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Welt-Aids-Tag: HIV-»Wundermittel« womöglich weniger wirksam als gedacht

Mit der richtigen Therapie können HIV-Infizierte heute weitgehend normal leben. Das Mittel der Wahl laut der Weltgesundheitsorganisation: Dolutegravir. Doch es zeigt Schwächen.
Neun von zehn Kindern im Alter von 0 bis 19 Jahren, die HIV haben, leben in Afrika südlich der Sahara.

Dolutegravir ist derzeit das Mittel der ersten Wahl, um eine Ansteckung mit dem HI-Virus zu behandeln. Doch in der Region Afrikas südlich der Sahara könnte es nicht so wirksam sein wie erhofft. Das zeigt eine aktuelle Studie im Magazin »Nature Communications«, die ein Forscherteam am Welt-Aids-Tag veröffentlicht hat. Demnach ist das Mittel bei einer bedeutenden Anzahl von Patienten möglicherweise nicht so wirksam, die auch gegen eine andere wichtige Klasse antiretroviraler Medikamente resistent sind.

Bislang gibt es weder eine HIV-Impfung noch ein Heilmittel. Im Jahr 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dolutegravir als die bevorzugte Erstlinienbehandlung für HIV in den meisten Bevölkerungsgruppen empfohlen. Frauen im gebärfähigen Alter und Schwangere sollten wenn möglich eine darauf basierende HIV-Therapie bekommen.

Manch einer bezeichnete Dolutegravir als Wundermittel, weil es sicher, wirksam und kosteneffektiv war und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in klinischen Studien bislang keine Resistenz gegen das Medikament festgestellt hatten. Es gab jedoch lange Zeit nur wenige Daten über den Erfolg von Dolutegravir gegen zirkulierende HIV-Stämme in Afrika südlich der Sahara. Die aktuelle Studie aus »Nature Communications« ändert das.

»Weit reichende Auswirkungen auf Vorhersagen zur langfristigen Kontrolle« möglich

Für die Publikation hat ein internationales Team den genetischen Code von HIV untersucht. Sie wollten feststellen, ob Mutationen der Arzneimittelresistenz bei 874 mit HIV lebenden Freiwilligen den Behandlungserfolg beeinträchtigten. Die Personen wurden in eine klinische Studie aufgenommen, die zwei Arzneimittelgruppen vergleichen sollte: Dolutegravir sowie Efavirenz, das vorherige Mittel der ersten Wahl in der Region. Ziel dieser Studie war es, festzustellen, ob eine Resistenz gegen Efavirenz vor Behandlungsbeginn den Behandlungserfolg während der ersten zwei Jahre der Therapie mit diesen beiden Schemata beeinflusst.

Was sind HIV und Aids?

Jedes Jahr am ersten Dezember ist Welt-Aids-Tag. Der Tag soll daran erinnern, dass das Humane Immunschwäche-Virus HIV seit seiner Entdeckung in den 1980er Jahren kaum etwas von seinem Schrecken verloren hat. HIV dringt in die Zellen der körpereigenen Immunabwehr und zerstört sie. Bleibt die Infektion unbehandelt, wird das Immunsystem mit der Zeit immer schwächer. Unbehandelt führt das zu Aids. Der Körper baut ab, selbst harmlose Bakterien und Viren stellen für Betroffene eine Gefahr dar. Weil die Krankheit nicht heilbar ist, führt sie irgendwann zum Tod.

Rund 38 Millionen Menschen weltweit lebten Schätzungen zufolge Ende 2019 mit HIV. 1,7 Millionen davon hatten sich in dem Jahr neu angesteckt. Insgesamt sind seit Beginn der Epidemie mehr geschätzt als 32 Millionen an den Folgen einer aidsverwandten Krankheit gestorben.

Wie erwartet, verringerten vorhandene Resistenzen die Chancen auf einen Behandlungserfolg bei Personen, die Efavirenz einnahmen, erheblich. Doch dasselbe war bei Probandinnen und Probanden Dolutegravir-Gruppe zu beobachten.

Es habe völlig überrascht, »dass Dolutegravir bei Menschen mit diesen resistenten Stämmen ebenfalls weniger wirksam sein würde«, sagt Mark Siedner vom Africa Health Research Institute in KwaZulu-Natal, Südafrika, in einer Pressemitteilung. Nun arbeite das Team daran, herauszufinden, ob dies auf das Virus oder die Teilnehmer zurückzuführen ist. Etwa weil Menschen mit einer Resistenz weniger wahrscheinlich regelmäßig ihre Pillen nehmen. »So oder so«, sagt er, »wenn dieses Muster zutrifft, könnte es weit reichende Auswirkungen auf unsere Vorhersagen zur langfristigen Kontrolle der Behandlung von Millionen von Menschen, die Dolutegravir in der Region einnehmen, haben.« Weitere Tests mit Betroffenen vor Ort sind deshalb dringend nötig.

Immer mehr Betroffene wissen nichts von ihrer Infektion

Weltweit lebten Ende des Jahres 2019 laut der WHO 38 Millionen Menschen mit HIV. Wegen der Coronavirus-Pandemie könnte es bis Ende 2022 fast 300 000 zusätzliche HIV-Infektionen geben, und fast 150 000 Infizierte könnten zusätzlichen sterben, heißt es im UNAIDS-Bericht zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember.

Überall gibt es immer mehr Betroffene, die nichts von ihrer Infektion wissen. Sogar in Europa werde mehr als die Hälfte der Infektionen erst in einem späten Stadium diagnostiziert, wenn das Immunsystem bereits angefangen habe zu versagen, berichten das Europa-Büro der WHO und die EU-Gesundheitsbehörde ECDC. Vier Fünftel der neu Diagnostizierten lebten im östlichen Teil der Region. Sie umfasst 900 Millionen Menschen in 53 Ländern, darunter neben den EU-Ländern etwa auch Russland, die Türkei und Usbekistan.

In Deutschland lebten nach Schätzungen Ende 2019 rund 90 700 HIV-Infizierte, darunter knapp 11 000 ohne davon zu wissen. Etwa 3100 Menschen wurden trotz HIV-Diagnose nicht behandelt. 96 Prozent der HIV-Infizierten erhalten eine antiretrovirale Therapie. Sie ist laut Robert Koch-Institut fast immer erfolgreich – die Menschen sind dann nicht mehr ansteckend.

Sorge, sich mit HIV angesteckt zu haben?

Wer Symptome bei sich beobachtet, sollten sich an einen Arzt oder eine Beratungsstelle wenden. Zudem ist vorsichtshalber auf Sex zu verzichten. Ansprechpartner finden Sie etwa bei der Deutschen AIDS-Hilfe oder in der Datenbank der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

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