Globuli & Co: Was ist Homöopathie wert?

Am Ende war das Schweigen lauter als jedes Argument. Im November 2019 hatte der Bayerische Landtag 800 000 Euro für eine umstrittene Studie bewilligt. Sie sollte prüfen, ob homöopathische Mittel bei Harnwegsinfekten den Einsatz von Antibiotika und Schmerzmitteln verringern können. Vorausgegangen war eine hitzige Debatte. Schließlich besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass Homöopathie keine Wirkung über Placeboeffekte hinaus zeigt.
Dennoch startete im März 2023 am Universitätsklinikum der Technischen Universität München (TUM) eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie. Untersucht werden sollte: Können homöopathische »Arzneimittel«, deren Inhaltsstoffe 200-mal nacheinander jeweils im Verhältnis 1 : 100 verdünnt wurden, die Beschwerden von Frauen mit wiederkehrenden Blasenentzündungen lindern, wenn sie zusätzlich zur Standardtherapie eingenommen werden? Doch bereits im November 2024 stoppte die Rekrutierung von Patientinnen. Die erforderliche Anzahl von 220 Teilnehmerinnen lasse sich nicht erreichen, erklärten die Verantwortlichen gegenüber dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Auf der Studienwebsite findet sich allerdings keinerlei Hinweis auf das vorzeitige Ende.
Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten Ursachen für Antibiotikaverordnungen bei Frauen. 10 bis 20 Prozent von ihnen sind betroffen, das entspricht vier bis acht Millionen Frauen in Deutschland. Dass sich unter ihnen keine 220 Teilnehmerinnen für die Homöopathiestudie fanden, wirft Fragen auf. Ist das ein Indiz dafür, dass immer weniger Menschen auf Homöopathika vertrauen? Könnte das Scheitern auf einen Wandel in der öffentlichen Akzeptanz hindeuten, der sich womöglich in Statistiken des Gesundheitssystems widerspiegelt?
»Diese Kostenerstattung erweckt bei Hilfesuchenden den Anschein, dass Methoden oder Mittel nachweislich etwas bringen – und das haben wir bei der Homöopathie eben nicht«Jutta Hübner, Onkologin
Wie viel Geld geben Krankenkassen für Homöopathie aus?
Die meisten gesetzlichen Krankenkassen räumen offen ein, dass der Homöopathie plausible Wirkmechanismen fehlen. Einen echten Ersatz für die medizinische Praxis stellt sie nicht dar. Dennoch erstatten Krankenversicherungen Leistungen für homöopathische Mittel und Behandlungen – wenn auch in unterschiedlichem Umfang. Manche zahlen über Satzungsleistungen, andere im Rahmen von Selektivverträgen oder Bonusprogrammen (siehe »Wie erstatten Krankenkassen homöopathische Leistungen?«). »Diese Kostenerstattung erweckt bei Hilfesuchenden den Anschein, dass Methoden oder Mittel nachweislich etwas bringen – und das haben wir bei der Homöopathie eben nicht«, erklärt Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena und wissenschaftliche Beirätin des Informationsnetzwerks Homöopathie.
Wie viel Geld fließt jedes Jahr für Homöopathie? Wie viele Menschen nehmen Homöopathika überhaupt in Anspruch? Die genauen Kosten lassen sich nur schwer ermitteln, da die Krankenkassenlandschaft in Deutschland zersplittert ist. Die erstatteten Leistungen, der Umfang sowie Zeitrahmen der Erstattung unterscheiden sich stark voneinander.
Eine bundesweite Anfrage bei allen 95 deutschen gesetzlichen Krankenkassen ermöglichte einen detaillierten Überblick aller Leistungsausgaben für Homöopathie in den vergangenen Jahren (siehe »Wie hoch sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für homöopathische Leistungen?«). Der Großteil der Kassen mit zusammengerechnet etwa 48,4 Millionen krankenversicherten Menschen – also zwei Drittel der Versicherten – haben bereitwillig Auskunft gegeben. Das verbleibende Drittel umfasst hauptsächlich die Techniker Krankenkasse mit 11,3 Millionen und die Barmer Krankenkasse mit 8,6 Millionen Versicherten. Sie verweigerten die Auskunft, da sie ihre wirtschaftliche Vormachtstellung beeinträchtigt sahen.
Krankenkassen geben immer weniger für Globuli & Co. aus
Eine Analyse der Daten zeigt: Die gesetzlichen Kassen geben jedes Jahr mehrere hundert Milliarden Euro für Gesundheitsleistungen aller Art aus. Im Jahr 2023 waren es insgesamt 312,3 Milliarden Euro, davon allein 105,5 Milliarden Euro für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen. Im Vergleich erscheinen die Ausgaben für Homöopathie unbedeutend. Sie entsprechen etwa den jährlichen Kosten für bestimmte Nischentherapien oder seltene Erkrankungen. Im gesamten Auskunftszeitraum seit 2017 überschritten sie nie die 0,05-Prozent-Marke der Gesamtausgaben. Homöopathie hat demnach bei Weitem nicht den Stellenwert der evidenzbasierten Medizin.
Nichtsdestotrotz erstatteten einzelne Kassen, etwa die mhplus BKK, die Bahn BKK und verschiedene AOK, jeweils mehrere hunderttausend Euro pro Jahr für homöopathische Leistungen. Im Auskunftszeitraum vergüteten sie Homöopathie-Nutzern im Schnitt 153 Euro jährlich. Umgerechnet bezahlte damit jede gesetzlich krankenversicherte Person – egal, ob sie sich ausschließlich auf klinisch geprüfte Medikamente verlässt oder nicht – durchschnittlich 71 Cent pro Jahr für homöopathische Leistungen. Je nach Krankenkasse stieg dieser Jahresbetrag bis auf 11,29 Euro. Auffällig ist allerdings der abnehmende Trend: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für homöopathische Leistungen sanken von 46,4 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 8,7 Millionen Euro 2023.
Diese Einbußen stehen im Einklang mit den Daten des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. Demnach sinkt der Absatz homöopathischer Mittel. Während Apotheken vor 2017 noch rund 54 Millionen Packungen Homöopathika verkauften, waren es 2024 zehn Millionen Packungen weniger (siehe »Wie viele Packungen homöopathischer Mittel werden jährlich verkauft?«). Auch verschreiben Ärzte immer weniger homöopathische Produkte: 2017 waren es deutschlandweit fast eine Million, 2024 nur knapp 400 000 (siehe »Wie viele homöopathische Mittel verschreiben Ärzte?«).
Auch die Zahl der Nutzer geht zurück. Bekamen 2017 noch etwa 2,3 Prozent aller gesetzlich Krankenversicherten homöopathische Leistungen bezahlt, waren es 2023 nur noch etwa 0,2 Prozent, also annährend 165 000 Personen (siehe »Wie viel Prozent der Versicherten lassen sich homöopathische Leistungen erstatten?«). Allerdings schwankt ihr Anteil je nach Krankenkasse beträchtlich. Unter den Versicherten aller gesetzlichen Kassen, die Auskunft erteilten, fanden sich nie mehr als 1,4 Prozent Homöopathie-Nutzer – mit zwei Ausnahmen: die Securvita BKK und die IKK classic Sie erstatteten im Auskunftszeitraum zwischen 3,2 und 7,5 Prozent ihrer Versicherten homöopathische Leistungen, was zuletzt immerhin knapp 115 000 Personen allein in diesen beiden Krankenkassen entsprach.
Stabile Absätze trotz fehlender Evidenz
Während also die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für homöopathische Leistungen sinken, bleibt der Umsatz von Homöopathika erstaunlich stabil. Dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie zufolge liegt er im letzten Jahrzehnt mit wenigen Schwankungen bei etwa 636 Millionen Euro pro Jahr. Der Großteil davon entfällt auf die Selbstmedikation: Rund 550 Millionen Euro Umsatz stammen aus privaten Ausgaben (siehe »Welche Rolle spielen Privatzahler beim Umsatz mit Homöopathika?«). Offenbar sind Menschen bereit, Homöopathika aus eigener Tasche zu bezahlen.
Die Homöopathie verliert also im Gesundheitssystem an Bedeutung, bleibt im privaten Bereich allerdings ein lukratives Geschäft. Wie ist dieser Gegensatz zu erklären? »Homöopathika haben in unserer Gesellschaft den Ruf, etwas zu leisten, was konventionelle Medikamente nicht können«, erklärt Jutta Hübner. »Homöopathie gilt als die ganzheitliche, sanfte Medizin. Viele Menschen sagen, es kann ja nicht schaden.« Dem stimmt Roland Seifert, Direktor des Instituts für Pharmakologie der Medizinischen Hochschule Hannover, zu: »Menschen sind bereit, für Homöopathika viel Geld auszugeben, weil diese eine gefühlt gute Reputation haben.« Ein Hauptproblem sei, dass vielen davon die wissenschaftlichen Grundlagen fehlten, um die Wirkungslosigkeit der Homöopathie über Placeboeffekte hinaus zu verstehen. »Infolge dieser Popularität können Hersteller von Homöopathika dann ordentlich zulangen bei ihren Preisen«, erklärt er.
Eine Analyse von Seiferts Arbeitsgruppe im Jahr 2024 zeigt: Seit 1985 steigen die Preise für homöopathische Mittel kontinuierlich. Im April 2023 lag der durchschnittliche Apothekenverkaufspreis für Homöopathika etwa 30 Prozent höher als der anerkannter pharmakologischer Alternativen. Die Endverbraucher stört das offensichtlich wenig. Tatsächlich sind »alternative Heilmethoden« nach wie vor beliebt. Laut einer Forsa-Umfrage im Jahr 2021 im Auftrag der Deutschen Homöopathie-Union zeigen sich 70 Prozent der Deutschen weiterhin offen für Homöopathie.
Trotz dieser andauernden Popularität vollzieht sich indes ein stiller Kurswechsel im Gesundheitssystem: Viele gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten für homöopathische Leistungen nur noch, wenn Vertragsärzte oder -ärztinnen mit der Zusatzqualifikation Homöopathie die Mittel verschreiben und die Behandlungen durchführen. Damit reichen die Kassen die Verantwortung weiter. Die AOK Baden-Württemberg formuliert es so: »Die Entscheidung für oder wider eine homöopathische Behandlung trifft die Ärzteschaft, die sich für Methoden der evidenzbasierten Medizin entscheiden wird, wo sie dies für erforderlich hält.«
Die Zusatzqualifikation Homöopathie kann inzwischen nur noch in Rheinland-Pfalz und Sachsen erworben werden. Seit 2019 haben 15 von 17 Landesärztekammern sie nach und nach aus ihren ärztlichen Weiterbildungsordnungen gestrichen. Auch die Bundesärztekammer beschloss 2022, die Homöopathie aufgrund fehlender wissenschaftlicher Basis aus ihrer Musterweiterbildungsordnung zu entfernen. Die Folge: Gehen homöopathisch tätige Ärzte in den Ruhestand, sinken die Ausgaben der Kassen, da es keine Neuzulassungen mehr gibt.
»Politische Entscheidungsträger, die das angehen, werden direkt von Lobbyisten konfrontiert, die mit abwandernder Pharmaindustrie und verstimmten Patientengruppen drohen«Roland Seifert, Pharmakologe
Warum Reformen homöopathischer Leistungen ausbleiben
Im aktuellen Koalitionsvertrag wird Homöopathie nicht erwähnt. Anfang 2024 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach noch angekündigt, Homöopathie komplett aus dem kassenärztlichen Leistungskatalog streichen zu wollen. Doch politisch umgesetzt ist das bislang nicht – nicht zuletzt, weil die Homöopathika-Industrie ein erheblicher Wirtschaftsfaktor ist.
»Politische Entscheidungsträger, die das angehen, werden direkt von Lobbyisten konfrontiert, die mit abwandernder Pharmaindustrie und verstimmten Patientengruppen drohen. Da merkt man, welche Interessen große Rollen spielen«, sagt Roland Seifert. Entsprechend bieten Krankenkassen weiterhin homöopathische Leistungen an. Aber warum halten selbst sie, als Hüter des öffentlichen Gesundheitswesens, entgegen der wissenschaftlichen Evidenz an der Erstattung fest? Zum einen, weil sie sich laut Jutta Hübner vermutlich scheuen, »dieses gesellschaftliche Fass aufzumachen«, zum anderen aus rein wirtschaftlichen Gründen. So sind manche Erstattungsangebote bewusst als »Komplementärmedizin« zur evidenzbasierten Versorgung konzipiert. Sie dienen als Marketinginstrumente und Imagepflege, um Versicherte zu binden.
Die Prinzipien der Homöopathie
Homöopathie geht auf Ideen des deutschen Arztes Samuel Hahnemann (1755–1843) zurück. Im Kern basiert sie auf zwei Grundsätzen: Gemäß dem Prinzip »Ähnliches mit Ähnlichem heilen« werden zur Behandlung gesundheitlicher Leiden Mittel eingesetzt, die bei Gesunden die Symptome hervorrufen, von denen man die Patienten befreien möchte. Hiervon leitet sich auch der Name ab: »homoios« für griechisch »ähnlich« und »pathos« für griechisch »Leiden«. So werden etwa Brennnesseln als Basis für ein Mittel gegen Juckreiz verwendet.
Der Grundsatz der Potenzierung besagt zudem, dass die Wirksubstanz mit einer Trägersubstanz schüttelnd verdünnt werden soll – üblicherweise in den Schritten von 1 : 10 (D-Potenzen) oder 1 : 100 (C-Potenzen). Damit soll die Wirksamkeit gesteigert werden. Die meisten dieser Mittel, die Homöopathen für besonders wirksam halten, werden so stark verdünnt, dass letztlich kein einziges Molekül des Wirkstoffs mehr im fertigen Präparat enthalten ist. Homöopathen gehen davon aus, dass darin eine »Energie« oder »Information« der Substanz übrig bleibt. Dafür gibt es jedoch keinerlei wissenschaftliche Belege.
So wirbt beispielsweise die IKK classic auf ihrer Website mehr mit Gefühl als mit Fakten: »Natürlich liegt im Trend, denn die Nachfrage nach alternativer Medizin ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Homöopathie ist eine natürliche Heilmethode, die bereits seit über 200 Jahren praktiziert wird und als besonders schonend gilt.« Auch die Securvita BKK übernimmt homöopathische Leistungen, »weil sie einen Schwerpunkt auf alternative und komplementäre Heilmethoden legt und die individuelle, ganzheitliche Behandlung ihrer Versicherten fördert«, und zwar »integriert als besonderen Versorgungsbereich«.
Da die Ausgaben für Homöopathie weniger als 0,05 Prozent der Gesamtkosten gesetzlicher Krankenkassen ausmachen, haben Letztere gegenwärtig wenig zu verlieren – aber viel zu gewinnen, wenn sie Zuckerkügelchen und Co. erstatten. Mit freiwilligen Zusatzangeboten versuchen sie, vor allem bei Personen zu punkten, die »alternative Heilmethoden« nachfragen oder der evidenzbasierten Medizin kritisch gegenüberstehen. Indem sie mit Pseudomedizin um Mitglieder feilschen, erhoffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil bei der Kundenakquise.
Wie erstatten Krankenkassen Homöopathie?
Für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind die Kassen verpflichtet, die Kosten homöopathischer Mittel zu übernehmen. Darüber hinaus erstatten 28 Krankenkassen, etwa die DAK und die AOK Bayern, Homöopathie als Satzungsleistung. 58 Kassen, darunter die beiden größten deutschen Krankenversicherer Techniker und Barmer Krankenkasse, haben Selektivverträge mit der Marketinggesellschaft des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) abgeschlossen. Viele dieser freiwilligen Zusatzleistungen umfassen ausschließlich homöopathische Beratungen, einige von ihnen auch homöopathische Mittel. Neun weitere Kassen wie etwa die AOK Plus und die Kaufmännische Krankenkasse rechnen Kosten für Homöopathie über Bonusprogramme oder Zusatztarife ab.
Das eigene Wachstum scheint Krankenversicherern offensichtlich schwerer zu wiegen als wissenschaftliche Standards – und letztendlich das Wohl der Patienten. Schließlich fördern sie damit die Verbreitung von Fehlinformationen über medizinische Wirksamkeit und verzögern womöglich evidenzbasierte, wirksame Therapien. Widersprechen sie damit nicht dem Grundgedanken einer solidarisch getragenen Gesundheitsversorgung? Solange die Nachfrage nach Homöopathie in der Bevölkerung weiterhin anhält, bleiben Krankenkassen wohl im Dilemma aus Wirtschaftsinteressen, politischem Druck und evidenzbasierten Prinzipien gefangen.
Dieser Beitrag ist zuvor im Biomagazin »Laborjournal« erschienen und wurde für Spektrum der Wissenschaft redaktionell überarbeitet.
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