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Möglicher Energiespeicher: Hexastickstoff ist das energiereichste jemals hergestellte Molekül

Hexastickstoff ist doppelt so energiereich wie der stärkste Sprengstoff – und sollte sofort zerfallen. Doch das neu entdeckte Molekül hat eine entscheidende Besonderheit, die es womöglich sogar zu einem neuen Energieträger macht.
Eine chemische Molekülstruktur mit sechs violetten Kugeln, die durch graue Stäbe verbunden sind, schwebt vor einem Hintergrund aus blauem Himmel und weißen, flauschigen Wolken. Je drei Kugeln sind in einer Linie angeordnet, beide Dreiergruppen sind durch eine gewinkelte Bindung gegeneinander versetzt.
Hexastickstoff besteht nicht wie Luftstickstoff aus drei N2-Elementen, sondern aus zwei N3-Bausteinen. Sie bewirken die Stabilität der ungewöhnlichen Verbindung.

Eigentlich sollte dieses neue Molekül gar nicht existieren. Man würde erwarten, dass Hexastickstoff (N6) sofort zum äußerst stabilen Distickstoff (N2) zerfällt. Doch tatsächlich ist es nun einem Team um den Chemiker Peter R. Schreiner von der Universität Gießen gelungen, den scheinbar unmöglichen Stoff herzustellen und sogar rein zu gewinnen. Hexastickstoff ist nicht nur eine ganz neue Form des Elements Stickstoff, sondern gleichzeitig das energiereichste jemals hergestellte Molekül. Wie die Arbeitsgruppe jetzt in der Fachzeitschrift »Nature« berichtet, enthält es rund doppelt so viel Energie wie der stärkste bekannte chemische Sprengstoff Oktogen. Dennoch ist es bei –196 Grad Celsius so stabil, dass man es langfristig lagern kann. Damit könnte es als Basis für Hochenergiematerialien wie Raketentreibstoff oder als Energiespeicher dienen.

Der Schlüssel zur unerwarteten Stabilität des Hexastickstoffs liegt in einer kleinen Feinheit seiner Struktur. Das Molekül ist nicht aus drei N2-Einheiten aufgebaut, sondern aus zwei N3-Bausteinen. Diese so genannte Azidogruppe ist für sich genommen stabil und kommt in vielen chemischen Verbindungen vor. Und damit ist eine Verbindung zweier Azidogruppen eben auch stabil – zumindest so einigermaßen. Bei Raumtemperatur überlebt es rund 36 Millisekunden. Das reiche aus, um es einzufangen und zu untersuchen, erklärt Schreiner laut einer Pressemitteilung der Universität. Das Team stellte das Molekül her, indem es Silberazid – das einen N3-Baustein enthält – mit Chlor reagieren ließ. Dabei entsteht Chlorazid, das mit weiterem Silberazid zu Silberchlorid und zwei miteinander verknüpften Azidogruppen reagiert – Hexastickstoff.

Dem Team um Schreiner gelang es, das Molekül bei –196 Grad Celsius als dünne Schicht zu gewinnen. Diese Temperatur ist nicht zufällig gewählt – sie entspricht der von flüssigem Stickstoff, einem gängigen Kühlmittel. Damit kann der außergewöhnlich energiereiche Stoff mit herkömmlicher Technik stabil gelagert und womöglich sogar technisch eingesetzt werden. Als Raketentreibstoff ist Hexastickstoff zum Beispiel nicht nur deswegen interessant, weil er sehr viel Energie enthält, sondern weil er, anders als das verbreitete Hydrazin, weder giftig noch aggressiv ist. Und bei seiner Verbrennung zerfällt es in das ungiftige Molekül Distickstoff, das rund 80 Prozent der Atmosphäre ausmacht. Entsprechend ist es für alle Arten von Energiespeichern interessant – sofern es gelingt, die enthaltene Energie kontrolliert freizusetzen.

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  • Quellen
Quian, W. et al., Nature 10.1038/s41586–025–09032–9, 2025

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