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Altersschwerhörigkeit: Im Alter fehlt oft die Konzentration

Im Alter hören wir schlechter. Doch nicht immer liegt die Ursache am nachlassenden Gehör. Das Problem entsteht an anderer Stelle, zeigt der Blick ins Hirn.
Im Alter fällt das Hören schwerer

Vor allem ältere Menschen kennen das nur zu gut: Man steht in einer Menschenmenge und kann vor lauter Nebengeräusche kaum noch den Worten des Gesprächspartners folgen. Gerade im Alter ist eben das Gehör nicht mehr sonderlich gut, könnte man meinen – oder haben die Schwierigkeiten einen ganz anderen Grund?

Ja, behaupten Forscher am Leipziger Max-Planck-Institut: Die Schwerhörigkeit im Alter liege auch an der nachlassenden Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommen sie nach einer Studie an jungen und alten Menschen, bei denen sie die Alphawellen im Gehirn gemessen haben.

Unter anderem bei Werner Schiller. Der hat von Alphawellen noch nie gehört. "Was da oben in meinem Gehirn passiert, muss ich nicht so genau wissen. Hauptsache ich kann gut hören", sagt der Rentner, mit 70 Jahren einer der ältesten Probanden der Hörforscher. Ob er wirklich gut hört – und wie leicht ihm das Zuhören fällt –, haben die Forscher mit Hilfe des EEG vermessen: Schiller lauschte einem mit verzerrter Frauenstimme vorgetragenen Hörspiel; im Hintergrund, schwer verständlich, spielten sie ihm immer wieder Zahlenpaare ein. "Ich sollte die Zahlen erkennen. Durch das Hörspiel war ich aber sehr abgelenkt, und es fiel mir schwer, die Zahlen noch gut zu verstehen", erzählt der Rentner.

Schiller ist einer von insgesamt 40 Probanden, die das Team um Jonas Obleser und Malte Wöstmann ins Hörstudio bat. In ihrer Arbeitsgruppe "Auditive Kognition" am Leipziger MPI erforschen sie die kognitiven Vorgänge beim Hören.

Hören ist immer mit Anstrengung verbunden

Je älter wir werden, desto anstrengender werde das Hören für uns, erklären die Wissenschaftler. Wie schwer genau sich jemand tut, können sie präzise mit Hilfe der so genannten Alphawellen messen.

Diese Schwingungen im EEG zählen zu den am längsten bekannten Schwingungsmustern im EEG. Unsere Hirnaktivität oszilliert dabei ungefähr im Bereich von zehn Hertz. Die primäre Aufgabe dieser Wellen liege aber eigentlich beim Sehen, erklären die Forscher: Sie helfen, die visuelle Wahrnehmung zu regulieren und entsprechende Reize zu verarbeiten. Im EEG zeige sich, "dass es gerade bei einem anstrengenden Hörprozess wichtig zu sein scheint, den Sehsinn herunterzuregeln, zu hemmen, im Zaum zu halten", sagt Obleser. "Wir interpretieren das so: Alphawellen zeigen uns, wie stark ein Mensch sich anstrengen muss, um nicht durch andere, zum Beispiel visuelle Reize vom Hören abgelenkt zu werden."

Nachlassende Alphawellen-Stärke | Die Grafik zeigt, wie bei älteren Probanden (rote Linie) die Stärke der Alphawellen vergleichsweise deutlich abfällt. Laut den Forschern steckt nachlassende Konzentration dahinter: Die Teilnehmer können dann weniger gut auf die eigentlich interessante Information fokussieren.

Probanden wie Werner Schiller sitzen nun im Studio und starren auf ein kleines weißes Kreuz, um ihre Augenbewegungen so gering wie möglich zu halten. 28 Kabel mit Messelektroden ragen aus einer eng anliegenden EEG-Kappe. Die Aufgabe besteht darin, sich ausschließlich auf die im Hintergrund dargebotenen und von der Frauenstimme teilweise überdeckten Zahlen zu konzentrieren. "Ich musste die Zahlen nicht einfach nur hören und erkennen. Ich musste auch noch darauf achten, welche Zahl die größere ist", erklärt Schiller.

Solche konkreten Aufgaben seien wichtig, sagt Obleser, denn Zuhören habe immer mit einer Aufgabe zu tun. "Wir hören, um Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten, kurz im Gedächtnis zu halten und dann einen Schluss daraus zu ziehen." Über eine Stunde lang mussten die Probanden auf diese Zahlen horchen und per Knopfdruck angeben, welche der beiden größer war.

Aufmerksamkeit wird weniger flexibel zugewiesen

Die eine Hälfte der Probanden war zwischen 20 und 30 Jahren, die andere zwischen 60 und 70. Es offenbarten sich deutliche Unterschiede: "Die älteren Probanden sind in ihrer Aufmerksamkeitszuweisung weniger flexibel. Ihre Alphawellen lassen bei den Höraufgaben nach, sie sind nicht konstant. Die jüngeren Probanden hingegen können mehrere Aspekte ähnlich gut, ähnlich stark in Betracht ziehen, wenn sie mit schwierigen Hörsituationen konfrontiert sind. Ihre Alphawellen sind konstant auf einem hohen Niveau."

Hörgeräten fehlt noch die Dynamik, um auf die Bedürfnisse des Trägers einzugehen

Für den Psychologen und Max-Planck-Forscher Markus Werkle-Bergner sind diese Ergebnisse "extrem wichtig". Die Arbeit von Wöstmann und Kollegen liefere "einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der neuronalen und kognitiven Faktoren für altersbedingte Einbußen im Sprachverstehen". Auch dank ihres "cleveren" Designs, mit dem sich der Unterschied zwischen Hören und Aufmerksamkeit gut dokumentieren lasse. Denn "eine wesentliche Voraussetzung für vielseitige und befriedigende soziale Kontakte ist ein gutes Sprachverstehen". Wer nichts hört, kann nicht mitreden.

Hörgeräte mit Mini-EEG

Schwerhörigkeit im Alter liegt also auch an der Schwierigkeit, aufmerksam zu bleiben und dadurch besser zu selektieren. Konzentrationsübungen allein könnten das aber nicht lösen, sagt Malte Wöstmann. Aber Hörgeräte könnten dadurch besser werden. Ihnen fehle derzeit noch die Dynamik, um wirklich auf die Bedürfnisse des Trägers einzugehen. "In der Praxis ist es im Moment so, dass schwerhörige Menschen, wenn sie zum Audiologen gehen, ein Hörgerät auf Grund der puren Hörfähigkeit angepasst bekommen. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass es sinnvoll ist, Hirnparameter, also kognitive Leistungsfähigkeit wie zum Beispiel die Aufmerksamkeit der Probanden, mit zu beachten."

Schon heute sind Hörgeräte kleine technische Wunder. Es gibt Richtmikrofone und Geräuschunterdrückung. Das Hörgerät erkennt, was Signal ist und was Störgeräusch. Das funktioniert allerdings nur gut, wenn das Störgeräusch ein gleichmäßiges Rauschen im Hintergrund ist. Schwierig wird es, wenn zwei Leute gleichzeitig sprechen.

In solchen und ähnlichen Situationen könnten die Alphawellen helfen. Sie zeigen dem Hörgerät an, auf welches Signal sich der Zuhörer konzentrieren möchte. Außerdem erkennen sie den Aufmerksamkeitspegel des Trägers. Dafür müssten Hörgeräte allerdings mit EEG-Elektroden ausgerüstet werden. Für Werner Schiller klingt das alles sehr utopisch. Ein Mini-EEG im Ohr. Für Obleser und Wöstmann weniger: Ein solches Gerät könne vielleicht schon in einigen Jahren Realität werden.

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