Heißhunger: Wenn Darmbakterien Süßigkeiten fordern

Wir geben es vielleicht nur ungern zu, aber wir haben keine vollständige Kontrolle über unseren Körper. Bakterien können manchmal die Oberhand gewinnen. Das äußert sich in unserer Lust auf einen Keks oder auf eine Tasse süßen Tees. Laut einer aktuelle Studie in Nature Microbiology gibt es einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit eines verbreiteten Bakteriums im menschlichen Darm und der Menge an Zucker, die man zu sich nimmt. Die Ergebnisse könnten Forschenden helfen, neue Behandlungen für eine Vielzahl von Stoffwechselkrankheiten zu entwickeln.
Yong Q. Chen, Krebsbiologe an der chinesischen Jiangnan-Universität, und sein Team hatten die Rolle eines Rezeptors mit der Abkürzung FFAR4 (vom Englischen »free fatty acid receptor four«) im Fettstoffwechselprozess von Mäusen untersucht. Hierfür setzten sie die Nager zunächst auf eine fettreiche Diät. »Eines Tages schlug ich vor, zum Vergleich eine kohlenhydratreiche (zuckerhaltige) Diät auszuprobieren, und die Ergebnisse waren überraschend«, sagt Chen. »Wir hatten erwartet, dass ein Fettsäurerezeptor die Fettpräferenz regulieren könnte. Überraschenderweise reguliert er stattdessen das Verlangen nach Zucker.«
Das Team von Chen fand heraus, dass eine geringere FFAR4-Konzentration bei Mäusen mit einer größeren Vorliebe für zuckerhaltige Nahrung einherging. Die Forscher verglichen auch die FFAR4-Werte von Mäusen und Menschen mit Diabetes mit denen von Menschen ohne Diabetes, und es stellte sich heraus, dass FFAR4 in den Diabetesgruppen in deutlich niedrigeren Mengen vorhanden war. Hier kommt das Darmmikrobiom ins Spiel: Die Forschenden fanden auch heraus, dass Mäuse mit niedrigeren FFAR4-Werten außerdem eine geringere Menge der Darmmikrobe Bacteroides vulgatus besaßen.
Die Forschenden untersuchten, was es mit diesem Bakterium auf sich haben könnte, und stellten fest, dass ein von B. vulgatus produzierter Metabolit, Pantothensäure – besser bekannt als Vitamin B5 – die Produktion des Hormons GLP-1 auslöst, das den Appetit reguliert. Mit anderen Worten: Weniger FFAR4 bedeutet weniger B. vulgatus, weniger Pantothenat und weniger GLP-1.
Dieses neu entdeckte Zusammenspiel von Rezeptoren, Hormonen und Appetit offenbart nur einen der heimlichen Wege, auf denen unsere Darmbakterien uns gesund halten.
»Es freut mich, dass die Studie weitere Beweise für die intrinsischen Interaktionen zwischen Wirt und Mikrobiom liefert«, sagt Sergueï O. Fetissov, Physiologe an der Universität Rouen in der Normandie in Frankreich. Er war nicht an der Studie beteiligt. Das Verständnis dafür, wie B. vulgatus mit unserer Vorliebe für Zucker zusammenhängt, ist seiner Meinung nach »eine wichtige Erkenntnis«, da sie neue Behandlungsmöglichkeiten für Typ-2-Diabetes eröffnen könnte.
Aber es gibt immer noch unbeantwortete Fragen. B. vulgatus ist nicht die einzige Mikrobe, die die GLP-1-Produktion beeinflusst; das Team von Fetissov hatte zuvor herausgefunden, dass auch Escherichia coli die Freisetzung von GLP-1 stimuliert. Der Vergleich von B. vulgatus mit anderen GLP-1-regulierenden Faktoren müsse weiter erforscht werden, sagt Chen.

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.