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Hörschäden: Tinnitus im Ansatz bekämpfen

Ein neueres Tinnitusmodell geht davon aus, dass der störende Fiepton als Nebeneffekt einer Anpassung an einen Hörschaden entsteht. Zugleich weist es auf viel versprechende Ansatzpunkte für Therapien hin.
Nahaufnahme des Ohrs eines Mannes vor einem türkisen Hintergrund

Manchen von Ihnen wird das bekannt vorkommen: Kaum nimmt der Stress zu, dringt ein penetrantes Geräusch, das nur Sie wahrnehmen, in Ihr Bewusstsein vor – der Tinnitus, der Sie schon seit Jahren belastet. Etwa zwölf Prozent aller Menschen in Deutschland leiden irgendwann darunter. Knapp zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln sogar einen besonders starken Tinnitus, bei dem es zu mehreren zusätzlichen Beschwerden wie Konzentrationsstörungen und Depressionen kommt.

Bereits in der Antike unternahmen Menschen verzweifelte Versuche, das Pfeifen zu bekämpfen. So wollte zum Beispiel Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) Tinnitus mit in Honig gekochten Haselmäusen zum Verstummen bringen. Doch auch spätere, weniger kuriose Ansätze liefern Betroffenen bis heute keine ausreichende Linderung. In den vergangenen Jahren rückte das Phänomen weiter in den Fokus der medizinischen Forschung. Die Mühen brachten schon mehrere Durchbrüche. Auf der einen Seite wird immer deutlicher, wie mehrere Faktoren dazu beitragen, dass Tinnitus entsteht und chronisch wird. Andererseits tun sich langsam Möglichkeiten auf, um diesen Prozessen entgegenzuwirken.

In der Mehrheit der Fälle tritt Tinnitus zusammen mit einem weiteren, sehr unangenehmen Symptom auf: Betroffene reagieren überempfindlich auf mittellaute Töne, was man als »Hyperakusis« bezeichnet. Etwa acht von zehn Menschen mit einem stark ausgeprägten Tinnitus leiden darunter. Viele Fachleute sind sich mittlerweile einig, dass man die beiden Phänomene nicht als voneinander unabhängig betrachten kann. Zudem geht die Mehrheit der Experten und Expertinnen davon aus, dass Tinnitus in den allermeisten Fällen mit einer Form von (mitunter verstecktem) Hörverlust einhergeht.

Ein Phantom im Hirnstamm

Vor ein paar Jahren hat unsere Arbeitsgruppe ein Modell entwickelt, das schlüssig erklärt, wie Tinnitus entstehen könnte (siehe Gehirn&Geist 8/2019, S. 66). Kurz gesagt basiert es auf der Idee, dass unser Gehirn versucht, etwaige Hörschäden auszugleichen, indem es ein Hintergrundrauschen in die Hörbahn einspeist. Das dient dazu, eingehende Signale über die Hörschwelle zu heben und somit die Geräuschwahrnehmung zu verbessern. Das penetrante Pfeifen ist demnach der unerwünschte Nebeneffekt dieser Anpassung.

Was Tinnitus kostet

Tinnitus stellt nicht nur ein Problem für die Menschen dar, die ihn erleben. Das Leiden hat auch einen erheblichen Preis für die Gesellschaft. So errechneten Fachleute um Konstantin Tziridis vom Uniklinikum Erlangen sowie aus der Charité Berlin, dass sich seine jährlichen sozioökonomischen Kosten allein in Deutschland auf zirka 20 Milliarden Euro belaufen. Damit liegen sie laut der Arbeit ungefähr halb so hoch wie die von Diabetes und in einem ähnlichen Bereich wie die chronisch obstruktiver Lungenerkrankungen.

Sehen wir uns den Vorgang etwas detaillierter an, von seinem Beginn im Ohr bis hin zur Signalverarbeitung im Gehirn. Tiere, inklusive uns Menschen, nehmen Geräusche über Schallwellen wahr. Das Ohr registriert sie als winzige Druckschwankungen in der Luft – dazu dienen bestimmte Rezeptoren, die Haarzellen. Letztere wandeln die Reize in ein chemisches Signal und über nachfolgende Neurone in elektrische Ströme um, die dann über die Hörbahn schrittweise bis zur Großhirnrinde vordringen. Man geht davon aus, dass wir Signale, die es bis dorthin schaffen, bewusst wahrnehmen können.

Unser Tinnitusmodell setzt bereits in einer tieferen Station des auditorischen Systems an, nämlich im Hirnstamm. Hier vermuten wir eine Art Messstation, die den Informationsfluss aus dem Innenohr überwacht und bei Bedarf – also falls zu wenig Reize ankommen – ein zusätzliches Signal hinzufügt. Das geschieht etwa nach einem Hörschaden. Ohne Verstärkung würden die schwächeren Signale aus dem Innenohr sonst kaum ins Großhirn gelangen. Die betroffene Person würde demnach bei normaler Lautstärke fast nichts mehr hören. Um eingehende Reize über die Wahrnehmungsschwelle zu heben, mischt der Hirnstamm ihnen ein »neuronales Rauschen« bei. Das sind elektrische Ströme, die nicht aus der Hörbahn, sondern von anderen Quellen stammen. Die Signale addieren sich, und diejenigen, die es so über die Hörschwelle schaffen, werden weitergeleitet. Damit dieses System funktioniert, muss ein Mechanismus im Hirnstamm die nötige Menge an Rauschen ermitteln und dann einspeisen können. Dazu besitzt er einen Regelkreis, der genau das in Sekundenschnelle leisten kann. Sobald er die optimale Signalstärke gefunden hat, stellt sich ein Gleichgewicht ein.

Bis vor Kurzem vertraten die meisten Fachleute eine andere Theorie. Sie gingen davon aus, dass das auditorische System einen Hörschaden ausgleicht, indem es das eingehende Signal einfach um einen bestimmten Faktor verstärkt – aus mathematischer Sicht multipliziert. Diese Erklärung scheint auf den ersten Blick genauso plausibel zu sein, macht allerdings zwei große Probleme: Einerseits kann ein solcher Prozess nur dann stattfinden, wenn sich beteiligte Hirnareale plastisch verändern, was sicherlich nicht innerhalb weniger Sekunden passiert. Da Tinnitus direkt nach einem Knall oder einem Diskobesuch entstehen kann, scheidet ein langsamer Anpassungsprozess als Ursprung aus. Andererseits würde dieses Modell zu einem weiteren Effekt führen: Man würde laute Töne als noch lauter empfinden, ähnlich wie bei einer Stereoanlage, bei der man die Lautstärke hochregelt.

Außerdem kommt bei Tinnitus eine solche durchgängige Verstärkung nicht zwangsläufig vor. Vielmehr ist es möglich, den Piepton zu hören, ohne dass man die Welt als lauter wahrnimmt, als sie ist. Das Modell passt folglich nicht gut zu den Effekten, die man bei Tinnitus beobachtet. Anders verhält es sich mit den Symptomen der häufig zusätzlich auftretenden Hyperakusis, wenn also Tinnituspatienten mittellaute Töne als schmerzhaft laut empfinden. Schon 2013 hat Fan-Gang Zeng von der University of California in Irvine postuliert, dass Tinnitus wahrscheinlich durch eine Signaladdition und Hyperakusis durch eine multiplikative Verstärkung zu Stande kommt.

Die beiden Beschwerden gehen nicht nur oft Hand in Hand – es ist sogar so, dass die Tinnituslautstärke mit der Ausprägung der Hyperakusis zunimmt. Dabei spielt sowohl der additive als auch der multiplikative Effekt eine Rolle. Letzterer unterscheidet nicht zwischen »reinen« akustischen Signalen und solchen, die durch Addition von neuronalem Rauschen entstanden sind. So verstärkt die Hyperakusis den Tinnitus zusätzlich. Dieses Modell erklärt, weshalb die Syndrome so eng zusammenhängen und wo sie sich unterscheiden. Allerdings gibt es einen Haken: Eigentlich sollten die zu Grunde liegenden Mechanismen bei allen Menschen gleich funktionieren. Dennoch bekommt nicht jeder nach einem Hörschaden einen Tinnitus. Weshalb ist das so?

Falsche Vorhersage

Diese Frage haben wir mit den Neurowissenschaftlern Karl Friston vom University College London und William Sedley von der University of Newcastle diskutiert. Fristons Arbeit fokussiert sich vor allem auf die Fähigkeit des Gehirns, Signale zu interpretieren und wahrscheinliche Ausgänge vorherzusagen. Sedley beschäftigt sich mit Prozessen der auditiven Wahrnehmungsverarbeitung im Neokortex mit einem besonderen Augenmerk auf Tinnitus. Während unser Team sehr basale Vorgänge im Stammhirn untersucht hatte, konzentrierte sich die Arbeit der beiden auf höhere Hirnfunktionen, die vor allem in der Hirnrinde verortet sind. In Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen erarbeiteten sie schon vor einigen Jahren ein Modell dazu, warum wir Tinnitus bewusst wahrnehmen und wieso das Gehirn nicht fähig ist, das störende Signal herauszufiltern.

Ihre These beruht auf komplexen mathematischen Überlegungen aus dem Bereich der bayesschen Statistik. Die zu Grunde liegenden Gedanken lassen sich jedoch auf einfache Prinzipien herunterbrechen. So erreichen sensorische Reize irgendwann allesamt ihre Endstation im Neokortex und gelangen damit ins Bewusstsein der Person. Hier fließen die Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammen, und das Gehirn schließt daraus, was die Ursache der ankommenden Signale sein könnte. Zum einen verlässt sich der Kortex dabei auf Input von den Sinnesorganen, die sozusagen die Messinstrumente des Gehirns darstellen. Zum anderen macht er Vorhersagen, die auf früheren Erfahrungen beruhen. Sitzt man zum Beispiel in einem Konzertsaal, erwartet der Neokortex, dass das, was zu hören sein wird, wahrscheinlich Musik ist. Kennt man ein Stück, sagt er laufend den folgenden Ton voraus. Kommt dann überraschenderweise ein anderer, empfinden wir das deshalb als irritierend.

Versteckte Vorzüge

Einen Tinnitus empfinden viele Betroffene als überaus störend und belastend. Oft geht er mit psychischen Begleiterscheinungen wie Angst und Depression sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen einher. Bezüglich seiner Auswirkungen auf Denkprozesse haben die Neurowissenschaftler Yasmeen Hamza und Fan-Gang Zeng von der University of California in Irvine 2021 aber eine überraschende Entdeckung gemacht. Ihre Analyse klinischer Daten ergab, dass zumindest ein Teil der hörgeschädigten Menschen mit Tinnitus geringere kognitive Einschränkungen erleidet als die ohne Tinnitus.

Eine mögliche Erklärung liegt im verbesserten Hörverständnis. Eine unbehandelte Hörminderung schadet erwiesenermaßen Gehirn und Psyche – denn wer seine Mitmenschen nur schlecht versteht, zieht weniger Information aus Gesprächen. Einerseits sinkt dadurch die Vielfalt an Reizen, die im Neokortex ankommen, andererseits wirkt die Schwerhörigkeit mitunter sozial isolierend. Beides kann dazu beitragen, dass die kognitive Leistungsfähigkeit nachlässt. Bei Menschen mit Tinnitus versucht das Hörsystem jedoch, Schäden zu kompensieren, indem es den eingehenden Signalen Rauschen beifügt.

Dass dies sich vorteilhaft auf die Kognition auswirken könnte, demonstriert eine 2022 veröffentlichte Studie. Mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzes zeigte ein Team um unsere Autoren Achim Schilling und Patrick Krauss, dass das Sprachverständnis durch Beimischen von neuronalem Rauschen deutlich erhöht wird – nämlich etwa verdoppelt. Der Mechanismus, der das Pfeifen auslöst, verbessert folglich das Hören und damit vermutlich auch das Sprachverstehen. Das kann sich dann in geringfügigeren kognitiven Einschränkungen bei Menschen mit Tinnitus verglichen mit einer hörgeschädigten Kontrollgruppe ohne Tinnitus bemerkbar machen.

Der Neokortex agiert gewissermaßen als Prognosemaschine, die andauernd versucht, zu erahnen, was als Nächstes geschehen wird. Das erwartete, vorhergesagte Szenario gleicht das Gehirn dann mit dem tatsächlichen Input der Sinnesorgane ab. Selbst wenn es um uns herum ruhig ist, gelangt immer eine kleine Menge elektrischer Signale vom Ohr zur Hirnrinde. Allerdings ignoriert Letztere diese so genannte »Spontanaktivität«, da die Erfahrung uns gelehrt hat, dass sie zumeist auf keine reale Schallquelle zurückgeht. Das Gehirn sagt also Stille vorher und lässt sich durch einige wenige ankommende Reize nicht vom Gegenteil überzeugen.

Wird im Hirnstamm jedoch besonders viel neuronales Rauschen beigemischt, um einen Hörschaden auszugleichen, prognostiziert der Neokortex womöglich einen Ton, obwohl kein Verursacher ersichtlich ist – das erzeugt den Tinnitus. Nach einiger Zeit lernt das Gehirn in solchen Fällen, das Geräusch zu erwarten. Diese Erfahrung beeinflusst dann künftige Vorhersagen. In diesem Bild könnte der Übergang vom reinen Messfehler hin zu einer dauerhaften falschen Prognose dem Wechsel von akutem zu chronischem Tinnitus entsprechen.

Ein neuartiger Therapieansatz

Mehrere Stationen des Hörsystems tragen demnach dazu bei, dass Tinnitus erstmals auftritt und aufrechterhalten wird (siehe »Schritte der Entstehung«). Dass wir diese Vorgänge immer besser verstehen lernen, bietet auch neue Möglichkeiten. Die Frage, die für Betroffene dabei wohl die größte Bedeutung hat, ist: Lässt sich das Pfeifen durch gezielte Eingriffe in diesen Prozess lindern oder gar tilgen?

Schritte der Entstehung | Zusammen mit Fachleuten um Karl Friston vom University College London und William Sedley von der University of Newcastle haben unsere Autoren ihr Modell zur Tinnitusentstehung weiterentwickelt und verfeinert. Tinnitus nimmt demnach seinen Anfang im Hirnstamm (1) – wahrscheinlich im dorsalen Nucleus cochlearis (DCN). Wenn die ankommenden Signale aus dem Innenohr zu schwach sind, wird ihnen hier neuronales Rauschen beigemischt. Die Stärke von Letzterem passt ein eigener Regelkreis in Sekundenschnelle an. Die Summe aus Signal und Rauschen wird dann entlang der auditorischen Bahn (2) durch einen langsamer anlaufenden, multiplikativen Mechanismus zusätzlich verstärkt. Damit nimmt auch die subjektive Lautstärke des Tinnitus zu. Bewusst wahrgenommen wird das Pfeifen erst, wenn dieses Signal bis zum Kortex gelangt. Das Hirnareal interpretiert es dann als echten auditorischen Input. Auf Dauer registriert das Gehirn, dass immer ein Signal vom Ohr ankommt, und lernt, davon auszugehen, dass es keine Stille mehr gibt (3). Dann wird der Tinnitus chronisch.

Unser Forschungsteam führte deshalb bereits erste Studien durch, um eine solche Behandlung zu testen. Den idealen Ansatzpunkt vermuteten wir an der Stelle, wo das Problem beginnt: beim Beimischen von neuronalem Rauschen im Hirnstamm. Unsere Idee war es, die interne Signalverstärkung durch eine externe zu ersetzen, und zwar in Form eines akustischen Rauschens. Dadurch, so hofften wir, würde das Hörsystem nicht mehr versuchen, den Hörschaden auszugleichen, und das Pfeifen würde verstummen.

An unserer 2020 veröffentlichten Pilotstudie nahmen 22 Patientinnen und Patienten teil. Zuerst untersuchten wir, wie stark ihr Hörverlust ausgeprägt war, als wie laut sie ihren Tinnitus empfanden und in welchem Frequenzbereich der Piepton lag. Anhand der Informationen erstellten wir für jede Testperson sechs bis acht unterschiedliche 40-sekündige Rauschstimuli. Neben neutralem weißem Rauschen enthielten sie auch Audioclips, die spezifisch an die Tinnitusfrequenz der einzelnen Probanden angepasst waren. Bei 16 der 22 Studienteilnehmenden konnte mindestens eines dieser Rauschsignale den Tinnitus während des Hörens der Aufnahme lindern. Viele von ihnen empfanden den Pfeifton als weniger laut, in einigen Fällen verschwand er vorübergehend sogar ganz.

Unser Verfahren prüften wir in einer weiteren Untersuchung an 24 Probanden und Probandinnen mit Tinnitus und geringem Hörverlust. In diesem Versuch passten wir die Lautstärken noch feiner an die des Hörverlustes der jeweiligen Testperson an – das Rauschen, das wir einspielten, lag im Bereich zwischen zwei Dezibel unter und sechs Dezibel über ihrer Hörschwelle. Das künstliche Rauschen war also entweder gar nicht oder nur äußerst schwach hörbar. Bei 21 der 24 – bei fast 90 Prozent – verbesserte sich der Tinnitus beim Abspielen von einem oder mehreren dieser Audioclips. Am wirksamsten war in dieser Studie eine Rauschquelle mit einer mittleren Frequenz, die eine halbe Oktave unter dem Tinnituston lag, bei minimalen Lautstärken an der Hörschwelle oder nur zwei bis vier Dezibel darüber.

So mancher fragt sich womöglich, wie sinnvoll es ist, einen Phantomton mit Geräuschen zu bekämpfen. Schließlich können auch sie als störend empfunden werden. Bei unserer Behandlung spielen wir die Audioaufnahmen allerdings wie bereits erwähnt sehr leise ab – gerade über der Hörschwelle, so dass sie kaum lästig werden können. Dennoch erzielen wir damit eine Abschwächung des Tinnitus. Es gibt bereits einige Hörgeräte, die akustisches Rauschen zur Tinnituslinderung abspielen – so genannte »Noiser«. Deren Lautstärke ist jedoch deutlich höher als die in unseren Experimenten. Darüber hinaus sind die abgespielten Frequenzen nicht an die des Tinnitus der Person angepasst. Einige empfinden sie deshalb durchaus als unangenehm. Außerdem wirkt sich die unspezifische Stimulation wenig auf das Pfeifen selbst aus. Solche Ansätze basieren eher darauf, Betroffene abzulenken oder den unangenehmen Dauerton mit einer breiten Geräuschkulisse zu überdecken. Hier unterscheidet sich unsere Methode, die wir nun auch zusammen mit einem Hörgerätehersteller an einer größeren Gruppe von Patienten und Patientinnen testen.

Bisher haben wir ausschließlich Akutexperimente durchgeführt und dabei erhoben, ob der Tinnitus in der Zeit während der auditorischen Stimulation abnahm. In weiteren Untersuchungen wollen wir herausfinden, ob eine längere Beschallung wirksamer ist und ob sich das Pfeifen unter dieser Behandlung vielleicht sogar dauerhaft zurückbildet. Dazu entwickeln wir personalisierte Audiodateien, die Probandinnen und Probanden auf ihrem Handy oder MP3-Player abspielen können. Wir hoffen, dass das akustische Rauschen den zentralen Verstärkungsmechanismus im Stammhirn langfristig abschwächen kann. Im Idealfall würde es Anpassungen im Gehirn auslösen, die die Fehlinterpretation des ankommenden neuronalen Signals im Kortex aufheben. Ob dies funktioniert, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch unklar. Womöglich ist es ein langer Weg, bis wir den Tinnitus endgültig abschalten können. Doch durch die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachdisziplinen haben wir in den vergangenen Jahren viel über seine Entstehung gelernt und können darauf aufbauend Strategien entwickeln, die ihm hoffentlich entgegenwirken.

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  • Quellen

Krauss, P. et al.: Stochastic resonance controlled upregulation of internal noise after hearing loss as a putative cause of tinnitus-related neuronal hyperactivity. Frontiers in Neuroscience 10, 2016

Schilling, A. et al.: Reducing tinnitus intensity: Pilot study to attenuate tonal tinnitus using individually spectrally optimized near-threshold noise. HNO 69, 2020

Schilling, A. et al.: The stochastic resonance model of auditory perception: A unified explanation of tinnitus development, Zwicker tone illusion, and residual inhibition. Progress in Brain Research 262, 2021

Schilling, A. et al.: Intrinsic noise improves speech recognition in a computational model of the auditory pathway. Frontiers in Neuroscience 795, 2022

Schilling, A. et a.: Predictive coding and stochastic resonance as fundamental principles of auditory phantom perception. Brain 146, 2023

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