Huey Long: Der erste Diktator der USA

Auf die Stimmen der »vergessenen Männer« war Verlass: Die Faschisten verschafften »Buzz« Windrip die entscheidenden Mehrheiten bei der US-Präsidentenwahl. Kaum vereidigt, entmachtete Windrip das Parlament, besetzte wichtige Posten mit Getreuen und erstickte Proteste durch eine paramilitärische Miliz und Schauprozesse. Antisemitismus, Rassismus und Gewalt machten sich breit. Die Gesellschaft wurde gleichgeschaltet. Überall im Land sieht man nun Andersdenkende in Konzentrationslagern verschwinden. Wer kann, flüchtet nach Kanada.
Minuziös buchstabierte Sinclair Lewis – Amerikas erster Literaturnobelpreisträger – seinen Lesern ein seltsam vertrautes Szenario aus. Es ist das Jahr 1935, in dem sein Buch erscheint. Zwei Jahre zuvor hatte Adolf Hitler in Deutschland mit ganz ähnlichen Methoden die Macht an sich gerissen, zehn Jahre zuvor Benito Mussolini die italienische Demokratie ausgeschaltet. Die USA hatten zugesehen, eher mit Neugier als mit Besorgnis, was die Europäer trieben. Nun konnten sie in Lewis' Roman nachlesen, wie sich eine ähnliche Entwicklung in den USA entfalten könnte. Ein hypothetisches Gedankenspiel oder Warnung vor realer Gefahr? Den wohlfeilen Einwand seiner Landsleute packte Lewis direkt auf das Buchcover: »It Can't Happen Here« nannte er seinen 1935 erschienenen Roman. Bei uns ist doch so etwas nicht möglich.
Hätte seine Frau Dorothy Thompson (1893–1961) nicht den Aufstieg der Nationalsozialisten aus nächster Nähe verfolgt, wäre Lewis (1885–1951) womöglich gar nicht auf die Idee zu einem solchen Buch gekommen. Im Dezember 1931 hatte sie als Auslandskorrespondentin Hitler persönlich interviewt. Im Sommer 1934 wurde sie aus Deutschland ausgewiesen. Thompson war im Bilde, und Lewis dann auch.
Das Mantra von der unerschütterlichen amerikanischen Demokratie, das auch heutzutage angesichts der Attacken von Präsident Donald Trump auf den Rechtsstaat wieder zu hören ist, war allein deshalb schon mehr als fragwürdig, weil die Vereinigten Staaten drauf und dran gewesen waren, selbst einen autokratischen Populisten zu ihrem Präsidenten zu machen. So gesehen, musste sich Lewis für seinen Roman gar keinen amerikanischen Hitler ausdenken. Er brauchte nur weiterzuspinnen, was sich kurz zuvor in den USA vor den Augen aller abgespielt hatte: der Aufstieg Huey Longs, auch bekannt als »The Kingfish«.
Sogar US-Präsident Franklin D. Roosevelt attestierte dem Senator und ehemaligen Gouverneur Louisianas, »einer der gefährlichsten Männer des Landes« zu sein. Dabei waren es weder eine ausgefeilte Ideologie noch seine Gewaltbereitschaft, die Huey Long zu einer Bedrohung für die Demokratie machten. Es war eine Fähigkeit, mit der sich auch heute noch im großen Stil Follower gewinnen lassen.
Im Sumpf von Louisiana
Huey Pierce Long Jr., geboren 1893 in Winnfield, Louisiana, hatte zwei Leidenschaften: die Macht und das Geld. So schildert es der Historiker Arthur M. Schlesinger in einer Dokumentation des Filmemachers Ken Burns. Kaum hatte der Juraabsolvent eine Anwaltskanzlei eröffnet, machte er sich auf die Suche nach einem politischen Amt, und sei es nur der Posten eines Mitglieds der »Louisiana Railroad Commission«. Der es dann auch wurde, im Jahr 1918.
Es war Longs Eintrittskarte in den politischen Sumpf von Louisiana. Der »Pelican State« galt als ärmster Bundesstaat der USA, Jobs gab es nur in der Landwirtschaft oder in der Ölindustrie, Kinder gingen aufs Feld statt in die Schule. Seit Jahrzehnten verwaltete eine Oligarchie aus Ölbaronen, Plantagenbesitzern und Politikern der Demokraten den Staat von den wenigen urbanen Zentren im Süden aus. Diese »Old Regulars« besetzten entscheidende Verwaltungsposten und schnitten die politische Landschaft nach Belieben zurecht.
Long dagegen, obwohl selbst Mitglied der Demokratischen Partei, setzte sich nach Kräften davon ab. Er berichtete von einer Kindheit in Armut, an die sich seine acht Geschwister seltsamerweise nicht erinnern konnten, machte Wahlkampf vom Auto aus, tingelte zu denselben Menschen, denen er Jahre zuvor als Vertreter Bratfett und hochprozentige Arzneimittelchen an der Haustür angedreht hatte. Nun verkaufte er ihnen die Umverteilung des Reichtums von ganz oben nach ganz unten.
Diese Kernbotschaft, mit der er 1918 seinen ersten Wahlkampf gewann, wiederholte er bei allen folgenden wieder und wieder: »Er war ein junger Krieger aus und für das einfache Volk, der gegen die bösen Giganten der Wall Street und ihrer Unternehmen kämpft; zu viel von Amerikas Wohlstand konzentriert sich in zu wenigen Händen«, fasst sie der Historiker William Ivy Hair zusammen. Der »Messias der Rednecks«, wie ihn der 2007 verstorbene Schlesinger nannte, hatte sein Erfolgsrezept gefunden. Alle seine noch kommenden Wahlen gewann Long mit den Stimmen aus dem Hinterland.
Der »Kingfish« verbreitet seine eigenen Wahrheiten
Ab Ende der 1920er Jahre gab sich Long den Namen »Kingfish«, in Anlehnung an eine intrigante und dominante Figur in einer damals populären Radiosendung. Überhaupt nutzte er als einer der Ersten die Möglichkeiten des Rundfunks, um seine Botschaften zu verbreiten. Sein herausstechendes Talent, Aufmerksamkeit zu erzeugen, kam in dem neuen Massenmedium voll zur Geltung. Schon seine Klassenkameraden hatten einen intelligenten, mobbenden Provokateur erlebt. Nun schürte er vor einem ungleich größeren Publikum Unzufriedenheit und Empörung. Und lieferte stets noch eine unterhaltsame Show dazu. Im Debattierklub an der Highschool hatte er gelernt: Eine gute Rede war klar, deutlich und garniert mit Bibelversen und Flüchen.
Da die Presse ihn überwiegend kritisch sah, gründete er Jahre später seine eigene Zeitung. Der kostenlose »Louisiana Progress« – später landesweit auch als »American Progress« verteilt – erschien ab 1930 in sechsstelliger Auflage und brachte die Botschaften seines Herausgebers mit einfachen Worten und vielen Bildern unters Volk.
Bei der Gouverneurswahl 1928 führte schließlich kein Weg mehr an Long vorbei. Eine Flutkatastrophe am Mississippi und starker Frost setzten der überwiegend von der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung des Bundesstaats zu. Die »Great Depression« warf bereits ihre Schatten voraus. Die Zeit war gekommen für Veränderungen, für einen jungen unverbrauchten Kandidaten, für jemanden, der die verkrusteten Strukturen Louisianas sprengen würde – Zeit für Huey Long.
Sofort nach seiner Vereidigung, zu der mehr als 15 000 Zuschauer kamen, begann er, seine Wahlversprechen umzusetzen. Ließ kostenlose Schulbücher verteilen, investierte intensiv in Bildung. An neu gegründeten Abendseminaren lernten Erwachsene Lesen und Schreiben, sodass die Analphabetenquote schon 1930 sieben Prozentpunkte unter den Wert von 1920 sank. Die Louisiana State University in Baton Rouge wurde unter Gouverneur Long zu einer landesweit anerkannten Hochschule.
»Einzigartiger« Gouverneur
Ein nie dagewesenes Investitionspaket schleuste 30 Millionen Dollar in den Ausbau von Straßen, Brücken und Stromleitungen. Aus 500 Kilometern asphaltierter Straßen wurden binnen sieben Jahren 5000 Kilometer, aus drei großen Brücken wurden 40, unter anderem Louisianas erste Mississippi-Querung. Die Huey P. Long Bridge trägt noch immer seinen Namen. In Baton Rouge entstand ein neues Kapitolgebäude – das bis heute höchste der USA.
Das Programm wirkte bis in die frühen 1940er Jahre. Die staatlichen Baumaßnahmen schufen tausende Arbeitsplätze, die viele Einwohner Louisianas durch die Wirtschaftskrise brachten. Zudem modernisierte der Gouverneur Kliniken, ließ Wohlfahrtskrankenhäuser einrichten und verbesserte die Zustände in Psychiatrien. Er führte eine kleine Rente für arme Senioren ein und unterstützte Bedürftige durch staatliche Sachleistungen.
Dabei deckte sich seine Politik nicht ganz zufällig auch mit privaten Interessen: So kamen seine Pläne, die großen Öl-Multis in Louisiana durch Steuern zur Kasse zu bitten, den lokalen Ölfirmen unmittelbar zugute – und damit auch Long selbst, der sich für seine Anwaltstätigkeit mit Firmenanteilen bezahlen ließ. »Es ist ein Fehler, Huey Long als eine ideologische Figur zu betrachten, als einen Mann, der sich einem Programm verschrieben hat«, warnt der Historiker Schlesinger. Huey Longs Ambitionen galten in erster Linie Huey Long selbst.
Und so waren all diese Errungenschaften teuer erkauft. Zum einen stieg die Verschuldung des Bundesstaats trotz der höheren Steuern für Ölunternehmen von elf Millionen Dollar auf 150 Millionen Dollar sieben Jahre später, was sich durch den Mehrwert der Investitionen vielleicht sogar rechtfertigen ließ. Zum anderen aber bezahlte Louisiana mit einem horrenden Verlust an demokratischer Mitbestimmung und einem desaströsen politischen Klima. Ob links oder rechts, spielte für Long keine Rolle. »Sagen Sie einfach, ich sei einzigartig«, antwortete er einem Reporter auf die Frage nach seiner Positionierung.
Der Gouverneur polarisierte sogar seine eigene Partei, die Demokraten, die eigentlich eine klare Mehrheit im Parlament besaß: »Von 100 Mitgliedern des Repräsentantenhauses unterstützten Long nur 18; von 39 Senatoren waren gerade einmal neun Long-Anhänger«, berichtet der Historiker Glen Jeansonne in seinem Buch »Messiah of the Masses«. Aber alle wussten um Longs leidenschaftliche Verachtung seiner Gegner. Über sein Lieblingsbuch – Alexandre Dumas' Rache-Epos »Der Graf von Monte Christo« – sagte er einmal: »Der Mann in dem Buch weiß zu hassen. Und bis man es nicht gelernt hat zu hassen, wird man es nie zu etwas bringen in dieser Welt.« Gern verlieh er seinen Gegnern abwertende Spitznamen, bezeichnete sie als »alte Staubwedel« oder »Sohn einer Eidechse«. Über dem Sitzplatz eines Politikers, der sich gegen den Neubau des Kapitols ausgesprochen hatte, ließ er ein Loch in die Decke bohren, sodass ihm bei Regen permanent Wasser auf den Kopf tropfte.
Die Palastrevolte verpufft
Bereits ein Jahr nach seiner Vereidigung initiierte eine oppositionelle Gruppe ein Amtsenthebungsverfahren. Der »Kingfish« antwortete mit dem Versuch, das Repräsentantenhaus auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Und tatsächlich: Obwohl sich viele Abgeordnete vorher kritisch geäußert hatten, zeigte die elektronische Ergebnisanzeige nun 68 »Dafür«-Stimmen bei nur 13-mal »Dagegen«. Ein Tumult brach los, es flogen Fäuste. Bei einer erneuten, diesmal namentlichen Abstimmung votierten 79 Abgeordnete gegen die Vertagung. Ob die Abstimmungsmaschine zuvor manipuliert worden war, konnte nie festgestellt werden.
Longs Verzögerungstaktik wäre ohnehin nicht nötig gewesen: Das Verfahren scheiterte anschließend im Senat von Louisiana aufgrund der Stimmen von 15 Unterstützern, die eine Vereinbarung unterzeichnet hatten, unter keinen Umständen gegen ihren Anführer zu stimmen.
Einmal mehr hatte sich Longs Netzwerk aus Günstlingen und Loyalisten bewährt. Er hatte es eigenhändig zusammengeschweißt mithilfe all jener Methoden, die ihm die Ankläger im Amtsenthebungsverfahren vorgeworfen hatten, und einigen, noch dunkleren Tricks obendrein: Korruption, Missbrauch öffentlicher Gelder, Einflussnahme auf die Justiz, Vetternwirtschaft und Erpressung. Überall in den Führungsetagen der Behörden hatte er Vertraute oder Familienmitglieder installiert. Im Gegenzug erwartete er von ihnen Treue und eine »Spende« vom Monatsgehalt direkt in die schwarzen Kassen des »Kingfish«.
Welche kriminellen Dimensionen seine Skrupellosigkeit angenommen hatte, zeigte Long 1930, als er den Sprung von Louisiana in die Bundespolitik schaffen wollte und sich um einen Sitz im US-Senat bewarb: Als zwei ehemalige Mitstreiter belastendes Material an die Konkurrenz durchstechen wollten, ließ er beide verschleppen. Der Generalstaatsanwalt erhob Anklage wegen Entführung gegen Long, da machte der Fall eine unerwartete Kehrtwende: Einer der Entführten stritt live im Radio ab, unrechtmäßig festgesetzt worden zu sein, und erklärte stattdessen, er habe sich von der Gegenseite bestechen lassen.
Die Pistole, die man ihm dabei nach eigener Aussage an die Schläfe gehalten habe, war im Radio freilich nicht zu sehen. Der kurze Zwischenfall gefährdete die erfolgreiche Wahl zum Senator nicht.
Stimmenfang in Washington
Der »Kingfish« blieb seinem Louisiana allerdings noch so lange treu, bis er zehn Monate später eine seiner politischen Marionetten auf den Gouverneursposten gehoben hatte. Erst dann wechselte er in die Washingtoner Bundespolitik. Ein loyaler Nachfolger garantierte, dass Huey Long weiterhin das Heft in Louisiana in der Hand hielt. Nach wie vor ging er im Parlament ein und aus, vereinte immer mehr Macht direkt auf den Staat – und damit auf sich selbst – und erhöhte die Schlagzahl für repressive Maßnahmen gegen seine Gegner. Einer dieser Besuche, bei dem er sich wieder in die lokale Gesetzgebung eingemischt hatte, sollte jedoch, wie sich bald zeigte, Auslöser seines Endes sein.
Zunächst aber setzte er weiter rigoros seinen Machtanspruch durch. Während der Vorwahlen zum US-Kongress im Juli 1934 schickte Long die Nationalgarde nach New Orleans, um sich die Wählerregister unter den Nagel zu reißen. 600 schwerbewaffnete Soldaten standen der örtlichen Polizei gegenüber. Die Lage drohte zu eskalieren. Sogar Washington schaute besorgt in den Süden. Doch am Wahltag blieb es ruhig – Longs Kandidaten siegten ohne großen Widerstand. Um den umstrittenen Einsatz des Militärs rückwirkend zu legalisieren, ließ Long ein Gesetz verabschieden, durch das er jederzeit und auch ohne Notstand über die Truppe befehligen konnte. Außerdem stattete er das Bureau of Criminal Investigation – eine Art FBI auf Ebene des Bundesstaats – mit gesonderten Rechten aus und machte es somit zu seiner Privatarmee. »Hueys Kosaken«, wie die Truppe auch genannt wurde, traten martialisch auf und bedrohten vor allem politische Gegner.
Kaum vorstellbar, dass bei diesem Pensum Zeit für die Bundespolitik blieb, doch ab Januar 1932 präsentierte er als Mitglied der Demokraten seine populistische Agenda zusätzlich landesweit im Washingtoner Senat und nahm auch hier kein Blatt vor den Mund. Er unterbrach seine Kollegen durch Zwischenrufe und bedrohte sie. »Offen gesagt, wir haben Angst vor ihm. Er ist unglaublich skrupellos. Er könnte irgendetwas behaupten über mich, das völlig unwahr ist, und es würde mich in meinem Staat trotzdem ruinieren«, sagte ein Kollege im Senat. Longs Sitznachbar wünschte öffentlich, den Platz wechseln zu dürfen – selbst wenn er bei den Republikanern sitzen müsse. Trat der »Kingfish« selbst ans Podium, dann verließ er es so schnell nicht wieder. Der »Filibuster«, das stundenlange Reden, mit dem sich auch heute noch wichtige Abstimmungen verzögern lassen, wurde eines seiner beliebtesten Instrumente. Am 12. Juni 1935 präsentierte er über 15 Stunden hinweg sein Programm, zitierte ausgiebig Shakespeare und verlas ein Rezept für Austernsuppe.
Exzentrischer Partylöwe
In der Bevölkerung verfingen die populistischen Botschaften inzwischen auch über Louisiana hinaus: In Arkansas etwa verhalf er etwa Hattie Caraway bei der Senatswahl von 1932 zum Erfolg. Huey zog mehrere Wochen mit einer Karawane aus Lastwagen durch den Nachbarstaat Louisianas, trat 39-mal vor großen Menschenmengen auf und pries seine Parteikollegin an. Als erste Frau überhaupt wurde Caraway für eine komplette Amtsperiode in den Senat gewählt.
Mit dem beliebten und spendierfreudigen Franklin D. Roosevelt im Oval Office drohte Longs Stern ab 1933 jedoch zu sinken. Zwar hatte der »Kingfish« seinem Parteikollegen während des Vorwahlkampfs wichtige Stimmen aus dem Süden gesichert, doch FDR und sein Team hielten den exzentrischen Demagogen auf Abstand und verweigerten ihm die Kontrolle über die Vergabe von Bundesmitteln in Louisiana. Zusätzlich machte der neue Präsident mit seinem New Deal, der die Folgen der Weltwirtschaftskrise bekämpfen sollte, Longs eigenem Wirtschaftsturbo Konkurrenz.
Und auch auf sozialem Parkett lief es nicht rund. Eine rauschende Party in einem New Yorker Nachtklub, während der er sogar auf jemanden uriniert haben soll, bescherte dem »Kingfish« ein blaues Auge und seinem Image tiefe Kratzer. Die Presse stürzte sich begeistert auf den Skandal. Ein Magazin brachte eine Medaille »für den unbekannten Helden, der Huey Long geschlagen hat« heraus. Bei der anschließenden Tour durch Louisiana kamen statt tausenden nur einige hundert Zuhörer – die ihn mit Eiern und Gemüse bewarfen.
Überall im Land sprossen Ortsverbände der neuen Organisation aus dem Boden. Spätestens an diesem Punkt musste auch Roosevelt den Emporkömmling aus dem Süden ernst nehmen
Geld für alle, Reichtum für keinen
Long pflegte einen exaltierten Lebensstil. Er trug teure Anzüge, lebte in luxuriösen Hotels und empfing Gäste gern im Pyjama, unter anderem einen deutschen Konsul, was kurzzeitig zu diplomatischen Verstimmungen führte. Dass er lieber mit seiner Geliebten als mit seiner Frau und seinen drei Kindern Zeit verbrachte, war ein offenes Geheimnis. Doch nach dem Eklat stellte er seine Ernährung um und reduzierte sein Gewicht, er verzichtete auf Alkohol sowie Zigaretten und vermied das Fluchen in der Öffentlichkeit. Für kurze Zeit inszenierte er sich nun als treusorgender Familienvater.
Und auch politisch gelang ihm ein Neustart. Im Februar 1934 gründete er die »Share Our Wealth Society« – eine Graswurzelbewegung, durch die er seinen Forderungen nach Umverteilung des Besitzes im Land Nachdruck verlieh. »Every man a king, but no one wears a crown«, lautete das Motto der Organisation, für die Long sogar eine Hymne komponierte: Jeder Mann ein König, aber niemand trägt eine Krone. In einer landesweiten Radioansprache, mit der er Millionen Menschen erreichte, forderte er unter anderem die Begrenzung privater Vermögen auf 50 Millionen Dollar (später sogar auf fünf bis acht Millionen Dollar) pro Person, Jahreseinkommen sollten bei einer Million Dollar mittels Steuern gekappt werden. Im Gegenzug würde er jedem Amerikaner ein Jahreseinkommen von 2000 bis 3000 Dollar garantieren und jeder Familie ein Vermögen von 5000 Dollar. Schulen und Universitäten sollten kostenlos sein, die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden verkürzt werden, um mehr Jobs zu schaffen. Personen ab 60 Jahren sollten eine staatliche Rente beziehen. Um zu verhindern, dass seine Bewegung als kommunistisch verschrien würde, sparte er nicht mit Bibelverweisen.
Vermutlich glaubte nicht einmal Long selbst an die Realisierbarkeit seiner Forderungen, aber sie schlugen ein wie eine Bombe. Unmengen an Unterstützerbriefen trafen täglich in Washington ein. Überall im Land – und sogar in Kanada – sprossen Ortsverbände der neuen Organisation aus dem Boden. Zu Hochzeiten waren es über 27 000 »Share Our Wealth«-Klubs in allen 48 Staaten mit insgesamt rund 7,7 Millionen Mitgliedern.
Spätestens an diesem Punkt musste auch Roosevelt den Emporkömmling aus dem Süden ernst nehmen. Denn mit ihm drohte Konkurrenz bei seiner angestrebten Wiederwahl zum US-Präsidenten 1936. Einer geheimen Umfrage der Demokraten zufolge vereinigte Long zehn Prozent der landesweiten Stimmen auf sich. Dass der »Kingfish« ins Oval Office strebte, daraus hatte er nie ein Geheimnis gemacht. Doch wie würde er vorgehen?
Laut seinem Biografen William Hair habe er geplant, seine »Share Our Wealth«-Bewegung auf die große Bühne zu heben, indem er bei den Vorwahlen der Demokraten gegen Roosevelt antreten würde. Da dem amtierenden Präsidenten die Kandidatur nicht zu nehmen sein würde, wolle er nach seiner Niederlage die Gründung einer dritten Partei verkünden. Long selbst würde nicht als Spitzenkandidat antreten, sondern einem Platzhalter das Feld überlassen, denn ihm war klar, dass er das Rennen nicht gewinnen konnte. Das gleiche Schicksal drohte aber auch Roosevelts Demokraten, die an die neue Partei eine erhebliche Stimmenanzahl verlieren würden. Der Stratege kalkulierte, dass ein republikanischer Kandidat zwar Präsident werden könnte, nicht aber die Wirtschaftskrise in den Griff bekommen würde, sodass er – Long – im Jahr 1940 als großer Retter in der Not antreten und ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen sein würde. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Tod im Kapitol
Unter seinen Gegnern gab es durchaus ernstzunehmende Überlegungen, sich Longs gewaltsam zu entledigen. Das Attentat vom 8. September 1935 scheint aber die Tat eines Einzelnen gewesen zu sein. Laut der offiziellen Darstellung hat der 28-jährige Arzt Carl Weiss seinem Opfer vor dem Gouverneursbüro im Kapitol von Baton Rouge aufgelauert und aus kurzer Distanz einen Schuss auf ihn abgefeuert. Daraufhin hätten ihn Longs Leibwächter mit 61 Kugeln durchsiebt. Weiss war sofort tot, Huey Long starb dagegen erst rund 30 Stunden später im Krankenhaus.
Über das Motiv des Täters – und auch über seinen Beitrag zum Tod von Long – wird bis heute spekuliert. Weiss' Schwiegervater war als Richter in Louisiana erklärter Gegner Longs. Am Tag des Attentats hatte Long ein Gesetz durchgebracht, das den Richter de facto aus dem Amt drängte. Zudem scheint Long Gerüchte über »afroamerikanisches Blut« in der Familie des Richters befeuert zu haben, was in der rassistischen weißen Elite des Südstaats eine schwerwiegende Beleidigung war. Weiss hatte zudem während seiner Ausbildung in Europa den Aufstieg von Diktatoren wie Hitler und Mussolini verfolgt und sich möglicherweise in der Pflicht gesehen, dasselbe in den USA zu verhindern.
Doch bis heute gibt es Zweifel am offiziellen Tathergang. Sämtliche Zeugenaussagen entstammten Longs engerem Umfeld sowie seiner »Kosaken«-Truppe, zudem meldeten sich alle erst Tage später zu Wort. Der Verdacht: Weiss habe Long nur einen Faustschlag versetzt, dann habe einer der Bodyguard versehentlich auf Long geschossen. Anschließend habe man die Sache zu vertuschen versucht.
Zu Huey Longs Trauerfeier kamen rund 200 000 Menschen. Der »Diktator von Louisiana« wurde auf dem Gelände des Kapitols beigesetzt. Heute steht eine 3,5 Meter hohe Bronzestatue von ihm auf dem Grab.
Sinclair Lewis' Roman erschien rund sechs Wochen nach dem Tode Longs und fand reißenden Absatz. Obwohl er literarisch nicht zu seinen besten zählt, traf die politische Botschaft bei Leserschaft und Kritik einen Nerv. Es sei »das wichtigste Buch, das jemals in diesem Land verkauft wurde«, urteilte der »New Yorker«.
Nach der ersten Wahl Donald Trumps zum Präsidenten landete »It Can’t Happen Here« noch einmal auf den Bestsellerlisten. Anfang 2017 schrieb die Historikerin Beverly Gage in einem Beitrag zur Wiederentdeckung des Buches in der »New York Times«: »1935 versuchte Lewis das Undenkbare zu verhindern: die Wahl eines pseudofaschistischen Kandidaten zum Präsidenten der USA. Leser von heute hinken den Entwicklungen bereits hinterher. Sie können nur noch versuchen, sich möglichst schnell ein Bild von dem zu machen, was noch kommen kann.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.