Hunde: Die Welt mit der Nase sehen

Wer einen Hund hat, dürfte die Situation kennen: Eigentlich würde man den Spaziergang jetzt gerne fortsetzen. Weil es kalt und ungemütlich ist. Weil man noch etwas anderes vorhat. Oder weil dieses Fleckchen Rasen neben dem Supermarkt für menschliche Augen ausgesprochen unspektakulär wirkt. Doch die vierbeinige Begleitung schaut einen an, als sei man nicht ganz bei Trost: Jetzt schon aufbrechen? Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein! Es gibt hier doch noch so viel Spannendes zu erschnüffeln!
In solchen Situationen zeigt sich deutlich, wie unterschiedlich Menschen und ihre sprichwörtlichen besten Freunde ihre Umgebung wahrnehmen. »Hunde leben in einer Welt der Gerüche«, erklärt Juliane Bräuer, die am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena die Forschungsgruppe Hundestudien leitet. Sie und ihr Team wollen besser verstehen, wie die Tiere ihren hervorragenden Geruchssinn einsetzen und wie er mit ihren geistigen Fähigkeiten zusammenhängt. »Darüber weiß man bisher nur sehr wenig«, sagt die Forscherin. Erst allmählich gelingt es der Wissenschaft, tiefer in diese geheimnisvolle Welt vorzudringen.
Klar ist, dass Hunde eine weitaus bessere Ausstattung für das Wahrnehmen von Gerüchen besitzen als der Mensch. So finden sich in den Nasenhöhlen eines Schäferhundes etwa 150 Quadratzentimeter Riechschleimhaut mit rund 250 Millionen Riechzellen. Dackel bringen es immerhin auf die Hälfte davon. Dagegen müssen sich Menschen mit bescheidenen zehn Quadratzentimetern Schleimhaut begnügen, in denen 30 Millionen Riechzellen auf Duftreize warten.
Auch jene Bereiche im Gehirn, in denen die von den Riechzellen aufgenommenen Informationen verarbeitet werden, unterscheiden sich deutlich. Während Menschen bloß einen kleinen Teil ihres Denkorgans für solche Aufgaben reserviert haben, ist bei Hunden ein Achtel des gesamten Gehirns nur für das Riechen zuständig. Die Vierbeiner können dadurch je nach Duftstoff 10 000- bis 100 000-mal besser riechen als wir.
Kein Wunder also, dass sich die Tiere oft am liebsten auf ihre Nase verlassen. Das hat sich beispielsweise bei einem Test gezeigt, in dem eigens für diese Aufgabe ausgebildete Hunde nach Sprengstoff suchen sollten – und zwar bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Selbst bei strahlendem Sonnenschein lösten sie diese Aufgabe lieber mit der Nase als mit den Augen. Das gilt auch in vielen anderen Situationen. Hunde erkennen am Geruch, ob ein Tier zur eigenen oder zu einer fremden Art gehört, welches Geschlecht es hat, ob es jung oder alt ist, krank oder gesund. Sie können sogar unterscheiden, wie nah ein Artgenosse mit ihnen verwandt ist. Und sie wissen offenbar sehr genau, wie sie selbst riechen.
Themenwoche: Wie Tiere denken und fühlen
Wenn die Verhaltensforschung der letzten Jahre eines sehr deutlich zeigt, dann dass wir die kognitiven und emotionalen Leistungen zahlreicher nichtmenschlicher Lebewesen lange unterschätzt haben. Dabei nicht zu vergessen: jene der so genannten »Nutztiere«. Wollen wir das gesamte Spektrum des tierischen Verhaltens und Denkens begreifen, dann dürfen wir uns Menschen dabei nicht in den Mittelpunkt stellen. Wie kann das gelingen? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.
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Alle Inhalte zur Themenwoche »Wie Tiere denken und fühlen« finden Sie auf unserer entsprechenden Themenseite.Erste Indizien dafür hat ein eher ungewöhnliches Experiment geliefert. Entlang eines Radwegs hat Marc Bekoff von der University of Colorado mit Hundeurin getränkten Schnee von seinem Ursprungsort an andere Stellen verfrachtet. Dann hat er beobachtet, an welchen der gelben Klumpen ein Rüde namens Jethro am längsten schnupperte. Mit seinem eigenen Urin verbrachte der Kandidat von Anfang an am wenigsten Zeit. Und sein Interesse daran ließ im Lauf des Versuchs noch weiter nach. Bei den Hinterlassenschaften anderer Artgenossen war dies nicht der Fall.
Das Ich als Geruch?
Demnach könnten auch Hunde zum exklusiven Kreis von Arten gehören, die wissen, wer sie selbst sind. Ob das der Fall ist, prüft man normalerweise mit Hilfe eines Spiegels. Man malt dem tierischen Kandidaten einen Fleck auf die Stirn und lässt ihn sich dann betrachten. Menschenaffen wischen in dieser Situation nicht etwa auf dem Glas herum, um die Farbe zu entfernen, sondern im eigenen Gesicht. Hunde dagegen haben diesen Test bisher nicht bestanden. Aber das muss nicht bedeuten, dass sie keine Vorstellung von sich selbst haben. Vielleicht definieren sie sich nur weniger über ihr Aussehen, sondern mehr über den Geruch?
Alexandra Horowitz vom Barnard College in New York ist dieser Vermutung 2017 nachgegangen und hat eine Art Spiegeltest für die Nase entworfen. Darin schnupperten die Tiere an ihrem eigenen Urin – mal in seiner ursprünglichen und mal in einer mit einem Duftstoff veränderten Version. Letztere stieß bei den Tieren auf deutlich mehr Interesse. Sind sie also irritiert, weil sie wissen, wie sie eigentlich riechen müssten? Ist der zugesetzte Duftstoff für sie das, was für optisch orientierte Arten der störende Fleck auf ihrer Stirn ist? Einige Fachleute halten das durchaus für möglich.
»Hunde leben in einer Welt der Gerüche«Juliane Bräuer, Biologin
Die Erfinder des ursprünglichen Spiegeltests sind da allerdings skeptisch. Ihr Argument: Die Hunde seien schlicht an ihren Eigengeruch gewöhnt (habituiert) – werde diesem eine andere olfaktorische Komponente hinzugefügt, so dishabituierten sie und schnüffelten dementsprechend länger an dem nun neuen und spannenden Duft. Auch in anderen Fällen ist es gar nicht so einfach, die ungewöhnlichen Talente der vierbeinigen Spürnasen wissenschaftlich greifbar zu machen. Gute Tests dafür zu entwickeln, erfordert oft einige Tüftelei. »Das liegt daran, dass wir Menschen so schlecht im Riechen sind«, sagt Juliane Bräuer. »Wir können uns gar nicht richtig vorstellen, wie ein Hund die Welt erlebt.«
Allein mit der Fülle an Eindrücken wäre ein Mensch wahrscheinlich komplett überfordert. Denn während physikalische Sinnesorgane wie Augen und Ohren eher Momentaufnahmen liefern, bleiben chemische Botschaften für eine gewisse Zeit erhalten. Wenn ein Hund einen Raum betritt, kann er also nicht nur schnuppern, wie dieser aktuell eingerichtet ist, wer sich darin aufhält und ob die Nachbarn gerade kochen. Er erfährt zudem, wie die Situation vor ein paar Stunden gewesen ist. Oder gestern. Oder letzte Woche. Das kann schon verwirrend werden. Doch irgendwie schaffen es die Tiere offenbar, aus dem Wust an Düften die für sie wichtigen Informationen herauszufiltern.
Dieses Talent nutzt die Menschheit seit Jahrtausenden (siehe »Immer der Nase nach!«). Die begabten Spürnasen waren seit jeher äußerst nützliche Gefährten, die beim Aufstöbern von Jagdbeute halfen oder Haus und Hof bewachten. Dabei ist es aber nicht geblieben. Inzwischen sind vierbeinige Profis nicht nur regelmäßig bei Polizei und Zoll im Einsatz, sondern auch beim Rettungsdienst und in der Schädlingsbekämpfung. Sie erschnuppern Krankheiten, finden Erze oder lokalisieren Lecks in Pipelines. Und manche betätigen sich sogar als Naturschützer (siehe »Bedrohten Arten auf der Spur«).
Riechen ist auch für Hunde eine anstrengende Sache
Allerdings eignet sich selbst innerhalb derselben Rasse nicht jedes Tier gleich gut für einen solchen Job. Manche erweisen sich als ausgesprochen schnupperfaul. Juliane Bräuer kennt das von ihrer eigenen Border-Collie-Hündin. »Nana setzt ihre Nase nur relativ selten ein, obwohl sie es könnte«, berichtet die Forscherin. »Stattdessen schaut sie sich oft lieber um.« Wie die Tiere die Entscheidung für oder gegen das Schnuppern treffen, untersuchen sie und ihr Team gerade.
Möglicherweise spielt dabei die Tatsache eine Rolle, dass Riechen für Hunde eine relativ anstrengende Sache ist. Die Nase einfach nur in die Gegend zu halten, reicht nämlich nicht. Um Gerüche wirklich gut wahrnehmen zu können, müssen die Tiere aktiv schnüffeln. Denn ohne die dabei entstehenden Turbulenzen kommen lediglich etwa zwei Prozent der in der Luft schwebenden Duftstoffe tatsächlich bei den Riechzellen an. Auch wenn Hunde hecheln, geht das auf Kosten ihres Riechvermögens. Denn dabei strömt die meiste Luft durchs Maul statt durch die Nase.
Ob die vierbeinigen Helfer das Gesuchte finden oder nicht, hängt jedoch nicht nur von ihrer Schnupperwilligkeit und Motivation ab. Umweltfaktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit, Luftdruck und Windverhältnisse sowie der gesundheitliche und psychische Zustand des Tiers spielen eine Rolle. Und nicht zuletzt hat der menschliche Begleiter die Hände im Spiel. Wie weit dessen Einfluss reicht, hat 2011 eine Forschungsgruppe um Lisa Lit, damals an der University of California in Davis, in einem Versuch mit 18 ausgebildeten Sprengstoff- und Drogenspürhunden getestet.
Immer der Nase nach!
Die Schnuppertalente von Hunden werden heutzutage in den verschiedensten Bereichen genutzt.
Jagd: Schon vor Jahrtausenden waren die Tiere geschätzte Jagdgefährten. Und noch heute erfüllen sie in diesem Bereich eine ganze Reihe von Aufgaben. Sie stöbern zum Beispiel Niederwild in seinem Versteck auf, apportieren geschossene Enten oder suchen nach verletztem, aber nicht getötetem Wild. Kleine und wehrhafte Rassen wie Dackel und Terrier sind besonders gut geeignet, um Fuchs und Dachs in ihrem Bau aufzuscheuchen.
Polizei und Zoll: Weltweit sind die Tiere häufig bei der Fahndung nach Drogen und Sprengstoff im Einsatz. Es gibt außerdem vierbeinige Spezialisten, die Waffen, Geldscheine, Elfenbein oder die verschiedensten anderen Schmuggelwaren finden können.
Rettungsdienst: Zu den bekanntesten Einsatzgebieten von vierbeinigen Schnüfflern gehört die Suche nach vermissten Personen. Das können Wanderer sein, die sich in unwegsamem Gelände verirrt haben. Oft geht es darum, die verschütteten Opfer von Naturkatastrophen wie bei einer Lawine oder einem Erdbeben zu finden.
Medizin: Gut trainierte Hunde können die charakteristischen Profile von flüchtigen Substanzen erkennen, die für Patienten mit einer bestimmten Krankheit typisch sind. So können sie erschnuppern, wenn Epilepsiekranken ein Anfall oder Diabetikern eine Unterzuckerung droht. Auch bei der Diagnose von Krebs oder Corona waren sie schon erfolgreich.
Schädlingsbekämpfung: Speziell ausgebildete Hunde können Nagetiere oder Bettwanzen aufspüren und anzeigen. Solche Plagegeister sind zwar problemlos mit bloßem Auge zu erkennen, halten sich aber meist geschickt verborgen. Um sie effektiv bekämpfen zu können, sind die Hinweise der Schnupperprofis daher sehr nützlich. Das Gleiche gilt bei der Suche nach Schimmelbefall oder eingeschleppten Pflanzenschädlingen wie dem Asiatischen Laubholzbockkäfer.
Naturschutz: Vor allem in Neuseeland, Europa und Nordamerika spüren Suchhunde mittlerweile Hunderten von bedrohten Arten nach. Die Palette reicht dabei von großen Raubtieren über Vögel bis hin zu Insekten. Und der Erfolg ist verblüffend. Oft lassen sich die gesuchten Arten per Hundenase deutlich besser nachweisen als mit anderen Methoden. Auch bei der Fahndung nach invasiven Arten leisten die Spürnasen gute Dienste.
Die Tiere sollten entsprechende Proben suchen und zeigten in 85 Prozent der Durchgänge tatsächlich einen Fund an. Dabei war in keinem einzigen dieser Fälle überhaupt etwas auf dem Gelände versteckt – was die Hundeführer aber nicht wussten. Deren Erwartung hatte sich bei diesem Experiment offenbar auf die Vierbeiner übertragen, so dass diese Fehlalarme produzierten.
Es gibt allerdings auch den umgekehrten Fall: Die Hunde riechen das Gesuchte zwar durchaus, zeigen aber nichts an. »Das kann daran liegen, dass sie nicht genau wissen, was man von ihnen will«, erklärt Juliane Bräuer. Ein Drogenspürhund hat im Training vielleicht gelernt, kleine Plastiktüten mit Kokain zu finden. Doch wenn er dann im Einsatz eine viel größere Menge in einer anderen Verpackung schnuppert, ignoriert er die möglicherweise. »Für ihn ist das einfach nicht dieselbe Kategorie«, so die Biologin.
Vor ähnlichen Problemen stehen Rettungshunde. In ihrer Ausbildung üben diese zwar immer wieder, Menschen zu finden. Nur handelt es sich dabei um gesunde und unversehrte Personen – und die riechen für eine feine Spürnase eben deutlich anders als Bewusstlose und Verletzte, die in einem Erdbebengebiet verschüttet sind. »Man muss den Tieren also erst einmal klarmachen, was sie überhaupt suchen sollen«, betont die Expertin.
Bilder aus Düften
Gerade dafür wäre es gut, mehr über die Geruchswelt der Vierbeiner zu wissen. Dann ließe sich das bisherige Training für die Sonderfahnder auf vier Pfoten vielleicht noch verbessern. Doch bisher ist nicht einmal klar, wie das Aufnehmen und Verfolgen einer Fährte überhaupt funktioniert. Was genau nehmen die Tiere beispielsweise wahr, wenn sie der Spur eines ganz bestimmten Menschen folgen? Niemand weiß das so genau.
Trotz der vielen ungeklärten Fragen gelingt es immer wieder, neue Einblicke in die Geruchswelt der Hunde zu gewinnen. Forscherinnen um Philippa Johnson von der Cornell University in den USA haben das zum Beispiel mit Hilfe der Magnetresonanztomografie geschafft, genauer gesagt der Diffusions-Tensor-Bildgebung. Diese Methode lieferte fein aufgelöste Bilder, auf denen intensive Verbindungen zwischen dem Riechkolben der Tiere und anderen wichtigen Bereichen ihres Gehirns zu erkennen sind. Offenbar ist der Geruchssinn bei Hunden stark mit verschiedenen geistigen Prozessen verknüpft. Beispielsweise verbinden die Datenhighways das Riechsystem mit Regionen, die mit dem Entstehen von Erinnerungen und Emotionen zu tun haben.
»Wir können uns gar nicht richtig vorstellen, wie ein Hund die Welt erlebt«Juliane Bräuer, Biologin
Tatsächlich haben bereits einige Studien gezeigt, dass Gerüche einen Einfluss auf die Gefühlswelt von Hunden haben. So hat Deborah Wells von der Queen’s University Belfast gezielt solche Vierbeiner beobachtet, die sich auf einer Autofahrt regelmäßig in ein Nervenbündel verwandelten. Sobald im Fahrzeug Lavendelduft in der Luft hing, verhielten sie sich deutlich ruhiger und bellten weniger. In anderen Versuchen hat auch das Aroma von Kokos, Vanille, Baldrian oder Ingwer eine beruhigende Wirkung gezeigt. Und die synthetische Version eines Pheromons, das von säugenden Hündinnen freigesetzt wird, könnte gegen die Angst vor einem Feuerwerk helfen.
Eine solche Verknüpfung zwischen Duft- und Gefühlswelt mag nicht sonderlich überraschend sein. Schließlich können Gerüche auch beim Menschen sehr effizient im Gedächtnis gespeichert werden. Ein bestimmter Duft aus der Kindheit weckt daher manchmal jahrzehntealte und sehr emotionale Erinnerungen. Bei Hunden mit ihrer so viel feineren Nase könnten solche Effekte noch stärker sein.
Der genaue Blick ins Hundehirn hat jedoch noch ein anderes und deutlich verblüffenderes Ergebnis gebracht. Philippa Johnson und ihr Team haben nämlich eine weitere Datenschnellstraße entdeckt. Sie führt vom Riechsystem direkt zu den Arealen, die fürs Sehen zuständig sind. Eine solche Verbindung wurde bisher bei keinem anderen Tier nachgewiesen. Und für Menschen ist es nicht leicht sich vorzustellen, was diese Verknüpfung für die Wahrnehmung der Welt bedeutet. Denken Hunde in Bildern aus Gerüchen? Ist das vielleicht der Grund dafür, dass sich blinde Hunde in ihrer Umgebung deutlich besser zurechtfinden als Menschen mit dem gleichen Problem?
Bedrohten Arten auf der Spur
Manche Hunde betätigen sich als Naturschützer. Zu denen gehören zum Beispiel Zammy und Ruby. Ihre Besitzerin Annegret Grimm-Seyfarth arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und ist Spezialistin für das Monitoring von bedrohten Arten. Sie untersucht unter anderem, wie viele Fischotter in einer bestimmten Region leben oder wo Amphibien den Sommer verbringen. Wer diese Tiere effektiv schützen will, sollte solche Fragen beantworten können. Doch das ist oft eine echte Herausforderung. Denn viele gefährdete Arten führen ein Leben im Verborgenen.
Um sie zu finden, setzt Annegret Grimm-Seyfarth daher auf vierbeinige Unterstützung. Sie hat inzwischen etliche Hunde zu versierten Artenfahndern ausgebildet, die zum Beispiel den Kot von Fischottern aufspüren können. Aus diesen Hinterlassenschaften lässt sich eine Fülle von Informationen über den jeweiligen Produzenten, seine Verwandtschaftsverhältnisse und seinen Speiseplan gewinnen. Doch dazu muss man die verräterischen Häufchen erst einmal finden.
Und das ist selbst für Fachleute alles andere als einfach. »Kleine, dunkel gefärbte Losung oder grüne Losung im grünen Gras übersieht man sehr leicht«, weiß Annegret Grimm-Seyfarth aus eigener Erfahrung. Einem gut trainierten Hund aber entgeht so schnell nichts. Als das UFZ-Team Otterfahnder auf zwei und vier Beinen gegeneinander antreten ließ, fanden die Hunde nicht nur viermal mehr Losung, sie waren dabei auch noch doppelt so schnell – und hatten eine erstaunlich geringe Fehlerquote.
Zugute kommt ihnen dabei, dass sie bei der Suche auf kleinste Details achten. Für sie riecht der Kot eines Fischotters zum Beispiel deutlich anders als der des eingeschleppten Amerikanischen Nerzes, der ebenfalls ein begeisterter Fischfresser ist und in den gleichen Lebensräumen vorkommt. Die Hunde zeigen nur Otterkot an und ignorieren den der anderen Marder. Dadurch sparen die Forscher jede Menge Geld und unnötigen Aufwand.
Wenn Zammy mit unbändigem Elan einen Auwald durchkämmt, achtet er aber nicht nur auf verräterische Fischotterdüfte. Gleichzeitig hält er die Nase auch nach Kamm-, Berg- und Teichmolchen offen. Da kann eines der unscheinbaren Amphibien noch so versteckt unter einem abgestorbenen Wurzelstock hocken – der hoch motivierte Border Collie findet es. »Er musste natürlich erst lernen, dass sich so ein Molch oft unter Totholz oder in anderen Verstecken verbirgt und nicht so stark riecht wie Otterkot«, sagt die Trainerin. »Aber das sind Feinheiten, die er schnell begriffen hat.« Allerdings zeigt nicht jeder Vierbeiner gleich viel Talent für solche Aufgaben. »Im Prinzip kann man zwar alle Rassen zu Artenspürhunden ausbilden«, so Annegret Grimm-Seyfarth. Bei einigen sei das einfacher als bei anderen.
»Zumindest scheinen Hunde eine klare Vorstellung davon zu haben, was sie am Ende einer Duftspur finden werden«, sagt Juliane Bräuer. Sie und ihr Team haben dafür schon eine ganze Reihe von Indizien entdeckt. In einem Versuch haben sie zum Beispiel ein Spielzeug über den Boden gezogen. Die vierbeinigen Kandidaten sollten der Spur bis zu einem Versteck folgen und den dort gefundenen Gegenstand zurückbringen. Für einen Hund ist das keine sonderlich anspruchsvolle Aufgabe. Irritiert waren die Tiere allerdings, wenn sie am Ende statt auf das zur Spur passende Spielzeug auf ein anderes stießen.
Zu ähnlichen Ergebnissen führte ein Experiment mit zwei unterschiedlichen Bezugspersonen. Wenn Frauchen die Spur gelegt hatte, an deren Ende aber Herrchen wartete, waren die Tiere oft noch nicht zufrieden und suchten weiter. Für Juliane Bräuer ist das ein Indiz dafür, was im Kopf der Tiere vorgeht, wenn sie einer Fährte folgen. Den Ergebnissen zufolge ist das mehr als »Gute Spur, da muss ich hinterher!«. Sie denken wohl eher in die Richtung »Hier ist Frauchen entlanggelaufen und hatte gute Laune«.
Angst ist ansteckend
Auch im Wahrnehmen von menschlichen Emotionen sind Hunde nämlich echte Profis. Ob ihr Gegenüber gestresst ist, erschnüffeln sie möglicherweise anhand des Stresshormons Kortisol. Und selbst die chemischen Unterschiede zwischen Angst und Glück kann ihre Nase problemlos dingfest machen. Das zeigt ein Experiment an der Universität Neapel Federico II, bei dem die Hunde mit Schweißproben aus den Achseln von glücklichen und ängstlichen Männern konfrontiert wurden.
Die getesteten Labradore und Golden Retriever reagierten darauf ganz unterschiedlich. Witterten sie gute Laune, zeigten sie mehr Interesse an fremden Menschen und suchten weniger Kontakt zu ihren Besitzern. Hing dagegen Angst in der Luft, beschleunigte sich ihr Herzschlag und sie zeigten weitere Stresssymptome. Die Tiere können menschliche Emotionen also nicht nur wahrnehmen, sondern passen auch ihre eigenen daran an – und das zum Teil schon als Welpen. Hunde reagieren auf Angst zum Beispiel schon im Alter von wenigen Monaten.
»Hunde scheinen eine klare Vorstellung davon zu haben, was sie am Ende einer Duftspur finden werden«Juliane Bräuer, Biologin
Doch sogar angenehme Gefühle sind offenbar ansteckend. Ein Streicheln oder ein anderer positiver Kontakt zwischen Hund und Halter senkt bei beiden den Blutdruck. Zugleich steigen die Konzentrationen der auch als »Glückshormone« bekannten Endorphine und des Bindungshormons Oxytozin an. Das kann an einem Mix von unterschiedlichen Reizen liegen. Aber die Nase spielt dabei wahrscheinlich zumindest mit.
In einer gut funktionierenden Beziehung zwischen Mensch und Hund ist schließlich schon allein der Geruch der Bezugsperson für das Tier etwas Positives. Das zeigt ein Experiment an der Emory University in Atlanta, bei dem zwölf Hunde mit den Gerüchen unterschiedlicher Menschen und Artgenossen konfrontiert waren. Alle Proben aktivierten in ganz ähnlicher Weise den Riechkolben im Gehirn. Doch der so genannte Nucleus caudatus, in dem ein Teil des Belohnungssystems liegt, reagierte deutlich stärker auf den Geruch einer vertrauten Person. Ob sich im Kopf von Hundebesitzern Ähnliches abspielt, weiß bisher niemand so genau. Es spricht aber nichts dagegen. Schließlich haben Versuche gezeigt, dass diese den Duft ihres eigenen Haustiers durchaus von dem anderer Hunde unterscheiden können. Ganz so geruchsblind, wie man meinen könnte, sind Menschen also doch nicht.
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