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Molekulare Medizin: "Ich denke, dass man Krebs irgendwann im Griff haben kann"

Wird die Molekularbiologie den Kampf gegen Krebs voranbringen? Heike Allgayer, Leiterin der Abteilung Experimentelle Chirurgie und Molekulare Onkologie am Universitätsklinikum Mannheim, ist davon fest überzeugt. Entscheidend sei, dass Grundlagenforschung und Klinik eng zusammenarbeiten, um Forschungsergebnisse schneller in die Praxis zu bringen.
Lymphknoten-Sektion mit Immun- und Krebszellen
spektrumdirekt: Sie haben als Chirurgin gearbeitet und in Molekularbiologie promoviert. Nun leiten Sie die Abteilung Experimentelle Chirurgie und Molekulare Onkologie in Mannheim. Wie passen beide Fachgebiete zusammen?

Heike Allgayer | Prof. Heike Allgayer (37) leitet die Abteilung Experimentelle Chirurgie und Molekulare Onkologie am Universitätsklinikum Mannheim der Universität Heidelberg. Hinzu kommt die klinische Kooperationseinheit Molekulare Onkologie solider Tumoren vom Deutschen Krebsforschungzentrum in Heidelberg. Heike Allgayer ist selbst Fachärztin für Chirurgie und promovierte an der Universität von Texas in Houston in Molekularbiologie. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der mit einer Million Euro dotierte Alfried Krupp-Förderpreis.
Allgayers Gruppe arbeitet an einer Schnittstelle von Grundlagenforschung und klinischer Anwendung – ein gutes Beispiel für "translationale Forschung", die Klinik und Labor enger verbindet. So geht es zum einen um die Grundlagen der Metastasierung von Krebszellen, zum anderen aber auch darum, molekularbiologisches Wissen konkret in den klinischen Alltag zu bringen.
Heike Allgayer: Sehr gut. Es ist wichtig, dass man Grundlagenforschung und klinische Anwendung verbindet. Ich wollte an dieser Stelle vermitteln – und dafür braucht man eben Kompetenz in beiden Bereichen. Zum Glück gewinnt diese "translationale Forschung", in der Klinik und Grundlagenforscher eng zusammenarbeiten, weiter an Bedeutung. Denn es dauert normalerweise zu lange, bis Forschungsergebnisse in der Klinik ankommen.

spektrumdirekt: Woran forscht Ihre Abteilung?

Allgayer: Wir untersuchen die molekularen Eigenschaften – wie Gene und deren Regulatoren – von Tumoren, die insbesondere das Fortschreiten und die Metastasierung von Tumoren ermöglichen. Wir interessieren uns hierbei vor allem für Mechanismen, die besonders im Tumorgewebe, weniger aber im Normalgewebe zur Genregulation eingesetzt werden.
Man weiß schon detailliert Bescheid, wie es Tumorzellen gelingt zu metastasieren. Es ist ein schrittweiser Vorgang: Zunächst dringt die Tumorzelle in die Umgebung ein und löst Strukturen des Bindegewebes auf.
"Jeder Tumor ist ein Individuum, genau wie jeder Patient ein Individuum ist"
Dann löst sie Begrenzungen von Blutgefäßen auf, wodurch es ihr gelingt, in das Gefäß einzudringen. So können sich Tumorzellen über den Blutstrom im gesamten Körper verteilen. Allerdings muss die Zelle auch wieder durch die Gefäßbegrenzung in ein Gewebe auswandern und sich dort als Metastase etablieren. Es gibt verschiedene Moleküle, die Zellen in die Lage versetzen, den ersten Schritt zur Metastasierung zu tun und das Bindegewebe aufzulösen. Wir forschen unter anderem am Urokinase-System, welches bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielt.

spektrumdirekt: Und wo kommt die klinische Anwendung ins Spiel?

Allgayer: Wir versuchen, die molekularen Erkenntnisse in die Tumordiagnostik einzubringen. Bisher läuft das so genannte Tumorstaging rein morphologisch: Wie tief ist der Tumor eingedrungen? Sind die Lymphknoten befallen? Gibt es Metastasen? Das sind die Kriterien – die Biologie spielt bisher überhaupt keine Rolle. Aber das sollte sie. Langfristig suchen wir nach molekularen Markern, welche ins Tumorstaging einfließen können. Sie sollen es ermöglichen, neue – molekular definierte – Risikogruppen zu identifizieren, die dementsprechend behandelt werden. So könnte man etwa vorhersagen, wer auf eine molekulare Therapie anspricht – etwa bei Herceptin, das bei Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs eingesetzt wird. Aber auch bei klassischen Therapien könnten molekulare Marker hilfreich sein, wenn sie etwa voraussagen, wie gut ein Tumor auf eine bestimmte Chemotherapie anspricht. Krebszellen entwickeln auf molekularer Ebene Möglichkeiten, wie sie einer bestimmten Chemotherapie ausweichen. Wenn es möglich ist, solche Moleküle im Vorfeld zu messen, kann man Patienten potenziell belastende Therapien ersparen und der Arzt ist in der Lage, gleich ein anderes, wahrscheinlich wirksames, Chemotherapeutikum zu wählen. Auch mögliche Strahlenresistenzen von Tumoren lassen sich im Vorfeld messen.

spektrumdirekt: Wie stark werden molekulare Marker die Therapie beeinflussen?

Allgayer: Jeder Tumor ist ein Individuum, genau wie jeder Patient ein Individuum ist. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass man in ein paar Jahren gar nicht mehr genau überlegen wird, in welchem Organ der Tumor zuerst aufgetreten ist. Man wird primär darauf achten, welche biologischen Eigenschaften, welche molekulare Ausstattung ein Tumor hat, um dann die Therapie genau darauf zuzuschneiden. Ich denke, das wird die Zukunft sein.

spektrumdirekt: Aber noch richtet sich die Krebsbehandlung nicht nach molekularen Markern?

Allgayer: Nein. Die molekulare Ausstattung des einzelnen Tumors ist, wie gesagt, von Patient zu Patient sehr verschieden. Die Herausforderung besteht darin, dass man nicht bei jedem Patienten alle 30 000 Gene untersuchen kann, um dann eine Behandlung darauf abzustimmen. Die Frage ist: Mit welcher möglichst kleinen Kombination von Markern kann ich möglichst sicher die Antwort des Tumors auf eine Therapieform voraussagen?

spektrumdirekt: Momentan misst man alle Gene? Oder sucht man schon nach einzelnen Markern?

Allgayer: Sowohl als auch. Es ist ein mathematisches Problem: Man untersucht beispielsweise im Rahmen einer Studie bei weniger als hundert Patienten per Microarray die Gene. Pro Patient fällt dabei eine riesige Datenfülle an. Durch diese Kombination – weniger als hundert Patienten, mehrere tausend Parameter – ist es extrem schwierig, statistisch Relevantes zu entdecken. Wir bestimmen daher auch bei sehr vielen Patienten einzelne Marker. Wir setzen dabei auf Marker, von denen wir vermuten, dass sie biologisch eine große Rolle spielen.
Langfristig wird man wahrscheinlich aus Microarrays und anderen systematischen Untersuchungen Muster einzelner Gene bestimmen können, die beispielsweise mit einer speziellen Therapieantwort oder einem hohen Rezidiv-Risiko korrelieren.
"Sehr wahrscheinlich werden wir nie die Meldung lesen: 'Allheilmittel gegen Krebs gefunden'"
Das Ziel unserer Arbeitsgruppe – und vieler anderer Gruppen – ist, in den kommenden Jahren diese Marker herauszufiltern. Mit wie vielen Markern man später einmal arbeiten wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Dafür sind die wissenschaftlichen Methoden und auch die der Bioinformatiker, welche die Daten bearbeiten, noch zu sehr im Fluss.

spektrumdirekt: Wann werden die Marker im klinischen Alltag eine entscheidende Rolle spielen?

Allgayer: Das lässt sich nicht vorhersagen. Sehr wahrscheinlich werden wir nie die Meldung lesen: "Allheilmittel gegen Krebs gefunden". Doch es gibt täglich Fortschritte. Die Kombination Molekularbiologie und Krebstherapie ist das Gebiet, auf dem sich in der Onkologie zurzeit am meisten tut. Dazu zählt auch die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Man darf nicht vergessen, dass die Forscher 30 Jahre gebraucht haben, um diese Impfung zu entwickeln. Man hat erst die Viren charakterisieren müssen, um dann zu zeigen, dass sie tatsächlich diese Art Krebs auslösen und darauf aufbauend die Impfstoffe entwickelt. Man sieht also: Langsam kommen die Erfolge.

spektrumdirekt: Können Sie sich denn vorstellen, dass man Krebs in Zukunft – auch durch das Einbeziehen molekularer Marker in die Behandlung – deutlich besser behandeln kann?

Allgayer: Ich denke, dass man Krebs irgendwann im Griff haben kann. Mit neuen Therapiemöglichkeiten, die spezifisch auf den Tumor zugeschnitten werden, wird Krebs womöglich zunehmend zu einer langjährigen chronischen Krankheit – ähnlich wie Diabetes, Rheuma oder Arthrose es heute sind. Und dann ist Krebs für den Betroffenen nicht mehr so schrecklich, weil er durch die Krankheit weniger Lebensjahre verliert.

spektrumdirekt: Eine persönliche Frage zum Schluss: 1986 haben Sie – im Alter von 17 Jahren – bereits eine Auszeichnung bekommen: Den 1. Preis der Chemischen Industrie in Deutschland zur Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses. Seit wann wollten Sie Forscherin werden?

Allgayer: Wissenschaft hat mich schon als kleines Kind fasziniert. Ich erinnere mich noch, wie ich mit einer Freundin im Garten Blüten gesammelt habe. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir aus den verschiedenfarbigen Blättern eine neue Farbe kreieren könnten, wenn wir die Blätter vermischen. Wir waren schrecklich enttäuscht, als das nicht klappte.

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