Ignaz Semmelweis: Der Retter von der traurigen Gestalt
Wien, Herbst 1846: Die Ärzte des Wiener Allgemeinen Krankenhauses stehen vor einem Rätsel. In der ersten Abteilung ihrer geburtshilflichen Station sterben durchschnittlich zehn Prozent aller Wöchnerinnen am Kindbettfieber. Das sind dreimal so viele wie gleich nebenan auf einer zweiten Gebärstation, die nicht von Ärzten, sondern von Hebammen geleitet wird.
Dass eine Geburt zum Tod der Mutter führt, ist in jener Zeit nichts Außergewöhnliches. Auch das wochenlange Martyrium des Kindbettfiebers, bei dem der Körper der Frauen förmlich von innen heraus zu verwesen scheint, ist für die Mediziner ein gewohnter Anblick. Doch dass die Diskrepanz zwischen beiden Entbindungsstationen, die seit 1833 getrennt voneinander arbeiten, so groß ist, macht auch die Ärzte stutzig.
Niemand kann sich so recht einen Reim auf diese epidemiologische Besonderheit machen, niemand ahnt, welcher unsichtbare Feind für die hohe Sterblichkeitsrate in der ersten Abteilung verantwortlich ist. Auch der junge Assistenzarzt Ignaz Philipp Semmelweis nicht. »Alles war ungeklärt, alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit«, notiert er Ende 1846 in seinem Tagebuch. Dass er es sein wird, der des Rätsels Lösung finden und dadurch zur vielleicht tragischsten Figur der Medizingeschichte werden wird, ahnte nicht einmal er selbst.
Der spätere »Retter der Mütter« wurde am 1. Juli 1818 geboren. Zur Medizin kam der Sohn eines wohlhabenden deutschstämmigen Kaufmanns aus Budapest nur über einen Umweg. Ursprünglich hatte er sich in Wien für ein Jurastudium eingeschrieben. Doch um sich etwas von der trockenen Materie der Paragrafen abzulenken, besuchte er eines Tages eine anatomische Veranstaltung, die bleibenden Eindruck hinterließ. Sie weckte so sehr sein Interesse, dass er schließlich das Fach wechselte und sich ganz der Medizin widmete. Ab Juli 1846 arbeitete der gerade 28-Jährige als Assistent in der ersten Abteilung – und erlebte dort die Katastrophe hautnah mit. Hilflos musste er mit ansehen, wie niedergekommene Frauen bald nach der Geburt hohes Fieber und eitrige Entzündungen am ganzen Körper bekamen, bevor eine unaufhaltsame Zersetzung der inneren Organe sie qualvoll sterben ließ.
Anders als viele seiner Kollegen, für die die Todesfälle ein gottgegebenes Übel waren, das zu verhindern nicht in ihrer Hand lag, kann und will sich der junge, feinfühlige Semmelweis damit nicht abfinden.
»Die Mehrzahl der europäischen Ärzte hing zu jener Zeit der von Hippokrates begründeten und von dem Engländer Thomas Sydenham im 17. Jahrhundert erneuerten Epidemienlehre an«, erklärt der amerikanische Medizinhistoriker Ronald D. Gerste. Volkskrankheiten und Seuchen, so hieß es, würden von allen möglichen Umweltfaktoren hervorgerufen: von der Witterung, von den Jahreszeiten, von der Konjunktion der Sterne und Ähnlichem. Folglich führten Mediziner, wie auch der Leiter der Klinik für Geburtshilfe am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, Professor Johann Klein, das Kindbettfieber auf einen »Genius epidemicus« zurück, der von noch unbekannten atmosphärischen, kosmischen oder tellurischen, das heißt erdgebundenen, Faktoren abhängig sei.
Eine Erklärung für das große Sterben in der ersten Abteilung gibt er damit natürlich nicht. Auch Semmelweis hält das alles für wenig plausibel: »Wenn die atmosphärischen Einflüsse der Stadt Wien eine Kindbettfieberepidemie im Gebärhause hervorrufen, wie behauptet, so müsste ja notwendigerweise – da die Bevölkerung der Stadt Wien denselben Einflüssen unterworfen ist – auch in der Stadt das Kindbettfieber epidemisch herrschen, in der Wirklichkeit aber beobachtete man weder in Wien noch auf dem Lande ein häufiges Erkranken der Wöchnerinnen.«
Der ehrgeizige Mediziner will nicht länger zusehen, wie Hunderte seiner Patientinnen krank werden und jämmerlich sterben. Er will der Sache auf den Grund gehen. Rastlos macht er sich an die Arbeit. Schon in den frühen Morgenstunden ist er im Leichenhaus und seziert die letzten Opfer, um seine Befunde zu überprüfen. Immer wieder bietet sich ihm das gleiche Bild: entzündete Bauch- und Rippenfelle, Eierstöcke und Eileiter, vereiterte Gefäße und im schlimmsten Fall Entzündungsherde in der Lunge, im Gehirn, im Herz und in anderen Körperteilen. Alle Symptome deuten auf eine schwere Blutvergiftung hin.
Doch was löste sie aus? Zunächst verglich Semmelweis die beiden Gebärstationen miteinander. Alles war gleich: Beide Abteilungen waren im selben Gebäude untergebracht, man arbeitete unter nahezu den gleichen Bedingungen. »Demnach«, so folgert er, »hätte an beiden Abtheilungen eine gleiche Sterblichkeit statthaben müssen.« Einen Unterschied gab es aber doch: Nur in der ärztlichen Abteilung wurden seit 1840 Medizinstudenten ausgebildet. Zu deren Pflichtprogramm gehörten auch Sezierübungen an Leichen. Sie wurden mit denselben bloßen Händen durchgeführt, mit denen die Studenten und Ärzte danach die Wöchnerinnen behandelten.
Missing Link
Semmelweis hatte eine vage Vermutung. Doch noch fehlte ihm der endgültige Beweis dafür, dass die Hand des Arztes die tödliche Infektionsquelle sein musste. Ein tragischer Unfall verschaffte ihm schließlich Gewissheit. Im März 1847 starb der Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka an einer Blutvergiftung. Ein Student hatte ihn zuvor mit dem Seziermesser am Finger verletzt. Als Semmelweis sich den Fall näher ansah, fielen ihm dieselben Symptome wie beim Kindbettfieber auf, nämlich Eiterungen an Blut- und Lymphgefäßen, Bauch- und Rippenfell. Plötzlich wurde Semmelweis alles klar: In der ersten Abteilung wurde auch seziert. Etwas musste an den Leichen sein, das über die Ärzte zu den Frauen gelangte und sie vergiftete – so wie es vom Skalpell des Studenten in den Blutkreislauf des unglücklichen Kollegen gelangt war. Folgerichtig schloss Semmelweis: »Die unbekannte Ursache, welche so entsetzliche Verheerungen anrichtete, war demnach in den an der Hand klebenden Cadavertheilen der Untersuchenden an der ersten Gebärklinik gefunden.«
Im Frühjahr 1847 stellte der junge Semmelweis seine merkwürdige Forderung: Die Ärzte der ersten Abteilung sollten jedes Mal, bevor sie zu einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin gingen, ihre Hände mit Chlorkalklösung reinigen – also etwas tun, das allen Kollegen und dem Pflegepersonal wie reine Zeitverschwendung vorkam.
Zwar kannte man bereits in der Antike den Zusammenhang zwischen Hygiene und Gesundheit. So empfahl etwa der griechische Arzt Hippokrates Hygiene als vorbeugende Maßnahme zur Verhinderung von Krankheiten. Doch schien diese Erkenntnis in der Folgezeit im christlichen Abendland in Vergessenheit geraten zu sein. Im Zeitalter des Barocks jedenfalls, und hier besonders am Hof Ludwigs XIV., nahm man Körperhygiene nicht sonderlich ernst. An den europäischen Fürstenhöfen, wo man sich lieber puderte als wusch, waren Wasser und Seife verpönt. Heilkundige im 16. und 17. Jahrhundert warnten gar vor der verheerenden Öffnung der Poren durch Wasser. Kinder wurden mancherorts erst mit sieben Jahren gebadet, und selbst die Herrschenden gingen mit übel riechendem Beispiel voran: König James I. von England wusch sich aus Angst vor dem »teuflischen Kontakt mit dem Wasser« nicht einmal die Hände, sondern tupfte sich allenfalls die Fingerspitzen mit einer feuchten Serviette ab.
Diese hydrophobe Haltung änderte sich erst im Zeitalter der Aufklärung, gerade auch im Hinblick auf die Krankenversorgung. Nicht selten gehörten Bade- und Waschräume nun vielerorts zur Grundausstattung von Spitälern. So auch im fränkischen Bamberg, über das ein Arzt 1797 schrieb: »Reinlichkeit überhaupt ist eine der vorzüglichsten Gegenstände, worauf in diesem Hospital eine ganz besondere Sorgfalt verwendet wird.« In Wien jedoch wird, wie an vielen anderen Kliniken, dem Händewaschen keine spezielle medizinische Bedeutung beigemessen. Nichts, was man seinerzeit über Krankheiten wusste – oder zu wissen glaubte –, hätte nahegelegt, dass einem Menschen der Tod buchstäblich an den Händen kleben könnte.
Doch Semmelweis traf mit seiner Vermutung ins Schwarze: Lag die Sterblichkeitsrate im April 1847 bei 18,3 Prozent, betrug sie im August gerade noch 1,9 Prozent.
Das Missing Link, das letzte Bindeglied in der Beweiskette für das Sterben der Wöchnerinnen, war somit gefunden. Und damit der Nachweis erbracht, dass einfache Hygienemaßnahmen, regelmäßiges Händewaschen und -desinfizieren, die Sterblichkeit deutlich verringern. Welcher unsichtbare Feind aber genau für die Ansteckung verantwortlich war, blieb unbeantwortet. Semmelweis wird zeitlebens nicht erfahren, dass Bakterien und andere Keime hinter den Infektionen stecken. Und auch die Anerkennung, die ihm als Erfinder der Hygiene gebührt, wird ihm verweigert bleiben.
Heute weiß man, dass jene für ihn nicht näher definierbare Substanz, die sich auf die Frauen übertrug, in Wirklichkeit aus Bakterien wie Peptostreptokokken, Staphylokokken und Escherichia coli bestand. Sie können durch die große Wundfläche, die die Plazenta in der Gebärmutter hinterlässt, in den Körper eindringen.
Widerstand des medizinischen Establishments
So naheliegend Semmelweis' Theorie für uns klingt, letztlich schaffte er es nicht, sich mit seinen Erkenntnissen durchzusetzen. Im Kollegium verspotteten sie seine Erkenntnisse als »spekulativen Unsinn«. Zu hanebüchen, ja als rufschädigend für die Ärzteschaft insgesamt empfanden sie seine These. Vor allem der Gedanke, dass ausgerechnet sie, die Halbgötter in Weiß, selbst den Tod in den Kreißsaal tragen könnten, brachte – rund 30 Jahre bevor Louis Pasteur unter dem Mikroskop Fäulniserreger nachweisen konnte – Semmelweis' Medizinerkollegen auf die Palme. Ihnen allen sprach der amerikanische Arzt Charles Meigs (1792–1869) aus der Seele, der eine solche Pathogenese als völlig abwegig und absurd verwarf.
»… so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder«
Ignaz Semmelweis
Zwar stand Semmelweis' mit seiner These nicht allein auf weiter Flur; so bekam er etwa Rückendeckung von dem englischen Arzt W. Tyler Smith (1815–1873), der schrieb, »dass Semmelweis völlig zu Recht behauptet, dass Kleinstorganismen aus der Pathologie Kindbettfieber hervorrufen können«. Doch die Mehrzahl der Ärzte wandte sich gegen den engagierten Sonderling. Mediziner wie Carl Edward Marius Levy (1808–1865), Leiter der Kopenhagener Geburtsklinik, lehnte Semmelweis' Behauptung mangels stichhaltiger Beweise kategorisch ab. Andere wiederum, und das war bei Weitem das Gros der Ärzteschaft, sahen sich in ihrer medizinischen Ehre verletzt. Für sie war Semmelweis ein Außenseiter, ja ein Nestbeschmutzer, der mit seinen abstrusen Behauptungen eine ganze Gesellschaftsgruppe unter Generalverdacht stellte und die eigene Zunft in den Dreck zog.
»Zweifellos saßen Semmelweis' größte Gegner in den eigenen Reihen«, erklärt der Freiburger Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven. Anstatt seine Theorie auch nur ansatzweise in Erwägung zu ziehen, suchten die Großen der Zunft die Schuld lieber woanders und schrieben, wie der Budapester Universitätsarzt Ede Flórían Birly (1787–1854), die Ursache für das Kindbettfieber einer »Unreinheit im Bauch der Mütter« zu. Gegen eine derart geschlossene Front von Widersachern war Semmelweis chancenlos. Erschwerend kam für ihn hinzu, dass auch der in medizinischen Kreisen hohes Ansehen genießende Pathologe Rudolf Virchow (1821–1902), eine Art Meinungsführer seiner Zeit, die Thesen von Semmelweis ablehnte. Und es kam noch schlimmer.
Mobbing am Arbeitsplatz
Anfänglich von seinen Kollegen noch belächelt, später dann gemieden, gehasst und ausgegrenzt, erleidet Semmelweis all das, was wir heute als Mobbing bezeichnen würden – bis er schließlich daran zerbricht. »Dass Semmelweis mit seiner Hygieneprophylaxe nicht durchdrang, lag allerdings nicht nur an bornierten Kollegen, sondern auch ein Stück weit an ihm selbst«, erklärt Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. So erkannte Semmelweis nicht den Nutzen des heute in der Wissenschaft als »publish or perish« bekannten Drangs zum Publizieren.
Zudem gelingt es Semmelweis nicht, sein Wissen empirisch zu belegen. Um gegen die Epidemienlehre anzukommen, hätte Semmelweis den wissenschaftlichen Nachweis seiner Erkenntnisse erbringen müssen. Trotz mehrfacher Aufforderung seiner Kollegen weigerte sich Semmelweis beharrlich, diese zu veröffentlichen und in Experimenten nachzuweisen. Über den wahren Grund kann man nur spekulieren. Der amerikanische Medizinhistoriker Sherwin B. Nuland, der sich über Jahrzehnte mit dem ungarischen Arzt beschäftigt hat, hält dafür eine ebenso einfache wie plausible Erklärung parat: Schreiben sei nicht so »sein Ding« gewesen. Auch sei ihm das Talent zur Selbstdarstellung und -vermarktung nicht gegeben gewesen. Wenig eloquent und auch sonst kein lockerer Gesellschafter, war seine Arbeit stets auf die Forschung konzentriert, worunter auch seine Ehe mit der wohlhabenden Kaufmannstochter Maria Weidenhoffer litt, mit der er fünf Kinder hatte.
Semmelweis-Reflex
Ein weiteres Manko: Semmelweis entwickelte seine Theorie nicht weiter. »Obwohl die neuen Erkenntnisse der Bakteriologie 1861 gleichsam in der Luft lagen«, so der Medizinjournalist Christof Goddemeier, »blieb der Wiener Gynäkologe bei seinen Beobachtungen von 1847 stehen.« Den Gedanken eines »contagium vivium«, einer Ansteckung durch einen lebenden Erreger, hat er nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Für Nuland war Semmelweis letztlich ein »tragischer Held«, der die Regeln des Medizinbetriebs ändern wollte, ohne sich dabei an das übliche wissenschaftliche Vorgehen zu halten. Erschwerend kam hinzu, dass Semmelweis, der ein zwar engagierter Arzt, aber ein schwieriger Charakter war, sich letztlich selbst im Weg stand. Undiplomatisch und aufbrausend, stieß er Kollegen gleich reihenweise vor den Kopf und geißelte ihre »fahrlässige und bornierte Ignoranz«.
Diese Ignoranz, wonach das wissenschaftliche Establishment Neuerungen von jüngeren Kollegen reflexhaft ohne ausreichende Prüfung ablehnt, hat Methode: Ignaz Semmelweis gab einem Phänomen seinen Namen, das von der Eitelkeit, dem Zank und dem Dünkel in der Forschung zeugt – dem »Semmelweis-Reflex«. So bezeichnet man nach dem amerikanischen Bestsellerautor Robert Anton Wilson (1932–2007) das Verhalten, wenn Platzhirsche in der Wissenschaft durch eine überzeugende These ihr Revier bedroht sehen und den Neuling vehement sabotieren.
Don Quichotte der Medizin
Semmelweis bekommt die Zurückweisung seiner Kollegen von Tag zu Tag mehr zu spüren. Ein im Februar 1850 eingereichtes Gesuch um Habilitation und Dozentur wird abgelehnt. Sein zweiter Habilitationsantrag wird zwar bewilligt, allerdings legt man ihm, wo es nur geht, Steine in den Weg. So nimmt die Uniklinik zwar per Mehrheitsbeschluss den Vorschlag an, eine Kommission zu bilden, die die semmelweisschen Thesen prüfen soll. Allerdings wird das Vorhaben dann auf Betreiben Professor Kleins abgelehnt. Semmelweis, von den langen Auseinandersetzungen sichtlich zermürbt, zieht die Reißleine: Fünf Tage nachdem ihm die Ernennungsurkunde ausgehändigt worden ist, verlässt er resigniert das kaiserliche Wien.
Ab 1851 arbeitete er in Budapest am St.-Rochus-Spital, nach vier Jahren wurde er zum ordentlichen Professor für Geburtshilfe an der Universität Pest ernannt. Auch dort haben Semmelweis' Desinfektionsmaßnahmen beachtliche Erfolge. Sein Reinlichkeitsdrang nahm jedoch zusehends fanatische Züge an. Tyrannisch wachte er über das Personal und versuchte unermüdlich, alle Blutvergiftungen auszumerzen. Vor allem machte sich seine Verbitterung in immer heftigeren Ausfällen gegen die Kollegen Luft. »Ich habe, um dem Morden ein Ende zu machen, den unerschütterlichen Entschluss gefasst, jedem, der es wagt, Irrtümer über das [Kindbett-]Fieber zu verbreiten, schonungslos gegenüberzutreten.« Dass viele Ärzte an seiner Methode zweifelten, sah er als Bedrohung für das Leben der Wöchnerinnen und bezeichnete seine Widersacher als Mörder – auch öffentlich. Dem Würzburger Gynäkologen Friedrich Wilhelm Scanzoni von Lichtenfels schrieb er 1861: »Sollten Sie aber, Herr Hofrat, ohne meine Lehre widerlegt zu haben, fortfahren, Ihre Schüler in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder.«
Erst 1861 – als es um seinen guten Ruf längst geschehen war – ging Semmelweis mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit. Sein Buch »Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers« fand nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Zu viel Porzellan war seit seiner bahnbrechenden Entdeckung schon zerschlagen worden, um seiner Sache zum Durchbruch zu verhelfen. Entsprechend groß war die Enttäuschung. Darüber konnten auch tröstende Worte von einigen wenigen Kollegen nicht hinweghelfen, selbst wo sie, wie Dr. Louis Kugelmann aus Hannover, mit ihrer Einschätzung den Nagel auf den Kopf trafen. Der schrieb am 10. August 1861 folgende Zeilen an Semmelweis: »Nur sehr wenigen war es vergönnt, der Menschheit wirkliche, große und dauernde Dienste zu erweisen, und mit wenigen Ausnahmen hat die Welt ihre Wohltäter gekreuzigt und verbannt. Ich hoffe also, Sie werden in dem ehrenvollen Kampfe nicht ermüden, der Ihnen noch übrig bleibt.«
Mehr als kollegialer Balsam auf die stark geschundene Seele war das allerdings nicht. Semmelweis war längst ein gebrochener Mann. Von den jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Ärzteschaft gezeichnet, verfällt er in tiefe Depressionen. Schuldgefühle, für das Sterben der Wöchnerinnen mitverantwortlich zu sein, lasteten schwer auf ihm. Er begann zu trinken und verlor zusehends seine kognitiven Fähigkeiten. Immer öfter litt der zurückgewiesene Mediziner unter Stimmungsschwankungen und schweren neurologischen Störungen. Es wird vermutet, dass Ignaz Semmelweis an einer Krankheit litt, die ihn jähzornig und unberechenbar machte. Die Spekulationen darüber reichen von einer nicht ausgeheilten Syphilis bis hin zu einer frühzeitigen Alzheimerdemenz. Fest steht, dass er im Sommer 1865 wohl gegen seinen Willen in die Nervenheilanstalt Döblin bei Wien eingeliefert wurde, wo er wenig später, am 13. August, mit 47 Jahren unter nicht vollständig geklärten Umständen starb.
So einsam wie Ignaz Semmelweis die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, so einsam starb er. Zu seinem Begräbnis auf dem Schmelzer Friedhof in Wien kamen nur wenige Trauergäste. Nachrufe gab es keine, lediglich in einigen Ärzteblättern erschienen kurze Stellungnahmen über sein Ableben.
Denkmäler setzte man dem »Don Quichotte der Medizin« erst lange nach seinem Tod. Noch zu seinen Lebzeiten begründete Louis Pasteur 1857 die Bakteriologie, indem er nachwies, dass für die Milchsäuregärung Kleinstlebewesen verantwortlich waren. Aber erst 1878 zeigte Robert Koch, dass auch Wundinfektionen und die Blutvergiftung auf Bakterien zurückgehen. Nun begann man die Pionierarbeit des Geburtshelfers aus Budapest zu würdigen und ihm jenen Ehrentitel zu geben, den er sich mit seinem wachen Geist und mit seinen praktischen Maßnahmen in der Wiener Uniklinik verdient hat: der Retter der Mütter.
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