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Geophysik: Heiße Höhen

New York geflutet, Boston untergegangen, Miami im Meer verschwunden und Los Angeles in die Tiefsee hinabgereicht - Ausgeburt schlimmster Klimawandelfantasien oder Horrorszenarien endzeitlich geprägter Geokalyptiker, die einen Mega-Tsunami befürchten? Mitnichten: Es ist eher ein Abbild der Erde ohne die hitzigen Temperaturen ihres Inneren.
Wie tief kann man sinken? Eine Frage, der sich auch Städte stellen müssen, wenn sie auf fragilem Grund gebaut sind – etwa Venedig oder New Orleans, die auf schwabbeligem Schwemmland stehen und langsam im Morast untergehen. Doch das sind nur marginale Millimeter- bis Zentimeterbeträge pro Jahr, verglichen mit dem, was New York passieren könnte: 435 Meter unter den Meersspiegel – so tief würde die Metropole sinken, wenn es die kontinentale thermale Isostasie von heute auf morgen nicht mehr geben würde.

Mount Whitney | Der Mount Whitney ist der höchste Punkt der festländischen Vereinigten Staaten außerhalb Alaskas. Er ragt 4418 Meter über den Meeresspiegel empor – ohne die thermische Isostasie wären es aber nur noch 3620 Meter.
Was etwas sperrig klingt, hat jedoch bedeutende Konsequenzen für das Aussehen und die Höhe der einzelnen Erdteile, wie David Chapman und Derrick Hasterok von der Universität von Utah in Salt Lake City nun theoretisch modelliert und an nordamerikanischen Großstädten berechnet haben. Denn wie hoch ein Kontinent über das Meer aufragt, ist nicht allein Folge der Plattentektonik, die Vulkane erzeugt, Gräben aufreißt oder bei Kollisionen einzelner Bruchstücke Gebirge aufwirft. Und es hängt auch nicht nur von der Dicke der festländischen Kruste sowie ihrer mineralischen Zusammensetzung und damit Dichte ab, ob ein Gebiet nun unter oder über dem Wasser liegt.

Hohe Temperaturen entscheidend

Vielmehr, so die beiden Geowissenschaftler, haben Forscher bislang einen wichtigen Aspekt übersehen, der das Land oben hält: die hohen Temperaturen, die in mehreren Kilometern Tiefe in der unteren Erdkruste beziehungsweise dem oberen Mantel herrschen und die durch hohen Druck sowie den radioaktiven Zerfall von Uran oder Thorium entstehen. Sie allein verantworten fünfzig Prozent der gegenwärtigen Höhenlage jedes einzelnen Punktes auf den Kontinenten, die andere Hälfte verteilt sich zum größten Teil auf die mineralische Zusammensetzung des Gesteins – etwa beim schweren Basalt oder beim leichteren Granit.

Um diesen Einfluss zu ermitteln, analysierten die Forscher seismische Wellen, die bei Explosionen oder Beben durch den Erdkörper laufen. Diese Wellen wandern schneller durch kaltes und damit kompakteres Gestein, während sie sich in heißem, weniger dichtem Material langsamer bewegen. Die beiden Wissenschaftler erhielten eine Karte mit unterschiedlichen Geschwindigkeitszonen, die die Forscher in Bezug setzen konnten mit Labormessungen von Gesteinsdichten sowie den entsprechenden Ausbreitungstempi. Daraus wiederum konnten sie berechnen, wie sich die Gesteinsdichte mit der Tiefe verändert und wie die Höhenlage eines Gebiets von Hitze und Ausdehnungkapazität des Gesteins abhängt.

Und tatsächlich spielt die Temperatur eine große Rolle, wie die gegensätzlichen Beispiele des Colorado-Plateaus und der Great Plains zeigen: Beide bestehen an ihrer Basis aus dem gleichen Gestein, doch während die Hochebene auf fast 2000 Metern Höhe liegt, erstreckt sich Amerikas Mittlerer Westen im Mittel nur in 300 Metern über dem Meeresspiegel – eine gewaltige Differenz, die Chapman und Hasterok auf den hitzigen Auftrieb, die thermische Isostasie, zurückführen. Unter dem Plateau heizen knapp 650 Grad Celsius das Material auf und dehnen es entsprechend aus, was die rund 500 Grad Celsius am erdinneren Fuß der Ebene nicht zu leisten vermögen. Insgesamt zeigt sich, dass je heißer ein Gebiet ist, desto höher liegt es in der Regel, sofern es aus vergleichbaren Gesteinen besteht.

Untergang der Städte

Rechnete man diesen Anteil heraus, lägen weite Teile Nordamerikas deutlich tiefer, als es momentan der Fall ist. Neben New York träfe es beispielsweise auch Dallas, das sich plötzlich 605 Meter unter dem Meer befände. Las Vegas ginge unter auf 1070 Meter unter Null, Los Angeles auf 1145 Meter und Phoenix gar auf 1324 Meter. Vor allem die aufgefalteten Gebirge wie die Rocky Mountains oder die Sierra Nevada blieben von der Überflutung verschont, obwohl sie ebenfalls schrumpfen würden: Der Mount Whitney in der Sierra Nevada – und seines Zeichens höchster Berg der festländischen USA außerhalb Alaskas – ginge von 4418 Metern ein auf nur noch 3620.

Doch es gibt auch Regionen, die ohne diesen Temperatureffekt höher lägen als gegenwärtig – die Küstenstadt Seattle beispielsweise. Sie sitzt auf einem Plattenstück, das nach Osten unter die Nordamerikanische Platte abtaucht und als ehemaliger Meeresboden vergleichsweise kühl ist. Dadurch wird die Region von heißeren Zonen unterhalb der Erdkruste isoliert und entsprechend tief gehalten. Würde dieser Einfluss nun entfernt, so heizte sich das Gesteinsmaterial unter Seattle auf, dehnte sich aus und würde leichter: Die Stadt stiege von quasi Null in Höhen von 1800 Metern auf.

Noch muss man sich aber um New York und Konsorten nicht sorgen, denn es dürfte einige Milliarden Jahre dauern, bis das Gestein sich so weit abgekühlt und damit verdichtet hat, dass es untergeht. Und selbst wenn diese Städte bis dahin überdauert haben sollten, werden sie nicht mehr versinken. Bis dahin hat sich die Sonne so aufgeheizt und ausgedehnt, dass die Meere lange schon schlicht verdampft sind.

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