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Genetik: Hinweise auf ein zweites "Sprachgen" entdeckt

Eine Familie mit Sprachstörung führt Forscher auf die Spur eines zweiten "Sprachgens".
DNA-Doppelhelix

Im Jahr 1998 wurden Wissenschaftler in Großbritannien auf eine rätselhafte, erbliche Sprachstörung aufmerksam, von der zahlreiche Mitglieder einer Londoner Familie betroffen sind. Als Auslöser erwies sich eine Mutation im Gen FOXP2, das daraufhin umgangssprachlich "Sprachgen" getauft wurde: Als einziges bis dahin bekanntes Gen war es offenbar eng mit der Sprachfähigkeit des Menschen verknüpft. Umfangreiche Forschungsprogramme haben mittlerweile ergeben, dass es an mehreren Stellen in die Gehirnentwicklung eingreift – wie sich dies auf die Sprachbeherrschung auswirkt, ist allerdings noch offen.

Nun scheint es, als könnten Wissenschaftler der knappen Liste ein zweites eindeutiges "Sprachgen" hinzufügen. Wie das Team um Josie Briscoe von der University of Bristol berichtet, leiden die Angehörigen einer Familie mit dem Kürzel "JR" unter einer gleichfalls erblichen Sprachstörung, die sich auf ihre Fähigkeit auswirkt, Wörter mit ihrer Bedeutung zu verknüpfen.

So fällt es den acht bekannten Betroffenen schwer, sich Wortlisten zu merken oder lange Sätze korrekt wiederzugeben – die Familienmitglieder neigen dazu, Wörter des Originals durch sinnverwandte zu ersetzen. Erfundene Unsinnswörter können sie sich allerdings genauso gut merken wie Vergleichspersonen ohne die Störung.

Im Alltagsleben äußere sich die Einschränkung darin, dass ihnen häufig Wörter "auf der Zunge lägen", ohne dass sie den passenden Ausdruck fänden, so Briscoe und Kollegen. Nach eigenen Angaben hätten die Familienmitglieder verschiedene Strategien entwickelt, um ihr wiederkehrendes Unvermögen zu kaschieren. Davon abgesehen seien die Betroffenen jedoch durchaus sprachbegabt und zu einer völlig normalen Konversation in der Lage. Auch bei allgemeinen Intelligenztests zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten.

Die Erblichkeit der Störung wurde nur durch Zufall entdeckt, als der sechsjährige Sohn das Institute of Child Health am University College London aufsuchte und dort von David Skuse wegen seiner Wortfindungsstörungen untersucht wurde. Angehörige machten den Forscher darauf aufmerksam, dass die Sprachschwierigkeiten in der Familie keine Seltenheit darstellten, was Skuse – Hauptautor der aktuellen Studie – zu weiteren Nachforschungen veranlasste.

Computertomografische Aufnahmen des Teams ergaben nun, dass die Betroffenen signifikant weniger graue Substanz – also Nervenzellkörper – in zwei Bereichen aufweisen: dem inferioren temporalen Kortex und dem Gyrus fusiformis. Beide Areale sind mit Aufgaben der Wortverarbeitung und Semantik betraut.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche Erbgutveränderungen der dominant vererbten Sprachstörung zu Grunde liegen. Sollte sich herausstellen, dass tatsächlich wie im Fall von FOXP2 nur ein einziger Erbfaktor betroffen ist, wird dies mit Sicherheit zu einer ganzen Palette weiterer Untersuchungen Anlass geben. Insbesondere der Vergleich der Gensequenzen bei Verwandten des Homo sapiens oder anderen Säugetieren könnte womöglich Anhaltspunkte geben, ab wann der Mensch die genetische Ausstattung für Sprache besaß und welche neuronalen Bedingungen dafür vorliegen müssen.

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