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Botanik: Arterhaltung in Eigenregie

Vom Klimawandel bis zur Grenzmauer - die Buschlandvegetation im südlichen Texas ist bedroht. Ein autodidaktischer Naturkundler nimmt die Rettung der Pflanzen selbst in die Hand.
Ethnobotaniker Benito Treviño auf seinem Grundstück Rancho Lomitas

An einem feuchtwarmen Nachmittag im Mai 2018 sitzt Benito Treviño in der Gärtnerei seiner Ranch in Südtexas unter einem Sonnensegel. Er beugt sich über einen etwa tennisballgroßen kuppelförmigen Kaktus. Mit Hilfe eines Taschenmessers und einer Vergrößerungsbrille, die über seinem üppigen, grau melierten Schnurrbart sitzt, entfernt er einen knollenförmigen Auswuchs von der Pflanzenspitze. Er zerteilt ihn auf einem weißen Pappteller, und heraus springen viele napfförmige rot-braune Samenkörnchen. Treviño sortiert sie mit der stumpfen Seite seines Messers zum Zählen in kleine Häufchen. Mit dem Inhalt der Samenkapseln von zwei weiteren kürzlich bestäubten Kakteen zählt er insgesamt 265 Stück – keine schlechte Ausbeute. Er fügt sie zu den am Tag zuvor gesammelten 160 Samen hinzu.

Treviño notiert Datum und Anzahl auf einem kleinen Briefumschlag und füllt die Samenkörner mit einem Teelöffel hinein. Wenn er in diesem Tempo weitermachte, würden in seiner Gärtnerei schon bald Hunderte von Seeigelkakteen (Astrophytum asterias) heranwachsen. Die winzigen Minikakteen wären nicht viel größer als die Samen, aus denen sie keimten. Innerhalb von drei Jahren würden sie zu Knöpfen in der Größe europäischer Zwei-Cent-Münzen heranreifen und nach acht oder zehn Jahren zu ähnlich großen Exemplaren gedeihen wie jene Kakteen, die ihm den heutigen Samenvorrat lieferten.

Es ist ein entscheidender Moment für Treviño, der versucht, vom Aussterben bedrohte Pflanzen des südlichen Texas zurückzugewinnen. Damit will er eine Schuld begleichen und ein Vermächtnis aussäen.

Seeigelkaktus | Benito Treviño pflückt eine Samenkapsel von einem bedrohten Seeigelkaktus, den er in seinem Gewächshaus fremdbestäubt hat.
Samenkapsel des Seeigelkaktus | Treviño sammelt, zählt und keimt die Samen, um Setzlinge zu produzieren. Die versorgt er in seinem Gewächshaus, bis sie groß genug sind, um an einer geeigneten Stelle auf der Rancho Lomitas gepflanzt zu werden.

»Wenn ich irgendetwas für Pflanzen tun kann, dann soll es etwas Sinnvolles zum Schutz gefährdeter Arten sein – beispielsweise herausfinden, wie man sie zum Keimen bringt, damit dies auch andere tun können«, erklärt der 71-Jährige. »Wenn ich eines Tages sterben muss, kann ich vorher hoffentlich noch sagen: ›Kennst du diese Art? Als ich 74 Jahre alt war, stand sie kurz vor dem Aussterben, und jetzt findet man sie überall.‹«

Solch ehrgeizige Bestrebungen waren in der Vergangenheit umstritten. Nach der allgemein akzeptierten Vorstellung sollten Menschen, insbesondere Personen wie Treviño, die keinen akademischen Titel besaßen oder nicht im Auftrag der Regierung tätig waren, gefährdete Pflanzen besser in Ruhe lassen. Inzwischen vertreten Fachleute jedoch einen anderen Standpunkt. Treviños Geschichte unterstreicht, wie bedeutungsvoll unabhängige Naturliebhaber für die Arbeit von Wissenschaftlern und staatlichen Behörden wie den U.S. Fish and Wildlife Service sein können. Wie aber die Einbindung der Laienforscher konkret aussehen soll, verändert sich ständig. Auf diesem Gebiet stoßen Gesetzesvorschriften und leidenschaftliches Engagement bisweilen heftig aneinander. Darüber hinaus handelt es sich in Treviños Fall nicht um ein rein berufliches Projekt. Der Mann ist Ethnobotaniker und mit seiner selbst gewählten Lebensaufgabe in geradezu einzigartiger Weise verbunden. Er blickt jeden Tag auf seine Kindheit zurück und erzählt den Menschen in seiner Umgebung: »Pflanzen wie diese haben mir das Überleben ermöglicht.«

Das texanische Grenzland, in dem Treviño lebt, war jahrhundertelang hart umkämpftes Terrain. Um eine Pufferzone gegenüber anderen Kolonialmächten zu errichten, begann die Spanische Krone Mitte des 18. Jahrhunderts, den Bewohnern staatliche Ländereien zur Bewirtschaftung zuzuweisen. Treviños Vorfahren gehörten zu den Siedlern, deren Grundstücke (»porciónes«) sich wie schmale Finger durch die charakteristische Dornbuschvegetation des mexikanischen Bundesstaats Tamaulipas vom Rio Grande aus nach Norden erstreckten. Vermutlich eigneten sich die Kolonisten mit Hilfe der einheimischen Coahuiltec, die sie gerade aus deren Stammesland vertrieben, jenes Wissen an, das für Treviños Familie während seiner Kindheit unentbehrlich wurde: welche Büsche, Bäume und Früchte als Nahrungsmittel oder Heilpflanzen verwendet werden konnten und wie man aus heimischen Sukkulenten und Gräsern verschiedene Werkzeuge herstellte.

Als Treviño – das siebte von insgesamt 15 Kindern – zur Welt kam, hatte seine Familie bereits einen Großteil des Landbesitzes ihrer Vorfahren verkauft, um ihre Schulden zu begleichen. Auf der verbleibenden Landfläche machten sie ausgiebig von den heimischen Wildpflanzen Gebrauch. Sie sammelten Weidenrinde zur Behandlung von Kopfschmerzen und faserreiche Agavenblätter zur Herstellung von Lassos und Kleidung. Sie brannten die Dornen des Feigenkaktus ab und aßen seine wohlschmeckenden Triebe und die saftigen, pinkfarbenen Früchte. Ihre pflanzlichen Arzneien süßten sie mit der fruktosereichen Rinde des Mesquitebusches, dessen Samen sie zu Mehl zerrieben und dessen Blätter sie bei Verdauungsstörungen kauten. Mit seinen Eltern und Geschwistern verdiente Treviño sich den Lebensunterhalt als Wanderarbeiter auf Farmen; sie pflückten Baumwolle in Texas sowie Obst und Gemüse in Kalifornien. Die Familie führte ein hartes und entbehrungsreiches Leben, das größtenteils auf den heimischen Pflanzen beruhte.

Texas-Longhorn-Rinder | Benito Treviño hält eine kleine Herde Texas-Longhorn-Rinder, um seinen Tourgästen nahezubringen, wie bedeutend die Rasse in der Geschichte des Staats einmal war. Außerdem fressen die Tiere invasive Gräser, so dass einheimische Arten wie etwa das Büffelgras Buchloe dactyloides und Grama-Gräser (Bouteloua sp.) eine Chance haben zu gedeihen.

Doktortitel in Armut

»Ich bin ein Experte für Armut, auf diesem Gebiet besitze ich sozusagen einen Doktortitel. Einmal habe ich gezählt, wie viele aufeinander folgende Tage wir ohne Essen auskommen mussten – es waren drei«, erinnert sich Treviño. Aus Mangel an Zukunftsperspektiven schloss er sich 1966 der Air Force an. Der Vietnamkrieg hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht, doch Treviño wurde in eine für Nuklearwaffen zuständige Abteilung eingeteilt und war daher nicht an Kampfeinsätzen beteiligt. Als der Krieg vorüber war, schrieb er sich im Rahmen der so genannten G. I. Bill, eines 1944 erlassenen Gesetzes, das Kriegsteilnehmern unter anderem den Zugang zu Universitäten gewährte, an der University of Texas in Austin ein.

»Seit ich ein Baby war, hatte ich eine enge Beziehung zu Pflanzen«, erzählt Treviño. »Zwar wusste ich anfangs nicht, was Botanik eigentlich war. Als ich allerdings entdeckte, dass man es als Hauptfach wählen konnte, sagte ich mir: ›Wow, genau das möchte ich machen.‹«

Sein Abschluss in Botanik bot Treviño allerdings nur wenige Möglichkeiten, einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen. Weil er aber Chemie als Nebenfach belegt hatte, bekam er im Labor des Ölkonzerns Atlantic Richfield Company (ARCO) einen Job. Dort lernte er seine zukünftige Frau Toni kennen, und Anfang der 1980er Jahre zogen die beiden nach Alaska. Die Ölfirma kam für sämtliche Kosten auf, und der größte Teil von Benitos und Tonis Gehältern floss direkt auf das gemeinsame Bankkonto. »Ich sagte zu Toni: ›Wir verdienen hier zwar eine Menge Geld, doch diese Arbeit ist nicht das, was ich eigentlich tun möchte‹«, berichtet Treviño. Tief in seinem Inneren träumte er davon, die Pflanzen seiner texanischen Heimat zu kultivieren, die ihn während seiner Kindheit ernährt hatten. »›Wahrscheinlich werde ich damit pleitegehen, denn wer will dieses Zeug schon kaufen? Es wächst ja von ganz allein. Ich möchte aber nun mal keine Rosen züchten.‹«

Das Ehepaar kehrte nach Starr County in Texas zurück. Die beiden erwarben ein 72 Hektar großes Grundstück, das elf Kilometer vom Ufer des Rio Grande entfernt lag, und gründeten Benitos Gärtnerei. Im Gegensatz zu benachbarten Ranches, deren Flächen man in Weide- oder Ackerland umgewandelt hatte, war Treviños Land nie in irgendeiner Weise bewirtschaftet worden. Ein Drittel bestand aus »ramadero«, einem üppig wuchernden Dickicht entlang der Seitenarme des Rio Grande. Diese Vegetation stellt einen idealen Lebensraum für wild lebende Tiere dar, unter ihnen gefährdete Wildkatzen wie der Ozelot (Leopardus pardalis) und der Jaguarundi (Puma yagouaroundi). »Monarchfalter (Danaus plexippus) nutzen das Gelände außerdem als Schnellstraße«, sagt Treviño augenzwinkernd. Er gab seinem Anwesen den Namen Rancho Lomitas – die Ranch der kleinen Hügel.

Schwarzkehltrupial (Icterus gularis) auf der Rancho Lomitas | Dank der einheimischen Vegetation und den Futterspendern, die Treviño auf seinem Grundstück unterhält, findet sich dort eine diverse Fauna. Er hat bisher 180 verschiedene Vogelarten gezählt.

Treviño liebt die üppige Artenvielfalt seines Grundstücks, auf dem er bereits 180 Vogel- und 117 Schmetterlingsarten gesichtet hat. Auch die bedrohten Texas-Krötenechsen sind dort zu finden, ebenso wie zahlreiche Frösche und Kröten, deren Rufe Treviño für seine Besucher nachahmt: das heisere »wo-ow, wo-ow, wo-ow« der gefährdeten Mexikanischen Grabkröte (Rhinophrynus dorsalis), das Meckern des Schafsfrosches (Hypopachus variolosus) und die wie ein Pressluftbohrer klingenden Laute der Aga-Kröte (Bufo marinus).

Der bekannteste Naturforscher im Rio Grande Valley

An einem späten Samstagvormittag erzählt Treviño den Teilnehmern einer ethnobotanischen Führung auf dem Gelände der Rancho Lomitas seine Lebensgeschichte. Die botanischen Exkursionen und seine regelmäßig stattfindenden Vorträge haben ihn zum »bekanntesten Naturforscher im Rio Grande Valley« werden lassen – so wurde er kürzlich in den Nachrichten des lokalen Fernsehsenders KVEO betitelt. »Benito ist unser stärkster Publikumsmagnet«, bestätigt Ken King, Vorsitzender des Native Plant Project, einer gemeinnützigen Vereinigung zur Erhaltung und Verbreitung der im Lower Rio Grande Valley heimischen Pflanzen. »Er kennt sich unglaublich gut aus, weil er alles, worüber er berichtet, selbst erlebt hat.«

Seile aus dem Blatt der Yucca | Während einer ethnobotanischen Tour auf der Rancho Lomitas entfernt Treviño die Fasern von einem Yuccablatt und führt vor, wie die Siedler des Grenzgebiets – und so auch seine Familie – Seile aus der Pflanze herstellten.
Benito Treviño zeigt auf Beeren des Amargosa-Strauchs (Castela erecta texana) | Seine Familie kochte die bitteren Beeren des Amargosa-Strauchs in Wasser und stellte so einen Trank her, den sie zur Heilung von Amöbenruhr nutze.
Das Innere der unreifen Frucht eines Opuntien-Kaktus | Wenn die Frucht reift, wird sie leuchtend rot. Dann ernten Benito Treviño und seine Frau Toni sie und stellen daraus einen süßen, pinken Saft her, den sie den Teilnehmern ihrer ethnobotanischen Führungen anbieten.

»Das hier ist Colima«, erklärt Treviño seinen Besuchern, während er auf einem tropfenförmigen Blatt herumkaut. Er hat es gerade von einem mit roten Beeren beladenen Strauch der Art Zanthoxylum fagara gepflückt. »Es schmeckt nach Limette und wirkt beruhigend. Wenn die Menschen krank waren und nicht schlafen konnten oder wenn eine ihrer Töchter mit einem Mann durchgebrannt war, gaben wir ihnen Colima, und sie beruhigten sich wieder.« Die Zuhörer lachen. Doch eigentlich dient die Exkursion einem ernsthafteren Zweck. »Unser Ziel ist es, Wissen zu verbreiten«, betont King. »Wir leben zunehmend von der Natur isoliert, und Benito ermuntert die Menschen, etwas dagegen zu unternehmen – etwa einen kleinen Bereich ihres Grundstücks oder Innenhofs zu bepflanzen, um heimische Insekten anzulocken, die ihrerseits weitere Tiere anziehen. Alles beginnt mit den Pflanzen.«

Treviños Popularität ist bezeichnend dafür, wie sich das Verhältnis der Menschen in Südtexas zu Pflanzen in den letzten 30 Jahren gewandelt hat. Als Treviño 1986 begann, von Schmetterlingen bevorzugte Gewächse wie etwa das Texas-Wandelröschen (Lantana urticoides) und das Texas-Silberblatt (Leucophyllum frutescens) als Heckengewächse zu kultivieren, »musste ich jede einzelne Pflanze fast sofort wieder abgeben«, erinnert er sich. Ganz allmählich entwickelte sich ein stärkeres Interesse für die einheimische Vegetation der südtexanischen Landschaft. Das Native Plant Project wurde gegründet. Lokale Gruppen von US-amerikanischen Naturschutzorganisationen wie der Audubon Society oder des Sierra Club begannen die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie man Gärten mit heimischen Pflanzen gestalten kann. Treviño war an allen Projekten beteiligt. Die Initiative zur Erhaltung der Pflanzenwelt war auch für den Schutz einzigartiger Tiere von besonderer Bedeutung, da ihnen die heimische Flora Nahrung und Zufluchtsmöglichkeiten bietet. Mehr als 95 der natürlichen Habitate im Lower Rio Grande Valley wurden nämlich zerstört.

Während einer ethnobotanischen Tour auf der Rancho Lomitas | Benito Treviño nutzt die grüne Schote des Mesquitebusches, um die Lage der ursprünglichen »porción« seiner Vorfahren zu zeigen – des Landes, das ihnen die Spanische Krone im 18. Jahrhundert zuteilte.

Zu jener Zeit kamen Treviño Neuigkeiten über eine Regierungsinitiative zu Ohren. Der dem US-Innenministerium unterstellte Fish and Wildlife Service kaufte ehemaliges Ackerland am Ufer des Rio Grande auf, um dort die ursprünglichen Habitate wiederherzustellen. Einzelne Landflächen sollten zu einem zusammenhängenden Wildtierkorridor verbunden werden, der dem Ozelot und anderen Wildtierarten ein sicheres Durchqueren dieser Gebiete ermöglichte. Das Lower Rio Grande Valley National Wildlife Refuge Revegetation Program wurde von Chris Best geleitet, einem Botaniker des Fish and Wildlife Service. Best beauftragte Gärtnereien vor Ort mit der Anzucht der nötigen Gewächse. Auch Treviño begann Pflanzen für das Renaturierungsprogramm anzubauen und zog Zehntausende von Setzlingen aus den Samen jener Hochlandarten an, in deren Umgebung er aufgewachsen war. Er kultivierte den Texanischen Dattelpflaumenbaum (Diospyros texana), aus dessen Früchten er gern Marmelade kocht, den Amargosa-Strauch (Castela erecta texana), dessen bittere Beeren seine Familie verwendete, um die entzündliche Darmerkrankung Ruhr zu heilen, und den »Lotebush« (Ziziphus obtusifolia) mit seinen grasartig schmeckenden Beeren, die er und seine Familie aßen, wenn sie hungrig waren. Auf seine Weise half Treviño mit, ein gemeinschaftliches Projekt zur Wiederherstellung der natürlichen Lebensräume auf den Weg zu bringen.

»Beim Fish and Wildlife Service kommen auf einen Botaniker, Ökologen oder Forstwirt etwa 75 Wildtierbiologen«, verdeutlicht Best. »Unter den 9000 Angestellten unserer Behörde gibt es nur eine Hand voll Leute wie uns. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, ein größeres Netzwerk von Personen aufzubauen, die sich mit einheimischen Pflanzen auskennen. Benito und ich haben uns regelmäßig über verschiedene Vermehrungstechniken ausgetauscht, ich musste ihn ziemlich oft anrufen«, berichtet der Botaniker.

Schließlich schlug der Fish and Wildlife Service Treviño für den Posten eines Umweltsachverständigen vor. Wenn Naturschutzprojekte auf staatseigenen Ländereien durchgeführt oder mit staatlichen Geldern finanziert werden, schreibt der Endangered Species Act, das Gesetz zum Schutz bedrohter Arten, die Beteiligung eines Gutachters vor. Dieser soll prüfen, ob in dem Gebiet gefährdete Arten vorkommen, und – wenn es sich um Pflanzen handelt – dafür sorgen, dass Schäden verhindert, minimiert oder abgemildert werden. »Weil Benito so ein umfangreiches Fachwissen besitzt und diese Gegend wie kein anderer kennt, liefern uns seine Gutachten wichtige Informationen«, unterstreicht Kim Wahl, die mittlerweile das Lower Rio Grande Valley National Wildlife Refuge Revegetation Program beim Fish and Wildlife Service leitet.

Lobbyarbeit in Washington

Treviños lebenslange Erfahrung mit der Ökologie der Grenzregion kam ihm auch bei seinen Werbetouren in Washington sehr gelegen. Dort plädierte er dafür, die Finanzmittel für die Errichtung des Wildtierkorridors aufzustocken. »Wie man sich nur zu gut vorstellen kann, war er ein äußerst effektiver Lobbyist«, bemerkt Jim Chapman, der ehemalige Präsident von Frontera Audubon, einem mitten in der Stadt Weslaco in Texas gelegenen Landschaftsschutzgebiets. Der staatliche Landerwerb entlang des Rio Grande ist allerdings in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Hinzu kommt, dass die von US-Präsident Trump geplante Grenzmauer höchstwahrscheinlich einen Teil des knapp 40 000 Hektar großen Naturschutzgebiets durchschneiden wird. Dennoch habe die Regierung der Förderung des Lower Rio Grande Valley National Wildlife Refuge viele Jahre lang höchste Priorität eingeräumt, wendet Chapman ein, was nicht zuletzt Treviños Bemühungen zu verdanken sei. »Wenn er von der Notwendigkeit spricht, die Pflanzengemeinschaften zu schützen, merkt man, dass das seine Lebensaufgabe ist. Ein solches Engagement findet man nicht alle Tage.«

Seiner intensiven Verbundenheit mit der südtexanischen Pflanzenwelt ist es zu verdanken, dass Treviño vor Kurzem sein bisher ambitioniertestes Projekt in Angriff genommen hat. Dieses Vorhaben droht jedoch Schwachstellen in seiner Beziehung zu den US-Regierungs- und Bundesstaatsbehörden ans Tageslicht zu bringen.

»865 000 Pflanzen habe ich mittlerweile aus Samen herangezogen; ich hatte mir vorgenommen, eine Million zu erreichen. Davon bin ich nicht mehr allzu weit entfernt, aber es waren ausschließlich gewöhnliche Pflanzen«, sagt Treviño. »Eigentlich wollte ich immer Pflanzenarten anbauen, die besonders gefährdet sind. Als ich 70 Jahre alt wurde, dachte ich mir: ›Jetzt schraube ich das Ganze hier massiv zurück und tue das, was mir wirklich am Herzen liegt.‹«

Das war zum Teil einer Notlage geschuldet. Einige Jahre zuvor hatte ihn ein Freund aus Highschool-Zeiten zu einem Fest – einer so genannten Pachanga – auf seine Ranch eingeladen. »Als ich dort durchs Gebüsch streifte, habe ich viele Seeigelkakteen gesehen. Das ganze Gelände war voll davon«, erinnert sich Treviño. Dieser dornenlose, aus acht dreieckigen Segmenten bestehende Kaktus erhielt seinen Namen wegen der verblüffenden Ähnlichkeit mit dem inneren Kalkskelett eines Seeigels. Eigentlich liegt sein Hauptverbreitungsgebiet in Mexiko. Nördlich der Grenze kann der Seeigelkaktus nur im texanischen Starr County und Zapata County existieren, wo sein Lebensraum allerdings als Folge von Landwirtschaft, Siedlungsbau und der Öl- und Gasexploration immer kleiner wird.

»Die Biologin des Texas Parks and Wildlife Department hatte mir einmal gesagt, ihr schönstes Weihnachtsgeschenk wäre es, einen Seeigelkaktus in freier Natur zu sehen«, berichtet Treviño. In jenem Winter nahm er sie daher zur Ranch seines Freundes mit – nur um festzustellen, »dass Wilderer alle Kakteen ausgegraben hatten. Nur ein einziger kleiner Knopf war noch übrig.«

Tatsächlich ist Wilderei ein schwer wiegendes Problem: Unter Kakteensammlern herrscht eine unglaubliche Gier nach Genen von Wildformen, mit deren Hilfe sie ihren gezüchteten Pflanzen neue Eigenschaften verleihen. Für Exemplare aus freier Wildbahn zahlen Sammler daher stattliche Summen; bis zu 800 US-Dollar (knapp 700 Euro) wurden Treviño schon für einen Seeigelkaktus angeboten.

Blühende Peyote-Kakteen | Peyote-Kakteen wachsen in ähnlicher Umgebung wie Seeigelkakteen. Es gibt Hinweise darauf, dass manche Arbeiter, die diese psychotropen Pflanzen für die Native American Church sammeln, auch Seeigelkakteen mitnehmen, um sie zu verschenken oder in ihrem Garten anzupflanzen.

Verschärft wird das Problem durch die Vergesellschaftung des Seeigelkaktus mit dem sehr ähnlich aussehenden, psychotropen Peyote-Kaktus (Lophophora williamsii). Beide Pflanzen findet man häufig nebeneinander in gut entwässerten, salzhaltigen Kiesböden, die keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Peyoteros, die offiziell zugelassenen Peyote-Lieferanten für rituelle Zeremonien der Native American Church, beschäftigen zum Sammeln der Kakteen Hilfsarbeiter, die manchmal auch Exemplare des Seeigelkaktus mitnehmen. Es ist bekannt, dass die Peyoteros den Seeigelkaktus in ihre Gärten pflanzen oder diesen nicht auf die Psyche wirkenden Kaktus ihren Kunden mitunter als Geschenk überreichen.

Treviño vermutete, dass irgendwo auf dem 160 Hektar großen Gelände der Ranch weitere Seeigelkakteen wuchsen. Als das Anwesen vor zehn Jahren zum Verkauf stand, überzeugte er The Nature Conservancy, es zu erwerben und das Naturreservat Las Estrellas Preserve zu gründen. Etwa 2000 Exemplare waren noch auf dem Terrain zu finden. Sie sollten Treviño als Samenquelle dienen, um die Spezies wiederanzusiedeln. »Wenn ihr mir die Samen zur Verfügung stellt, erledige ich alles umsonst, und die von mir herangezogenen Kakteen gehen direkt in euer Schutzgebiet zurück«, schlug er den für die Landbewirtschaftung zuständigen Mitarbeitern von The Nature Conservancy vor. Zur Züchtung und Hybridisierung von Seeigelkakteen werden zwar häufig Exemplare verwendet, die Sammler in ihren Gewächshäusern kultivieren, aber Treviño hoffte, aus den Samen der Wildpflanzen wieder echte Wildpopulationen herstellen zu können – nicht den Kakteenfreunden zuliebe, sondern um die Art in ihrem natürlichen Lebensraum zu erhalten.

Wie eine paradoxe Gesetzeslücke den Pflanzen hilft

Die erste Hürde bestand darin, eine eindeutige Antwort vom U.S. Fish and Wildlife Service zu bekommen: War es gesetzlich erlaubt, die Samen zu ernten, aus ihnen Pflanzen heranzuziehen und diese nachfolgend zu vermehren? »Ihre Antwort ist ungefähr vier Absätze lang, und am Ende weiß man nicht, ob sie Ja oder Nein gesagt haben«, beschwert sich Treviño. Sogar der Behördenmitarbeiter Chris Best räumt ein, dass die Vorschriften manchmal verwirrend sind. »Schließlich brachten wir sie dazu, uns mitzuteilen: ›Wenn ihr auf staatlichen Ländereien sammelt, braucht ihr dazu eine Erlaubnis. Unsere Zuständigkeit erstreckt sich allerdings nicht auf privaten Grundbesitz wie das Gelände von The Nature Conservancy‹«, erzählt Treviño.

Eine Gesetzeslücke spielte Treviño in die Hände: Für gefährdete Pflanzen gelten nämlich weniger Schutzbestimmungen als für bedrohte Tiere. Während der Endangered Species Act bei allen Tieren unabhängig von ihrem Aufenthaltsort Anwendung findet, können private Landbesitzer selbst darüber entscheiden, ob sie die auf ihrem Grund und Boden wachsenden gefährdeten Pflanzen vernichten, schützen oder für bestimmte Zwecke kultivieren wollen. Es ist ihnen auch gestattet, die Gewächse oder deren Samen an andere Personen weiterzugeben. Diese Regelung ermöglichte es Treviño, mit Ranchern in Kontakt zu treten, auf deren Ländereien möglicherweise Seeigelkakteen wuchsen oder die vielleicht andere Landbesitzer kannten, bei denen diese Pflanzen zu finden waren.

Seeigelkakteen verschiedenen Alters | In seinem schattigen Gewächshaus vermehrt Benito Treviño die Seeigelkakteen.

Letztendlich erhielt Treviño nie Samen von The Nature Conservancy. Nachdem die Naturschutzorganisation Las Estrellas erworben hatte, folgte eine der in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Trockenperioden. Dann schrumpft der rätselhafte Seeigelkaktus für gewöhnlich und versinkt im Erdboden. Aus diesem Grund war es extrem schwierig, Exemplare davon für die geplanten Erhaltungsmaßnahmen aufzuspüren. Zudem lockte die Trockenheit Fressfeinde an. Durstige Pflanzenfresser kauen praktisch auf allem herum, was auch nur eine Spur von Wasser enthalten kann. Viele der bei der ersten Bestandsaufnahme erfassten Kakteen wurden daher von Hasen oder Erdhörnchen gefressen. Obwohl inzwischen neue Populationen auf dem Terrain von Las Estrellas entdeckt wurden, ist Treviño über die Situation ziemlich verärgert. »Seeigelkakteen benötigen viel Pflege«, stellt der Pflanzenliebhaber fest. »Sie zu züchten, ist eine arbeitsintensive Angelegenheit. Und bei The Nature Conservancy gibt es einfach nicht genügend Leute, um die Kakteen zu überwachen und deren Samen zu ernten.«

Seine geschäftliche Beziehung zu den Regierungsbehörden frustriert Treviño ebenfalls. Denn diese stehen seiner Arbeit offenbar ambivalent gegenüber. Bedenken hinsichtlich Pflanzengenetik, rechtlichen Angelegenheiten, Dokumentationsfragen – all das spielt jetzt bei seinen Auseinandersetzungen mit den Behördenvertretern eine Rolle.

Im Jahr 2012 stellte Chris Best, der mittlerweile beim Ecological Services Program des Fish and Wildlife Service arbeitete und unter anderem die rechtliche Durchsetzung des Endangered Species Act überwachte, dennoch das so genannte South Texas Plant Recovery Team zusammen, eine Gruppe aus externen Fachleuten, die Wiederherstellungskriterien und -maßnahmen für bedrohte Pflanzenarten empfehlen. Unter den beauftragten Personen befanden sich im Dienst der Landesbehörden tätige Botaniker, Landbewirtschaftungsexperten von The Nature Conservancy und private Grundbesitzer wie Treviño. Das Plant Recovery Team verkörperte einen Paradigmenwechsel: die Abkehr von starren Regelungen nach dem Law-and-Order-Prinzip zu Gunsten von Naturschutz-Partnerschaften mit Ranchern und Farmern. In Texas befinden sich 95 Prozent der Ländereien in Privatbesitz, und die Bevölkerung hegt ein tiefes Misstrauen gegen die Regierung; ein gutes Verhältnis zu den Bürgern erweist sich daher für die Behörden in diesem Bundesstaat als äußerst zweckdienlich. »Und Benito bedeutet für uns einen doppelten Gewinn – er ist Botaniker, versteht also etwas von Pflanzenökologie, und er ist Landbesitzer, der wiederum andere Landbesitzer kennt«, verdeutlicht Best.

In puncto Zusammenarbeit stellt Treviños Seeigelkaktuspopulation ein Paradebeispiel dar: Einige seiner Pflanzen, die vor Kurzem ihre knallgelben Blüten entfalteten und die er gerade mit Pollen anderer Exemplare bestäubt hat, stammen von einem Rancher in seiner Nachbarschaft. Andere hat ihm ein führender Naturforscher geschickt, der an einer Ethnobotanik-Führung auf Rancho Lomitas teilgenommen hatte. »Das sind zwei verschiedene Genpools – die genetische Diversität bleibt also erhalten, wenn ich die Pflanzen durch Kreuzbestäubung vermehre«, erklärt Treviño, während er mit gewissem Stolz ein Probenröhrchen vorzeigt. In diesem sammelt er Pollen eines blühenden Seeigelkaktus und friert ihn so lange ein, bis ein anderer Kaktus in voller Blüte steht und zur Bestäubung bereit ist. Eine bunte Mischung aus vielfältigen Erbanlagen trägt dazu bei, die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen zu erhalten. »Das ist der Nachteil von Kakteengärtnereien. Dort züchtet man den Nachwuchs aus ein- und demselben Genpool. Ich dagegen benötige für mein Projekt laufend neue Wildpflanzen, deshalb bin ich ständig auf der Suche nach weiteren privaten Grundbesitzern.«

Die Genetik bedrohter Arten ist ein heikles Thema. Chris Best erinnert sich noch gut daran, als er Mitte der 1990er Jahre auf dem Gelände des von ihm verwalteten Schutzgebiets ein Exemplar von »Walker's manioc« (Manihot walkerae), einer gefährdeten Maniokart, entdeckte. »Ich hatte damals die Idee, dass wir dort einen Rückzugsort für die Pflanze etablieren könnten. Wäre sie als Folge katastrophaler Naturereignisse in freier Wildbahn zu Grunde gegangen, hätten wir das genetische Material auf diese Weise am Leben erhalten und die Pflanze in geeigneten Habitaten neu ansiedeln können«, entsinnt sich Best. »Die Botaniker der alten Schule fielen regelrecht über mich her, denn die seinerzeit gängige Auffassung lautete ganz rigoros: ›Hände weg!‹« Wenn Menschen ihre Finger im Spiel hätten, so die Sorge damals, könnten unbeabsichtigte Inzuchtdepression (eine zu geringe genetische Variabilität) oder Auszuchtdepression (die Einführung neuer genetischer Vielfalt) womöglich die natürliche Anpassungsfähigkeit der Pflanzen beeinträchtigen.

Ausweglose Lage für bedrohte Arten

In den letzten Jahren hat es unter Botanikern jedoch einen Sinneswandel gegeben, denn sie sehen sich gezwungen, einem drohenden Habitatverlust und dem Klimawandel zuvorzukommen. »Unser Instinkt, möglichst minimalistisch zu handeln, ist eigentlich sehr vernünftig«, meint Donald Falk, Vorsitzender des Fachbereichs Global Ecology and Management an der School of Natural Resources and the Environment der University of Arizona in Tucson. »Dennoch haben wir heutzutage das Problem, dass für viele Arten keine großräumigen, qualitativ hochwertigen Lebensräume mehr vorhanden sind. Wir können daher nicht wie bisher argumentieren: ›Überlassen wir die Organismen doch einfach sich selbst, denn in den letzten 10 000 Jahren war das ja auch in Ordnung.‹ Die Strategie hat sich dahingehend verändert, dass die Menschen heute sagen: ›Wir befinden uns in einer ausweglosen Lage und müssen daher vorausschauend eingreifen.‹«

Sicherlich vertritt auch Treviño diesen Standpunkt. Aber obwohl die Mitarbeiter des Fish and Wildlife Service und von Texas Parks and Wildlife ihn sehr schätzen, betrachten sie Unternehmungen, die außerhalb ihrer Aufsicht stattfinden, grundsätzlich skeptisch. »Sie sagen, die Pflanzen könnten hybridisieren. Na klar – es könnte auch ein Erdbeben geben«, kontert Treviño. »Irgendwie müssen wir diese Arten schließlich erhalten.«

Die Zögerlichkeit der Regierungsbehörden gegenüber Treviños Aktivitäten wird durch ihre Sorge über den illegalen Markt für bedrohte Pflanzen verstärkt. Am liebsten wäre es den Beamten, wenn Treviño ihnen einen detaillierten Einblick in seine Arbeit gäbe und sie so sicherstellen könnten, dass er seine Pflanzen nicht etwa ohne Erlaubnis verkauft. Letzteres verstieße nämlich gegen die Gesetze des Staates Texas. Die amerikanischen Bundesgesetze gestatten die Veräußerung innerhalb eines Bundesstaats mit einer entsprechenden Genehmigung der US-Regierung. Doch die wiederholten Ermahnungen der texanischen Behördenvertreter befremden Treviño, selbst wenn die Beamten im Grunde eine Zusammenarbeit mit ihm suchen. Mehr als einmal hat er ihnen angeboten, Samen von auf Staatsland wachsenden Pflanzen zum Keimen zu bringen, aber die Antwort war immer ein kategorisches Nein. Zu guter Letzt habe er den Versuch aufgegeben, über sämtliche Hindernisse zu springen, die ihm die Regierung in den Weg lege, sagt Treviño.

Kürzlich erntete er in Gegenwart der Staatsbeamten Pflanzensamen bei einem privaten Grundbesitzer. Das South Texas Plant Recovery Team war zu einer Feldexkursion aufgebrochen, um die bedrohte Pflanze Physaria thamnophila, den »Zapata bladderpod«, auf dem Gelände einer Ranch zu begutachten. Treviño hatte das Gewächs bereits mehrfach in der Nähe des Rio Grande entdeckt, wo es auf Grund der geplanten Grenzmauer beeinträchtigt werden könnte. »Ich kenne den Besitzer der Ranch, und er kennt mich. Er hat schon an meinen Führungen teilgenommen«, erinnert sich Treviño. »Unter den wachsamen Blicken der Behördenvertreter fragte ich ihn also: ›Darf ich hier mit deiner Erlaubnis Samen sammeln?‹ Er antwortete mir: ›Na klar. Die verfaulen sowieso irgendwann.‹ Daraufhin sagte ich: ›Okay, das hat wohl jeder gehört. Es ist legal.‹«

Hobbybotaniker gefragt

Jetzt versucht Treviño herauszufinden, wie er die Samen des »Zapata bladderpod« zum Keimen bringen kann. Mit Hilfe einer Kamera und eines Präpariermikroskops wird er seine Beobachtungen sorgfältig dokumentieren. »Ich möchte meine Experimente nachvollziehbar machen. Wenn meine Methode funktioniert und jemand es mir nachtun will, habe ich das Rezept.« Chris Best wartet gespannt auf diese Aufzeichnungen. »Wir profitieren von interessierten Leuten, die sich mit derartigen Projekten beschäftigen. Doch wenn sie sich scheuen, mit uns zu sprechen – vielleicht weil sie älter werden, wegziehen oder es einfach vergessen –, verlieren wir wertvolle Informationen.«

Die Hobbyforscher könnten ihre Ergebnisse zwar veröffentlichen, aber die meisten Fachzeitschriften lehnen Artikel von Autoren ab, die keiner universitären Einrichtung angehören. Aus diesem Grund setzt Best große Hoffnungen in sein Plant Recovery Team. »Wenn wir zu diesen Menschen ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen, können wir erreichen, dass sie ihre Bemühungen schriftlich festhalten. All das fällt unter den Begriff der grauen Literatur, die uns allerdings schon viele Informationen über seltene, gefährdete und vom Aussterben bedrohte Pflanzen geliefert hat.«

In wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizierende Botaniker sind geteilter Meinung, was die Forschung von Laien wie Treviño betrifft. »Wenn keine kommerziellen Interessen dahinterstehen, begrüße ich diese Art der Arbeit«, meint Martin Terry, Biologieprofessor an der Sul Ross State University in Texas und Vorsitzender des Cactus Conservation Institute. »Die gefährdeten Pflanzen benötigen jede erdenkliche Hilfe, und wenn einige Menschen das unterstützen, sehe ich darin keinen Nachteil.« Andere lehnen diese pragmatische Denkweise ab und betrachten das Problem eher philosophisch. »Meiner Meinung nach stellt uns das vor ein ethisches Dilemma«, gibt Falk zu bedenken. »Angeblich mischen wir uns ein, um die biologische Vielfalt zu retten, aber wir schätzen Biodiversität ja gerade deshalb, weil sie unabhängig von uns existiert.« Laut Falk drohten jegliche Bemühungen zur Wiederherstellung von Habitaten genau das zu untergraben, was wir an der Natur besonders hoch achten: ihre Andersartigkeit.

Treviño sieht das Ganze wiederum aus einem anderen Blickwinkel. »Früher war ich auf diese Pflanzen angewiesen. Sie waren für mich wie meine Cousins, wie ein Teil meiner Familie«, sagt er rückblickend. Seiner Ansicht nach lässt sich die Grenze zwischen ihm und den seltenen, vom Aussterben bedrohten Pflanzenarten, mit denen er arbeitet, nicht auf eine derartig eindeutige Weise ziehen.

Laborarbeit auf der Ranch | Die gesammelten, gezählten und katalogisierten Samen des Seeigelkaktus auf der Rancho Lomitas.
Erntereifer Seeigelkaktus auf der Rancho Lomitas | Kapseln auf der Oberseite des Kaktus mit den begehrten Samen.

Was die Pflanzen angeht, ist ihr Schicksal ungewiss. Treviño hat sich als Nächstes vorgenommen, lebensfähige Populationen auf der Rancho Lomitas zu etablieren. Auf seinem Grundstück kennt er Stellen, an denen etwa der Seeigelkaktus gut gedeihen könnte. Dort wachsen bereits Pflanzen wie das Salzkraut (Batis maritima), der als »Horse crippler« bezeichnete Kaktus Echinocactus texensis und das so »Clammyweed« (Polanisia dodecandra trachysperma), mit denen der Seeigelkaktus natürlicherweise vergesellschaftet ist. Treviño kann die Kakteen mit Käfigen vor Fressfeinden schützen und sie weiterhin studieren – in der Hoffnung, ihre Bestäuber zu identifizieren. »Das ist der erste Schritt. Ich möchte wissen: Können sie hier selbstständig existieren? Und wie werden sie überleben?«

Doch was kommt dann? Sollte Treviño dem Fish and Wildlife Service tatsächlich irgendwann Pflanzen zur Neuansiedlung auf staatseigenem Gelände überlassen, müsste sich die Behörde im Rahmen des Endangered Species Act selbst eine Genehmigung erteilen, um diese Pflanzen dort auszubringen. Das wiederum würde laut Gesetz erfordern, einen Plan zur kontrollierten Vermehrung und Wiederherstellung zu entwickeln. Dieses zusätzliche Maß an Bürokratie würde »weiteres Kopfzerbrechen« bereiten, bemerkte Best gegenüber Treviño. All dies hindert diesen jedoch nicht daran, sein Ziel zu verfolgen. »Ich hab ja noch nicht einmal meine eigenen Populationen herangezogen«, räumt er ein, »deshalb mache ich mir über diese Dinge keine Sorgen. Das liegt alles noch in ferner Zukunft.«

Benito Treviño begutachtet eine Ansammlung von Seeigelkakteen | Ein Nachbar hat die Kakteen auf das Grundstück einer nahe gelegenen Ranch verpflanzt.
Seeigelkakteen unter Gittern | Diese Kakteen wurden in dichten, feuchten Lehmboden gesetzt. Ihre gelbliche Verfärbung zeigt, dass das keine optimalen Bedingungen für diese Pflanzen sind: Sie bevorzugen gut entwässerten Kiesboden.

Bis dahin bemüht sich Treviño unverdrossen weiter. Seit Kurzem beschäftigt er sich mit »Walker's manioc«, jener bedrohten Maniokart, die Chris Best in den 1980er Jahren in Schwierigkeiten brachte. Etwa ein halbes Dutzend der spindeldürren, mehrjährigen Pflanzen, deren Blätter Treviño in ihrer Form an den Kopf von Texas-Longhorn-Rindern erinnern, wachsen im Schattengewächshaus seiner Gärtnerei. Ihre Samenschoten sehen wie winzige Wassermelonen aus und platzen leicht auf. Treviño hüllt sie in Säckchen aus dünnem Netzgewebe, um ihren Inhalt aufzufangen, der so groß sei wie »blutgefüllte Zecken«. Seine kleine Maniokpopulation hat er aus den Samen eines einzelnen, ziemlich mitgenommenen Exemplars gezogen, das sich an einem Zaunpfosten seines Ranchnachbarn festklammerte – von Kühen angefressen und von einem parasitischen Teufelszwirn (Cuscuta sp.) nahezu stranguliert. Und jetzt garantieren Treviños Pflanzen vielleicht den Fortbestand dieser Art.

Nach jahrelanger Vernachlässigung nehmen auch die offiziellen Schutzbemühungen für »Walker's manioc« endlich Fahrt auf. Zwar ist die jüngste staatliche Umweltprüfung für diese Pflanzenart noch nicht ganz abgeschlossen, aber der Fish and Wildlife Service ist jetzt mit der Aufarbeitung der fehlenden Punkte beauftragt worden. Empfehlungen für Wiederherstellungskriterien, die das South Texas Plant Recovery Team erarbeitet hat, sollten Ende 2018 in einem Entwurf zur öffentlichen Stellungnahme herausgegeben werden. Und nach einer längeren Phase des Stillstands wurden erneut Fördermittel für Projekte zur Erforschung der geografischen Verbreitung von »Walker's manioc« bewilligt. Botaniker der University of Texas Rio Grande Valley und der Universidad Autónoma de Tamaulipas in Mexiko hoffen, dass sie mit Hilfe ihrer Untersuchungsergebnisse abschätzen können, wie viel Erhaltungsbedarf die Pflanze hat.

Treviño zeigt auf ein Exemplar des »Walker's manioc« | Diese Pflanze an der Straße einer benachbarten Ranch lebt gerade noch. Sie wurde von Rindern angefressen, ein parasitischer Teufelszwirn versucht sie zu erdrosseln. Mit der Genehmigung des Ranchers kann Benito Treviño ihre Samen sammeln und in seinem Gewächshaus vermehren.
Blatt eines »Walker's manioc« | Treviño findet, dass die Blätter des »Walker's manioc« aussehen wie der Kopf seiner Texas-Longhorn-Rinder.
Die Samenhülsen des »Walker's manioc« | Weil die Samenhülsen leicht aufplatzen und ihren Inhalt verteilen, verschließt Benito Treviño sie in Säckchen aus dünnem Netzgewebe. So kann er die Samen ernten, sobald sich die Hülsen öffnen.

Treviño ist dennoch der Ansicht, dass die bürokratischen Mühlen beim Artenschutz viel zu langsam mahlen: Die wenigen hundert Exemplare von »Walker's manioc«, die noch in den USA existieren, würden sich nicht aus eigenem Antrieb verbreiten. Er verfolgt daher weiterhin seine »Learning-by-doing«-Methode, indem er Samen sammelt und versucht, die vom Aussterben bedrohten Pflanzen in seiner Gärtnerei auf der Rancho Lomitas zu vermehren. »Wenn wir nicht irgendetwas für die Erhaltung von »Walker's manioc« tun, wird diese Pflanze aussterben. Der U.S. Fish and Wildlilfe Service unternimmt rein gar nichts, um die Bestände des Manioks zu vergrößern oder seine Samen zu ernten. Ich sage ihnen: ›Ihr werdet es schon noch merken, wenn die letzte dieser Pflanzen verwelkt ist.‹ Wir hätten etwas tun können, um diese Art zu retten; stattdessen haben wir sie so lange untersucht, bis sie schließlich ausgestorben ist.«

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