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News: Hessen testet elektronische Fußfessel

Seit 1997 läuft in Deutschland eine zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis kontrovers geführte Debatte über die Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests, den es zum Beispiel in Schweden nun seit einem Jahr als Alternative zu kurzen Gefängnisstrafen gibt und dort allgemein akzeptiert wird. Davor wurde diese 'Intensivüberwachung mit elektronischer Kontrolle' in dem skandinavischen Land fünf Jahre lang versuchsweise erprobt. Auch in Holland, England/Wales und der Schweiz gibt es entsprechende Projekte. Jetzt wird ein solcher Versuch erstmals auch in Deutschland begonnen: Das Land Hessen startete am 2. Mai 2000 einen zweijährigen Modellversuch, in dessen Rahmen die 'elektronische Fußfessel' an Straftätern erprobt wird.
Grundsätzlich ist die Fußfessel als Alternative für verschiedene Sanktionen im Gespräch wie beispielsweise als Ersatz der Untersuchungshaft oder der Ersatzfreiheitsstrafe, als Aussetzung eines Strafrests zur Bewährung, als Bewährungsweisung oder als Vollzugsmodifikation. Generelle Ziele sind Haftvermeidung und Reduzierung von Stigmatisierung der Straftäter, das Vermeiden der "schädlichen" Nebenwirkungen von Inhaftierung, Kosteneinsparungen, Entlastung des Strafvollzugs sowie eine Stabilisierung der Selbstkontrolle des Verurteilten.

Bei der Fußfessel handelt es sich um einen kleinen Peilsender, der an Hand- oder Fußgelenk getragen wird und den jeweiligen Standort des Trägers an einen Zentralcomputer übermittelt und registriert, wenn sich der Täger zu den jeweils vereinbarten Zeiten in seiner Wohnung aufhält. Für die Überwachung ist ein Sozialarbeiter zuständig, der eigens für die Dauer des Experiments eingestellt wurde.

Im Rahmen des Modellprojekts, das unter der Leitung von Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg wissenschaftlich begleitet wird, ist geplant, zunächst zu beobachten und zu untersuchen, wie der Entscheidungs- und Auswahlprozeß der "Test"-Personen verläuft. Dazu sollen zu Beginn alle Entscheidungsträger – Richter, Staatsanwälte und Sozialarbeiter – interviewt werden. Zudem werden die Akten aller grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft als möglicherweise in Betracht kommende Teilnehmer des Modellprojekts untersucht. Der Verlauf des elektronisch kontrollierten Hausarrests wird über den in die Betreuung und Überwachung einbezogenen Sozialen Dienst erfaßt. Weitere Informationen dazu werden eingeholt in Interviews mit den elektronisch Überwachten selbst, und zwar zu Beginn der Überwachung, in der Mitte und nach Beendigung beziehungsweise nach Abbruch des Hausarrests sowie zwölf Monate nach Beendigung des Modellversuchs. Kurzinterviews mit ausgewählten Familienmitgliedern sollen aufzeigen, welche Erwartungen zu Beginn mit dem neuen Sanktionsinstrument verbunden wurden und welche Probleme auftraten.

Die Ergebnisse der eigentlichen Untersuchungsgruppe sollen mit denen von Kontrollgruppen verglichen werden, die nach wesentlichen Merkmalen, nämlich Vorstrafen, Delikt, Strafe, Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit/ethnische Zugehörigkeit, Schulbildung, Ausbildung/Beruf, Arbeitsstatus, Wohnort der Experimentalgruppe nachgebildet sind und einmal aus Frankfurt, zum anderen aus Gerichtsbezirken stammen, die durch das Experiment nicht betroffen sind. Die zur Kontrollgruppe gehörenden Personen werden auf der Grundlage ihrer Strafakten analysiert. Eine weitere Kontrolle wird eingeführt mit dem Aufbau einer Untersuchungsgruppe, die sich aus Personen mit hohen Geldstrafen, Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung sowie kürzeren unbedingten Freiheitsstrafen zusammensetzt. Wieder anhand der Strafakten wollen die Forscher des Freiburger Max-Planck-Instituts herausfinden, welcher (Unter-)Gruppe die Experimentalgruppe am nächsten ist. Zwei bis drei Jahre nach Abschluß der Ersterhebung soll schließlich über das Bundeszentralregister festgestellt werden, ob und wie viele Personen rückfällig geworden sind.

Internationale rechtsvergleichende Analyse

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat sich auf seine Aufgabe der wissenschaftliche Begleitung gründlich vorbereitet. Nach einer rechtsvergleichenden Analyse der Sanktionssysteme in Schweden und Deutschland, wobei die Regelung des elektronisch überwachten Hausarrests in Schweden im Vordergrund stand, wurden in einem weiteren Schritt – im Rahmen einer Doktorarbeit von Rita Haverkamp – empirische Untersuchungen in Deutschland und Schweden vorgenommen. Anhand von Fragebögen wurden die Einstellungen von Praktikern zum elektronischen Hausarrest in Schweden und Deutschland erhoben, um die Unterschiede zwischen den in Deutschland damit verknüpften Erwartungen und den in Schweden gemachten Erfahrungen gegenüberzustellen und zu interpretieren.

Von den 817 in Schweden befragten Experten – Strafrichtern, die keine Entscheidung über den elektronisch überwachten Hausarrest treffen, Leitern von regionalen und lokalen Strafvollzugsbehörden sowie mit der Durchführung befassten Bewährungshelfern – antworteten 442, von den 1 202 in Deutschland an Strafrichter in Amts- und Landgerichten, Staatsanwälte, Leiter von Justizvollzugsanstalten sowie Bewährungshelfer verschickten Fragebögen kamen 541 zurück, 522 waren verwertbar. Dabei zeigte sich, dass die Deutschen einer elektronischen Überwachung recht aufgeschlossen gegenüberstehen: 68 Prozent der Befragten halten die Anwendung für "denkbar" oder sogar "wünschenswert". Nur 15 Prozent lehnen die Einführung des elektronischen Hausarrests ganz ab, vier Prozent sind unschlüssig und 13 Prozent nehmen eine kritische Haltung ein.

Wichtigstes Ziel dieses neuen Verfahrens ist für die meisten Befragten (82 Prozent) die Vermeidung von Freiheitsentzug. Daran knüpft sich die Erwartung, die Überbelegung in den Gefängnissen zu verringern und Kosten einzusparen. Am häufigsten wird der elektronische Hausarrest als Alternative zur Strafaussetzung auf Bewährung und zur unbedingten Freiheitsstrafe zwischen drei und sechs Monaten genannt. "Die elektronische Überwachung könnte somit als Bindeglied zwischen Strafaussetzung zur Bewährung und Gefängnis fungieren", sagt Haverkamp vom Freiburger Max-Planck-Institut. Allerdings eignen sich nach Ansicht der meisten Befragten vor allem sozial integrierte Täter mit geringem Risiko für die elektronische Überwachung, also Personen, die nicht unbedingt zur typischen Anstaltsklientel gehören.

Dieses Ergebnis stützen auch ausländische Untersuchungen, in denen festgestellt wird, dass elektronische Hausarrest-Programme die besten Erfolgschancen mit dieser Tätergruppe haben. Der Vergleich mit Schweden zeigt, dass es dort deutlich mehr Befürworter gibt als in Deutschland. Nach Auffassung der Strafrechtler des Freiburger Max-Planck-Instituts beruhen diese Unterschiede allerdings darauf, dass die deutschen Befragten ihre Ansicht zu einer Einführung beziehungsweise Einführbarkeit des elektronischen Hausarrests äußern, während es in Schweden um die Beurteilung des Erfolges des Projekts geht. Denn die Befragung in Schweden fand im Herbst 1998 statt.

Seit 1994 lief in dem skandinavischen Land das Versuchsprojekt, in dessen letzter Phase (1997/98) die jetzt gültige gesetzliche Regelung ein Jahr lang erprobt wurde. Seit 1999 ist die so genannte Intensivüberwachung mit elektronischer Kontrolle Gesetz – als dauerhafte Alternative zum Strafvollzug kurzer Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten.

In der Zielsetzung der elektronischen Überwachung sind sich deutsche wie schwedische Experten ziemlich einig. Sie wollen vermeiden, dass Durchschnittsbürger, die wegen eines Delikts zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt wurden oder zu einer kurzen Gefängnisstrafe, diese tatsächlich im Gefängnis auch absitzen müssen. In Schweden ist das zum Beispiel eine ganz bestimmte Personengruppe, nämlich die wegen Trunkenheit am Steuer zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilten Autofahrer.

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