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Corona-Indikator: Hospitalisierungsinzidenz als Maßzahl wohl unbrauchbar

Die Hospitalisierungsinzidenz stellt die Coronalage besser dar, als sie ist. Der Grund sind erhebliche Meldeverzögerungen. Das Problem ist schon seit Langem bekannt.
Beatmeter älterer Mann im Krankenbett wird von medizinischem Personal geschoben-

Der entscheidende Indikator für Maßnahmen gegen Covid-19, die Hospitalisierungsinzidenz, ist unbrauchbar. Fachleute weisen darauf hin, dass die Zahlen schlicht nicht vollständig sind und deswegen kein realistisches Bild der Lage bieten. Während Neuinfektionen binnen weniger Tage fast vollständig gemeldet werden, kann das bei den Krankenhauseinlieferungen zwei Wochen und mehr dauern, berichtet das Science Media Center (SMC) unter Berufung auf Daten des Robert Koch-Insitituts (RKI). Der Meldeverzug variiere außerdem zwischen den Bundesländern. Ursache des Problems ist, dass das Meldesystem nicht automatisiert ist. Daneben verzerrt der zeitliche Abstand zwischen positivem Test und Krankenhauseinlieferung die Statistik. Gestern hatte sich die Ministerpräsidentenkonferenz auf diesen Wert als Maßzahl für die Einführung von Kontaktbeschränkungen geeinigt.

Bereits im September hatten Fachleute die Hospitalisierungsinzidenz kritisch bewertet. Die Datenqualität sei deutlich ausbaufähig, sagte zum Beispiel der Intensivmediziner Christian Karagiannidis dem SMC. Der Grund sei das Meldesystem, bei dem medizinisches Personal einen Meldebogen ans Gesundheitsamt faxen müssen. Dagegen seien die Daten bei Inzidenzwerten und Intensivbettenbelegung extrem gut. Das Robert Koch-Institut hatte damals diese drei Maßzahlen als Leitindikatoren vorgeschlagen, anhand derer die Kontrollmaßnahmen ausgerichtet werden sollten.

Verbessern ließe sich der Indikator, wenn man Modelle verwendet, die den Meldeverzug einzurechnen versuchen. Diese als »Nowcasting« bezeichnete Technik setzt das RKI bereits ein, um den Meldeverzug bei den Infektionen herauszurechnen. Mit solchen Modellen kommen zum Beispiel Fachleute vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) zu dem Ergebnis, dass die Hospitalisierungsinzidenz am 17. November bereits bei etwa 10 lag, etwa 50 Pozent mehr als der offizielle Wert von 6,7. Allerdings seien die Ergebnisse der Modelle noch nicht hinreichend geprüft, heißt es auf der Website des Projekts.

Neben dem Meldeverzug enthält die Hospitalisierungsinzidenz außerdem eine weitere, technisch nicht zu lösende Verzögerung durch die Zeitspanne, die zwischen Infektion und Einlieferung ins Krankenhaus vergeht. Laut RKI sind das im Mittel vier Tage. Beim derzeitigen Anstieg der Fallzahlen steigt die Sieben-Tage-Inzidenz in diesem Zeitraum um etwa 50 pro 100 000 Menschen – mit entsprechend vielen zusätzlichen Erkrankungen. Zusätzlich bringt die Hospitalisierung, selbst unter günstigen Umständen, keinen Erkenntnisgewinn gegenüber der Inzidenz. Zwar kommen dank der Impfungen weniger Menschen ins Krankenhaus, da aber derzeit der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung stagniert, sind beide Indikatoren eng aneinander gekoppelt.

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