Neurobiologie: Heute schon gegähnt?
Gegähnt wird im ganzen Tierreich, doch nur der Mensch kann seine Zeitgenossen dabei anstecken, so die einhellige Meinung der Forscher. Die Schimpansen-Damen Ai und Mari sind anderer Ansicht.

© Tetsuro Matsuzawa, PRI, Kyoto University (Ausschnitt)
© Tetsuro Matsuzawa, PRI, Kyoto University (Ausschnitt)
Mensch, ... | Schimpansen-Dame Ai schaut Videos von gähnenden Artgenossen.
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.. Gähnen ... | So richtig begeisternd scheint sie ihre filmischen Gegenüber nicht zu finden.
© Tetsuro Matsuzawa, PRI, Kyoto University (Ausschnitt)
... ist vielleicht ... | Oder reagiert sie wie Menschen auf gähnende Artgenossen?
© Tetsuro Matsuzawa, PRI, Kyoto University (Ausschnitt)
... ansteckend! | Offensichtlich: Gähnen steckt auch Schimpansen an.
Und damit stellt sich einmal mehr die Frage hinter dem Sinn des Ganzen. Der Erklärungsansätze gibt es einige: Es aktiviert Muskeln und Kreislauf – wie wach macht es doch, sich morgens so richtig herzhaft gähnend zu räkeln –, signalisiert aber auch Müdigkeit, Langeweile, einen vollen Magen oder gespannte Erwartung: Viele Tiere gähnen besonders häufig vor Fütterungszeiten – und das Löwenrudel vor der gemeinsamen Jagd. Alles in allem also häufig ein sozialer Hintergrund, bei dem ohne Worte die Stimmung innerhalb einer Gruppe signalisiert wird.
Beim Menschen kommt noch die Ansteckung hinzu, die ihrerseits, so lassen neuere Studien schließen, mit dem Maß an Empathie zusammenhängt, das eine Person empfinden kann: Sehr ein- oder mitfühlende Menschen reagieren deutlich ausgeprägter auf gähnende Zeitgenossen und lassen sich eher zum Mitgähnen anstiften als verschlossenere Individuen. Ein Händchen im Spiel hat hier auch noch das Selbstbild, das jeder von sich hat.
Und die Schimpansen? Sie haben, das zeigt nicht nur die meist zitierte Selbsterkenntnis des Spiegelbildes, ebenfalls ein Selbstbewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes – und nur, wer sein Selbst erkennt, ist in der Lage, zwischen sich und anderen zu differenzieren, auch was Gefühle betrifft. Nun, an Gefühlen von Schimpansen gegenüber ihren Artgenossen ist nun wirklich nicht zu zweifeln, weshalb sie also ebenso unterschiedlich empathisch sein dürften wie ihre mager behaarten nächsten Verwandten – und damit genauso verschieden gähnfreudig und ansteckungsgefährdet wie wir. Ai und Mari haben uns daher wohl weniger die gähnende Langeweile des Nachmittags, als vielmehr ihr großes Herz präsentiert.
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