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Neuer Test der Relativitätstheorie: Husarenritt über dem Schwarzen Loch

Ein besonderer Stern rast an einem supermassereichen Schwarzen Loch vorbei - und bestätigt dabei wieder einmal den großen Meister der Physiker.

Astronomen verkünden einen weiteren Triumph von Albert Einsteins Relativitätstheorie: Das gut 100 Jahre alte Weltmodell beschreibt die Bahn eines Sterns im Zentrum der Milchstraße mit beeindruckender Präzision, berichtete ein Wissenschaftlerteam der Europäischen Südsternwarte ESO am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Garching.

Hauptprotagonist der Entdeckung ist ein Stern namens S2, den die Wissenschaftler schon seit 26 Jahren beobachten: Auf einer eierförmigen Bahn fliegt er immer wieder um das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, ein Gravitationsmonster mit der Masse von vier Millionen Sonnen. Für Astronomen ist der besondere Stern ein Glücksfall. Für eine Umrundung benötigt S2 zwar rund 16 Jahre – aber dafür ist seine Bahn so orientiert, dass die Menschheit ihn die ganze Zeit mit Teleskopen verfolgen kann.

2,5 Prozent der Lichtgeschwindigkeit

Am spannendsten ist dabei jene kurze Phase, in der S2 dem Rand des Schwarzen Lochs am nächsten kommt: Zeitweise nähert sich der Stern dem dunklen Giganten bis auf einen Abstand von 18 Milliarden Kilometern – gerade mal das 120-Fache der Distanz zwischen Erde und Sonne oder das vierfache der Strecke zwischen Sonne und Neptun. Durch den enormen Sog der Schwerkraft legt der Stern in dieser Phase kaum vorstellbare 7650 Kilometer pro Sekunde zurück.

Sternbahnen | Simulation der Orbits mehrerer Sterne rund um das extrem massereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße.

Das entspricht rund 2,5 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Klingt überschaubar, ist aber eine ganze Menge: Eine Gewehrkugel erreicht gerade mal 0,01 Prozent davon. Und die schnellste je von Menschen ins All geschossene Raumfähre, die Pluto-Sonde New Horizons, kam zeitweise auf 0,2 Prozent der Geschwindigkeit von S2. Entsprechend spannend ist S2 für Wissenschaftler: Sie gehen davon aus, dass bei solch einer rasanten Bewegung die klassische Physik an ihre Grenzen stoßen müsste.

Genauer: Himmelsobjekte wie der Stern S2 dürften sich nicht von den keplerschen Gesetzen beschreiben lassen, mit denen Astronomen seit dem 17. Jahrhundert die Bahnen der Planeten im Sonnensystem vorhersagen. Nein, hier betritt die Natur das Reich Albert Einsteins. Laut seiner allgemeinen Relativitätstheorie treten bizarre Phänomene auf, wenn etwas extrem beschleunigt wird oder das Schwerefeld großer Massen durchquert.

Rotverschiebung durch Schwerkraft

Zum Beispiel vergeht in der Nähe eines großen Schwerezentrums die Zeit etwas langsamer, Experten sprechen von gravitativer Zeitdilatation. Man kann sie auch im Gravitationsfeld der Erde beobachten, etwa mit Atomuhren an Bord von Satelliten. In der Nähe eines supermassereichen Schwarzen Lochs ist der Effekt weit ausgeprägter. Die Zeitdilatation führt dort sogar dazu, dass Lichtwellen ein klein wenig langsamer hin- und herschwingen. Das wiederum streckt die Wellenlänge des Lichts – wodurch es für einen Beobachter etwas röter erscheint.

Diese gravitative Rotverschiebung ist für Astronomen eigentlich nichts Neues, schließlich hat sie messbare Folgen für jede Form von Strahlung, die aus der Umgebung massereicher Objekte entweicht. Aber noch nie haben Wissenschaftler den Effekt unter so spektakulären Umständen nachgewiesen wie jetzt.

So zeigen die Messungen der Forscher, dass sich das Licht von S2 deutlich zum roten Teil des Spektrums verschoben hat, als er im Mai 2018 dem Schwarzen Loch am nächsten kam. Der Löwenanteil der Rotverschiebung geht darauf zurück, dass sich der Stern von uns entfernt und sein Licht – ähnlich den Schallwellen eines vorbeirasenden Feuerwehrautos – gestreckt wird. Einige Prozent der Verschiebung basieren aber wohl auf dem Sog des Schwerefeldes und lassen sich nur durch die allgemeine Relativitätstheorie erklären, erläutern die Forscher in einer detaillierten Auswertung im Fachmagazin »Astronomy & Astrophysics«.

Geglückt ist die Messung mit einem Hochleistungsinstrument namens GRAVITY, welches das Licht der vier Teleskope des VLT-Observatoriums in Chile geschickt zusammenfügt, Astronomen sprechen von Interferometrie. Hiermit konnten die Forscher die Bahn des besonderen Sterns deutlich präziser bestimmen als beim letzten Rendezvous von S2 und dem Schwarzen Loch im Jahr 2002.

In den kommenden Jahren wollen die Astronomen den Stern S2 damit weiter beobachten. Mittelfristig gehen sie davon aus, eine weitere Prognose der Relativitätstheorie bestätigen zu können: Demnach müsste sich die Orientierung der S2-Bahn mit jedem Umlauf ein klein wenig verschieben, Experten sprechen von Schwarzschildpräzession. Spannend wäre, wenn sie mit dieser Vorhersage danebenliegen sollten. Dann hätten sie erstmals eine Abweichung vom bewährten Werk Albert Einsteins aufgespürt.

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