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News: Hoffnungsschimmer aus dem Uni-Labor für Empfänger künstlicher Hüften

Bei Kindern ist die - ererbte oder durch Schädigungen im Mutterleib hervorgerufene - Hüftgelenksluxation die häufigste Skelettmißbildung überhaupt. Im Alter hingegen sind Hüften oft abgenutzt und verschlissen, da unsere Hüftgelenke laufend Kräfte übertragen, die ein Vielfaches unseres Körpergewichts ausmachen. An der TU Chemnitz wurde jetzt ein neuartiges künstliches Hüftgelenk entwickelt.
Bei uns in Deutschland muß jeder 25. damit rechnen, daß ihn irgendwann das Schicksal ereilt, auf ein Hüftgelenk aus Metall, Kunststoff oder Keramik angewiesen zu sein. Rund 80000 künstliche Hüftgelenke werden hierzulande jedes Jahr implantiert. Weltweit sind es sogar fast eine Million Kunsthüften-Empfänger jährlich, denen ein Leben im Rollstuhl oder ein steifes Becken erspart bleibt. Die Routineoperation gilt als harmlos – Linderung bringt sie aber dennoch nicht immer. Jeder fünfte Patient klagt anschließend über Schmerzen. Nicht selten erweist sich die Verbindung zwischen der Innenprothese und dem sie umgebenden Knochen als instabil. Dann wird ein weiterer Eingriff nötig. Selbst im günstigsten Fall hält eine künstliche Hüfte 15 Jahre – vor allem für jüngere Patienten ein Problem. Ein Grund für die mangelnde Haltbarkeit ist, daß die der Länge nach im Oberschenkelknochen verankerte Metall- oder Keramikprothese von dem Knochen, der sie umgibt, oft als Störung empfunden wird. Dieser fängt im mittleren Bereich an zu wachsen, im oberen dagegen wird Knochensubstanz abgebaut. Daraus resultiert, daß das künstliche Gelenk den Oberschenkelknochen ganz anders belastet als die Naturhüfte.

Abhilfe verspricht jetzt ein neuartiges künstliches Hüftgelenk, das Maschinenbauer der TU Chemnitz entwickelt haben und welches der Körper wesentlich besser verträgt als bisherige Kunsthüften. Maßgeblich an der Entwicklung beteiligt war Dr. Gamal Baroud. Es gelang ihm mit Hilfe des Computers, ein völlig neues Kunstgelenk zu entwerfen. Es berücksichtigt die Belastungsverhältnisse im Knochen und stellt sie so weit wie möglich wieder her – Voraussetzung für eine erheblich längere Haltbarkeit.

Zunächst machte sich Dr. Baroud daran, die genaue Beanspruchung der einzelnen Knochen im Beckenbereich zu ermitteln. Dazu „zerlegte“ er den Oberschenkelknochen im Computer in mehr als 3000 würfelförmige Teilbereiche. Dieses Verfahren, nach dem zum Beispiel auch die Statik von Häusern berechnet wird, heißt „Finite-Elemente-Methode“ (FEM). Sie ermöglicht es, Verformungen und Spannungen genau zu bestimmen. Danach wandte der Wissenschaftler das Verfahren auf herkömmliche Hüftprothesen an. Ergebnis: Weil Knochen und Prothese unterschiedlich steif sind, belasten sie den Oberschenkel ungleichmäßig: in einigen Bereichen übermäßig stark, in anderen dagegen kaum. Dies ist der Grund für den Umbau des Knochens und den nachfolgenden Verlust der Stabilität. Die Mediziner sprechen hier von einer "aseptischen Lockerung", eine erneute Operation ist über kurz oder lang nötig.

Die Baroud-Hüfte – von ihm selbst Schenkelhals-Totalhüftendoprothese genannt – ist mehrteilig und besteht im wesentlichen aus einem Schaft und einer Buchse aus Titan. Die Buchse wird aber nicht der Länge nach eingesetzt, sondern schräg zum Körper hin in den Schenkelhals, das obere Ende des Oberschenkelknochens. Sie stützt sich mit ihrem elastischen Kragen auf dem besonders festen äußeren Bereich des Knochens ab, der sogenannten Kortikalis. In diese Buchse ragt der elastische Schaft. Auch er besitzt einen nachgiebigen Kragen, der auf dem Buchsenkragen aufliegt und so ebenfalls den Druck abfängt. Schaft und Buchse sind von außen lose miteinander verschraubt. Das entscheidende Plus der neuartigen Hüfte ist ihre Nachgiebigkeit: Der flexible Schaft und die beiden Kragen verteilen die Kräfte wesentlich besser und auf einer größeren Fläche als herkömmliche Hüftprothesen. Minimale Verschiebungen, die bei Überlastungen schon einmal auftreten können, wirken nur zwischen den einzelnen Teilen der Prothese, nicht aber, wie bisher, zwischen Prothese und Knochen. Daher wird auch kein unerwünschtes Weichgewebe gebildet, das sonst üblicherweise zu großen Schwierigkeiten führt. Auch der schädliche Knochenumbau, der zu der bereits angesprochenen aseptischen Lockerung führt, wird vermieden. Selbst mit besonders starken Kräften, wie sie etwa bei einem Sturz auftreten können, so hat Dr. Baroud berechnet, wird das neue Kunstgelenk problemlos fertig. Und sollte es aus irgendeinem Grund später doch einmal nötig sein, eine herkömmliche Prothese einzupflanzen, so ist auch das möglich, da die Knochenmasse erhalten bleibt. Die Baroud-Hüfte ist außerdem leicht herzustellen, da alle Teile rotationssymmetrisch sind.

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