißarbeit nach unzähligen Hefeleben herausgefunden hat.

Eine Hefezelle schnürt normalerweise 30 bis 35-mal eine Tochterzelle ab, bevor sie selbst zugrunde geht. Nach etwa 25 Generationen aber, so stellte McMurray fest, schien sich ein regelrechter Schalter umzulegen im Vervielfältigungsmechanismus der Zellen. Ab diesem Zeitpunkt mehrten sich braune Töne in den Tochterkolonien. Interessanterweise jedoch schien die genetische Integrität der Mutterzellen weitgehend erhalten zu bleiben, während die Töchter mit inneren Schäden kämpften. Und jene etwa 25 Generationen überschritten auch Hefestämme nicht, die aufgrund von genetischen Veränderungen deutlich länger leben – die innere Uhr, die den Schalter für die genetische Instabilität umlegt, hängt also nicht von der Nähe zum Tod ab, sondern von der Zeit, die seit der "Geburt" verstrichen ist.

Sollte sich der verantwortliche Schalter bei der Hefe und daraus abgeleitet womöglich auch beim Menschen finden lassen, könnten Wissenschaftler vielleicht Medikamente oder Therapien entwickeln, den Zeitpunkt des Umlegens hinauszuzögern, spekuliert Daniel Gottschling, der Laborleiter von McMurray. Den Bogen zwischen Krebs und Altern spannt er dabei über Stammzellen: Es könnte ja sein, dass hier ein ähnlicher Effekt auftritt – dass altersbedingte genomische Instabilität hier den durch Teilung neu entstandenen und sich weiter ausdifferenzierenden Zellen einen Makel aufdrückt, der zu Krebs führen kann, während die dabei ebenfalls gebildete neue Stammzelle unbeschadet bleibt.

So hoffnungsvoll das klingt: Erst müssen die Wissenschaftler klären, wie der Schalter bei der Hefe funktioniert. Und dann wird sich erst zeigen, ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar ist. Vielleicht steckt ja ein ganz neuer Mechanismus dahinter, der Hefe-spezifisch ist. Es gibt noch viel zu lernen von diesem kleinen, einzelligen Pilz, der vor fünfzig Jahren einen so schweren Einstand als Modellorganismus für das Altern menschlicher Zellen hatte. Und Michael McMurrey wird noch einige Nächte im Labor verbringen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.