Höhlenforschung: Variables Klima im Untergrund
Schon der Name "Wind Cave" deutet an, dass die Höhlenbesucher hier etwas Besonderes erwartet: "An manchen Stellen strömt die Luft dort so schnell, dass die Haare wehen", berichtet Andreas Pflitsch von der Ruhr-Universität Bochum. Zwar geht in größeren Hallen der gleichen Höhle im US-Bundesstaat South Dakota kaum ein Lüftchen. Die kräftigen Winde in den engen Bereichen aber widersprechen der üblichen Überzeugung, in Höhlen herrsche auf Grund ihres abgeschotteten Daseins ein völlig konstantes Klima. Und die Wind Cave ist kein Einzelfall: Der Leiter der Arbeitsgruppe Höhlen- und U-Bahn-Klimatologie berichtet, dass auch in vielen anderen Höhlen in aller Welt oft viel mehr Variation zu beobachten ist, als es der Begriff "konstantes Klima unter Tage" suggeriert.
Schwache Lüftchen
Unter der Erde wehen die Winde allerdings normalerweise deutlich schwächer als oben. Während an der Oberfläche ein normaler Windmesser ausreicht, um die Luftströmungen zu ermitteln, muss Andreas Pflitsch in Höhlen auf empfindlichere Ultraschallanemometer ausweichen, die mittels Ultraschallsignalen auch Bewegungen von wenigen Zentimetern in der Sekunde noch zuverlässig messen. Der Clou an diesen Geräten ist: Der Ultraschall wird von der Luft mit transportiert – bewegt sich der Luftzug also in die Richtung des ausgesendeten Schalls, kommt der Ton ein wenig früher als bei stehender Luft an. Weht dagegen ein schwacher Wind in Richtung Sender, bremst er entsprechend das Signal ein wenig ab. So lassen sich auch kleine Luftbewegungen exakt vermessen.
Allerdings verändern die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit die Schallgeschwindigkeit ebenfalls deutlich. Deshalb werden die Signale abwechselnd hin- und hergeschickt. Bei drei Sender-Empfänger-Paaren im Gerät können die Forscher aus den geringen Geschwindigkeitsunterschieden dann nicht nur das Tempo und die Richtung der Luftbewegung, sondern gleich auch die Temperatur ermitteln.
Messen die Geräte so zum Beispiel eine Strömung von zehn Zentimetern in der Sekunde, legt die Luft in einer Stunde gerade einmal einen Drittel Kilometer zurück – Meteorologen nennen das "Windstille". Seit 2001 untersucht Andreas Pflitsch diese recht schwachen, an Engpässen aber viel stärkeren Luftbewegungen in der Wind Cave. Ein Jahr später installierte der Forscher dann weitere Ultraschallanemometer in der Jewel Cave, deren Eingang 50 Kilometer entfernt liegt.
Wind durch Luftdruckunterschiede
Beide Höhlensysteme gehören nicht nur zu den längsten der Welt, sondern regeln auch ihre Luftbewegungen nach dem gleichen Prinzip: Weil beide relativ kleine Öffnungen nach außen und gleichzeitig ein riesiges Volumen im Inneren haben, entscheidet der Luftdruck über die Strömungen. Steigt draußen gerade der Druck, fließt die Luft in die Höhle hinein.
Bis der Unterschied zwischen innen und außen ausgeglichen ist, dauert es jedoch eine Weile. Steigt der Luftdruck außen weiter, weht der Wind daher umso länger – und zwar am schmalen Eingang und an Engstellen erheblich stärker als in großen Hallen. Nähert sich draußen ein Tief, sinkt der Luftdruck, und die Verhältnisse kehren sich um. Jetzt ist der Druck in der Höhle höher, und die Luft fließt durch die Öffnungen nach außen.
Wind als Größenmesser
Messen die Forscher nicht nur die Luftströmungen und den Luftdruck, sondern auch den Querschnitt der Öffnung zwischen Höhle und Außenwelt, können sie so sogar das Volumen und damit die Ausdehnung des Höhlensystems schätzen. Das brachte für die Jewel Cave ein verblüffendes Ergebnis: Hinter deren etwa zwei Meter großem Eingang hatten Forscher ein 267 Kilometer langes Höhlensystem vermessen.
Die Analyse der Strömungen aber zeigte Andreas Pflitsch nicht nur, dass viele bisher als unabhängig betrachtete Höhlen in der Gegend unterirdisch mit der Jewel Cave verbunden sein müssen. Sondern sie offenbarte auch, dass dieses System mindestens zehnmal so groß wie seine bisher bekannten Teile sein muss. Womöglich gibt es sogar eine direkte Verbindung zwischen der Jewel Cave und der mit 226 Kilometern Länge vermessenen Wind Cave.
Außentemperatur regelt Innenklima
In der Schellenberger Eishöhle in den Berchtesgadener Alpen spielt dagegen die Außentemperatur die Hauptrolle. Ihr Eingang liegt 1570 Meter über dem Meeresspiegel und ist die einzige Verbindung zur Außenwelt. Das Volumen der Höhle ist viel kleiner als das der beiden Höhlen in South Dakota. In ihrem Inneren erstreckt sich ein Teil der Höhle wie ein Sack in die Tiefe. Sinken die Temperaturen im Winter auf kräftige Minusgrade, strömt die eiskalte und damit auch schwere Luft von außen in die Höhle und fällt dort ab. Dabei kühlt sie nicht nur den Fels, sondern auch den rund 10 bis 30 Meter dicken Eispanzer, der sich am Grund der Höhle gebildet hat. Diese Kühlung wirkt umso stärker und nachhaltiger, je länger die Kältewelle außen anhält.
Im Sommer können die Außentemperaturen auch in dieser Höhe durchaus auf 30 Grad Celsius steigen. Trotzdem misst Andreas Pflitsch dort in der Höhle dann kaum Luftströmungen, weil die kalte Luft schwer am Höhlenboden lagert und die leichtere Warmluft am Vordringen in die Tiefe hindert. Der untere Teil der Höhle ähnelt so einem großen Eiskeller, in dem sich das Eis das ganze Jahr über hält, weil kaum Luft zwischen der kalten Schicht am Boden und der darüber liegenden wärmeren Luft ausgetauscht wird – die kalte Luft am Höhlenboden sitzt regelrecht in der Falle.
Faktor Mensch
Es sei denn, es wandert gerade wieder einmal eine Gruppe von Besuchern durch die Eishöhle – denn Menschenansammlungen können, wenn auch kurzfristig und lokal begrenzt, das Klima deutlich beeinflussen: Sie wirbeln die Luft durcheinander und bringen Wärme herein. Am Beispiel einer Höhle, die drei bis vier Meter hoch ist und in der 20 bis 30 Menschen knapp fünf Minuten stehen bleiben, erklärt Andreas Pflitsch die Auswirkungen: Die Luft, die sich um die Besucher herum aufgeheizt hat, steigt auf und lässt die Temperaturen unter der Höhlendecke um zwei oder drei Grad steigen. Am Boden zeigt das Thermometer dagegen nur sehr geringe Änderungen von ganz wenigen zehntel Graden.
Und auch die für sie installierte Beleuchtung heizt die Höhle auf. "Da hat sich allerdings einiges geändert, seit zunehmend auf LED-Leuchten umgestellt wird, die viel Energie sparen und nur wenig Wärme abgeben", erklärt Andreas Pflitsch. Um das Höhlenklima zu schützen, werden daher bereits an einigen Orten die Besucherzahlen begrenzt. Selbst Höhlenforscher müssen inzwischen in besonders empfindlichen Höhlen erst einmal Anträge für Forschungsarbeiten stellen.
Von der Kleinen Eiszeit bis zum Klimawandel
Die Schellenberger Höhle zeigt aber auch schön, wie sich langfristige Klimaveränderungen im Höhlenklima abzeichnen. Als der Bochumer Forscher frühere Daten mit seinen aktuellen Messungen verglich, stellte er zum Beispiel fest, dass der Eispanzer bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch wuchs. Vermutlich war das dem kühleren Klima der Kleinen Eiszeit geschuldet, die bis in das 19. Jahrhundert Europa niedrigere Temperaturen beschert hatte. Mit den steigenden Temperaturen auf Grund des Klimawandels jedoch begann auch das Eis in der Höhle zu schmelzen.
Dabei veränderte sich das Eis in verschiedenen Bereichen der Höhle durchaus unterschiedlich, beobachtet Andreas Pflitsch: Während es an einigen Stellen schrumpft, wächst es in anderen Regionen an. Ein eindeutiger Trend für den Einfluss des Klimawandels auf die Eiswelt unter Tage ist daher noch nicht klar abzusehen. Die kalten Winter der vergangenen Jahre haben jedenfalls seit 2008 den massiven Rückgang des Eises gestoppt, obwohl die Sommer nicht kühler wurden.
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