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Gesundheit: Hype oder Hilfe: Was bringt Dopaminfasten?

Der Mediziner Thilo van Eimeren erklärt im Interview, wie kurzzeitiger Verzicht auf Smartphones oder andere Annehmlichkeiten einer Sucht vorbeugen kann.
Dopaminlevel

Der Begriff Dopaminfasten wurde von dem Psychologen und Verhaltensmediziner Cameron Sepah von der University of California in San Francisco geprägt. Seit Ende 2019 geistert er auch hier zu Lande durch die Medien. Dahinter steht meist die Idee, möglichst allen digitalen Angeboten zumindest phasenweise zu entsagen: Internet, Smartphone, Games, E-Mails und so weiter. Anhänger des besonders im Silicon Valley beliebten Dopaminfastens verzichten tage- bis wochenlang auf jeglichen Medienkonsum. In der extremen Ausprägung unterlassen sie sogar alles, was potenziell einen »Kick« verschafft: ob Körper- oder Blickkontakt, Gespräche, Sport oder Nahrungsaufnahme. Diese Selbstbeschränkung soll den Dopaminspiegel senken und aus dem Kreislauf der Sucht auszubrechen helfen – und für die eigene Umwelt wieder empfänglicher machen.

Herr Professor van Eimeren, Dopamin wird oft als »Glückshormon« bezeichnet. Welche Rolle spielt dieser Botenstoff im Gehirn?

Dopamin hat mit Glück an sich wenig zu tun. Es wird immer dann ausgeschüttet, wenn wir etwas erreicht haben, das wir als positiv empfinden. Wir können dabei zwar glücklich sein, aber das sollte man nicht gleichsetzen, denn die physiologische Rolle des Dopamins im Belohnungssystem ist die eines Verstärkers. Man spricht daher auch vom dopaminergen Verstärkungssystem. Wenn Dopamin ausgeschüttet wird, signalisiert das dem Gehirn: Was ich gerade gemacht habe, war irgendwie gut und sollte wiederholt werden. Das ist eine Form der Konditionierung. Hierbei scheint Dopamin derart wichtig zu sein, dass es sogar die Suchtwirkung anderer Substanzen vermittelt, etwa von Kokain oder Alkohol. Diese Drogen führen direkt oder indirekt zu vermehrter Dopaminausschüttung. Eine Art biochemischer Trick, der zu immer höherem Konsum führen kann.

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Kann man bezüglich Dopamin überhaupt »fasten«?

Der Begriff ist insofern problematisch, als wir gar nicht wissen, was mit dem Dopaminspiegel passiert, wenn man ein, zwei oder vier Wochen lang auf diverse Medien verzichtet. Es gibt keine Belege dafür, dass dies den Hirnstoffwechsel wesentlich verändert. Allerdings geht es darum ja eigentlich gar nicht.

Worum dann?

Wenn das so genannte Dopaminfasten bewirkt, dass man sich grundsätzlich mit seinem Medienkonsum auseinandersetzt und diesen kritisch hinterfragt, mag das durchaus hilfreich sein. Diese Auszeit kann wie ein Reset funktionieren, nach dem man wieder kontrollierter konsumiert. Das ist ähnlich wie beim traditionellen Fasten in Bezug auf Alkohol oder Fleisch. Hier geht es auch eher darum, sich einer Sache oder eines Problems gewahr zu werden, also eine neue Haltung gegenüber dem Gewohnten einzunehmen.

Ist es sinnvoll, sich eine Zeit lang dem Medienkonsum zu entziehen?

Da muss man unterscheiden, von welchem Medienkonsum wir reden. Wenn ich am Sonntagmorgen bei einer Tasse Kaffee die Zeitung lese, ist das sicher etwas anderes, als ständig meine Social-Media-Kanäle auf dem Smartphone zu kontrollieren. Instagram, Facebook und Twitter zeichnen sich durch eine enorme Dichte von neuen, oft visuell ansprechenden Stimuli aus. Das birgt die Gefahr einer sinnentleerten Überstimulation und kann in eine Richtung gehen, die irgendwann vielleicht zur Sucht wird.

Wenn ich eine Zeit lang auf bestimmte Medien verzichte, kann ich mich dann leichter von deren Reizen distanzieren?

Ich kenne dazu keine Studien, doch das wäre ein denkbarer Effekt. Man kann in dieser Hinsicht durchaus konditioniertes Verhalten beobachten, etwa wenn jemand ständig seine Inbox auf Nachrichten checkt. Das lenkt von dem ab, was eigentlich wichtig ist, wie das soziale Umfeld oder das »analoge« Leben. Wenn man sich von diesem Impuls befreien kann, quasi entkonditioniert, ist das sicherlich ein Erfolg.

Wie lange sollte man Abstinenz üben?

Das kommt auf den Kontext an. Wenn man sich bei der Arbeit über Stunden konzentrieren und in den gedanklichen Flow kommen will, stört es natürlich, wenn alle paar Sekunden ein Handy piept. Ich persönlich stelle deswegen oft meine Nachrichten- und Social-Media-Kanäle einfach mal aus. Ich will diese Medien weiterhin nutzen, aber nicht immer und überall. Wichtig ist auch, zur Schlafenszeit strikt darauf zu verzichten. Und das hat nicht nur mit Blaulicht und Melatonin zu tun; durch den ständigen Input merkt man oft einfach nicht, wie müde man ist. Insofern sollte man besser feste Tageszeiten für Online-News und Chats reservieren. Wer das Gefühl hat, ohne ein bestimmtes Medium gar nicht mehr leben zu können, sollte mal eine längerfristige Abstinenz ausprobieren, quasi als Selbstversuch.

Thilo van Eimeren | ist Neurologe und Professor für Multimodale Bildgebung an der Uniklinik Köln. Dort erforscht er unter anderem die Bedeutung des Hirnbotenstoffs Dopamin für Motivation, Impulskontrolle und Suchterkrankungen.

Könnte es dabei nicht im Gegenteil passieren, dass man noch mehr nach den entbehrten Lustreizen giert?

Das denke ich nicht, denn Sucht entsteht durch zwei Mechanismen. Nehme ich eine Droge, fördert das resultierende Hochgefühl den Drang, die Droge wieder zu konsumieren. Das nennt man positive Verstärkung. Doch nicht nur diese führt zur Sucht, sondern ebenso der Drang, den negativen Effekt des Auslassens, das so genannte Craving, zu beenden. Letzteres lässt mit der Zeit nach.

Das heißt, der Verzicht sollte schon eine gewisse Dauer haben?

Wenn man zu kurz verzichtet, bleibt das Craving vielleicht bestehen und man will umso stärker immer wieder nach dem Smartphone greifen. Eine genaue Zeitangabe ist schwierig, aber nach meiner Einschätzung dauert es länger als nur ein paar Tage, bis die negative Verstärkung abnimmt. Also müsste man mindestens eine, besser zwei Wochen durchhalten, um sich effektiv zu entkonditionieren.

Eine extreme Variante ist der Verzicht auf soziale Kontakte, Lesen, Sport und anderes. Was ist davon zu halten?

Es fällt mir schwer, das einzuordnen. Es klingt wie ein Kloster-Retreat, bei dem man sich völlig zurückzieht, isoliert lebt und schweigt. Ich selbst habe das noch nicht gemacht, kann mir jedoch vorstellen, dass das manchen in unserer reizüberfluteten Welt guttut. Es kommt sicher darauf an, was man erreichen will: Möchte ich nur meinen überschießenden Onlinekonsum in den Griff kriegen, ist so eine extreme Variante kaum nötig. Wenn ich aber generell mal meinen Kopf »durchpusten« will, könnte es hilfreich sein. Jemandem in einer depressiven Phase würde ich solch eine Reizarmut allerdings nicht empfehlen.

Warum nicht?

Menschen mit einer Depression leiden in der Regel unter Antriebslosigkeit und ziehen sich sozial zurück. Sport und Sozialkontakte können ihnen helfen, sich aus der Depression zu befreien. Ein Verzicht auf positive Reize wäre da eher kontraproduktiv.

Kann man das Dopaminfasten durch eine veränderte Ernährung unterstützen?

Theoretisch kann man zeitweise auf gewisse Nahrungsbestandteile verzichten, die zur Herstellung von Dopamin notwendig sind. Diese spezielle Diät wird im Rahmen von Studien ärztlich kontrolliert durchgeführt. Für den privaten Hausgebrauch ist das hingegen überhaupt nichts, weil es zu Mangelerscheinungen führen kann. Davon kann ich nur dringend abraten.

Die Fragen stellte die promovierte Neurobiologin und »Gehirn&Geist«-Volontärin Anna Lorenzen.

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  • Quellen

Probst, C. C., van Eimeren, T.: The functional anatomy of impulse control disorders. Current Neurology and Neuroscience Reports 13, 2013

Klein, M. O. et al.: Dopamine: Functions, signaling, and association with neurological diseases. Cellular & Molecular Neurobiology 39, 2019

Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1720734

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