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Endokrinologie: Hormon-Umweltgifte wirken über Generationen

Umweltgifte, die den Hormonhaushalt durcheinanderbringen, sollten Schwangere bekanntermaßen dringend vermeiden. Dabei hat man mögliche Langzeitwirkungen vielleicht sogar unterschätzt.
Ein Kalottenmodell der Molekülstruktur von Bisphenol

Wissenschaftler und Gesundheitsexperten warnen seit Jahrzehnten vor den Auswirkungen von endokrin wirksamen Substanzen in der Umwelt auf Mensch und Tier: Die Chemikalien stammen etwa aus nebenhormonähnlichen Medikamente, die von Menschen und Tieren ausgeschieden werden oder von Industriechemikalien – etwa in Weichmachern, Sonnencremes, Kosmetika oder Pestiziden –, die sich auf das Hormonsystem und die Fruchtbarkeit auswirken können. Bekannt als »endokriner Disruptor« ist etwa das früher viel häufiger industriell eingesetzte Bisphenol A, das für Ungeborene und kleine Kinder auch in geringen Mengen schädlich ist und zuletzt etwa in Babyflaschen durch Alternativen ersetzt wird. Unterdessen forschen Wissenschaftler aber weiter an dem Problem und möglichen Spätfolgen. Und diese können sich vielleicht sogar erst bei Enkeln und Urenkeln von Geschädigten auswirken, warnen nun belgische Forscher nach einer Untersuchungsreihe an Ratten, die sie auf der Jahrestagung der »Endocrine Society« 2019 vorgestellt haben.

Das Team um David Lopez Rodriguez von der Universität Lüttich hatte die Langzeitwirkung von 13 endokrinen Disruptoren untersucht, darunter Weichmachern wie BPA, verschiedene Pestizide und Fungizide, dem in Sonnenschutzmitteln enthaltenen Konservierungsmittel Butylparaben sowie dem Schmerzmittel Paracetamol. Diese Substanzen haben sie schwangeren Ratten im Gemisch aus niedrigen Einzeldosen verabreicht, die in etwa denen entsprechen, mit der auch Menschen im täglichen Umfeld üblicherweise konfrontiert sein könnten. Die Tiere waren dabei zwei Wochen vor der Empfängnis bis 13 Tage nach der Geburt exponiert. Bekannt war bereits, dass bei solchen Versuchen negative Effekte bei Müttern und Nachwuchs häufiger werden.

Die Forscher Interessierten sich nun aber für mögliche Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen: Sie beobachteten die Töchter der exponierten Rattenmütter während deren Schwangerschaft und beim Umgang mit dem Nachwuchs – wobei die Tochtergeneration nun keinen endokrin wirksamen Substanzen mehr ausgesetzt waren. Trotzdem verhielten diese Tiere sich anders als eine Durchschnittsratte: Sie interagierten beispielsweise seltener mit ihrem Nachwuchs durch typisches fürsorgliches Leckverhalten. Weitere Folgen wurden dann in der nächsten und übernächsten Generation deutlich. Die Enkel- und Urenkeltöchter der exponierten Versuchsmäuse erreichten etwa messbar später ihre eigene Geschlechtsreife und zeigten Unregelmäßigkeiten im weiblichen Zyklus und bei der Eizellreifung. Zudem war auch die genetische Regulation bestimmter Neuronen im Rattenhirn betroffen, wie eine Analysen später belegten. Offenbar ist die DNA-Aktivität in den Tieren im Vergleich zu einer Vererbungslinie mit nichtexponierten Ratten durch epigenetische Regulationsprozesse verändert, schlussfolgern die Wissenschaftler aus Belgien.

Damit sei ein Beleg für über Generationen hinweg wirksame Prozesse gefunden, die von endokrin wirksamen Substanzen angestoßen werden können, sobald diese auf Schwangere und Ungeborene einwirken. Die untersuchten Substanzen sind alle bereits als für Schwangere auch in niedriger Dosis bedenklich eingestuft und bekannt; dennoch sollte man im Auge behalten, welche möglichen Folgen eine Exposition vor Generationen bereits gehabt haben könnte, geben die Forscher zu bedenken.

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