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Zellbiologie: Im Gleichtakt

Ihr gleichmäßiger Ruderschlag entfernt Schmutz aus der Lunge, befördert Eizellen durch den Eileiter oder schickt Neuronen zum richtigen Einsatzort im Gehirn. Ohne die hilfreiche Unterstützung zahlreicher Zilien sähe es schlecht aus mit unserem Körper. Doch was treibt die kleinen Helfer zur koordinierten Kooperation?
Zilien
Es waren nur sieben Patienten, bei denen dem Schweizer Internisten Manes Kartagener (1897-1975) in den 1930er Jahren ein merkwürdiger Zusammenhang aufgefallen war: Sie litten gleichzeitig unter chronischer Bronchitis, chronischer Nasennebenhöhlenentzündung und – ihre inneren Organe lagen seitenverkehrt im Körper. Welcher Zusammenhang besteht zwischen einer Lungenkrankheit und dem Kuriosum eines rechts schlagenden Herzen?

Zilien | Durch ihren koordinierten Ruderschlag lösen Zilien (grün dargestellt) einen kontinuierlichen Flüssigkeitsstrom aus. Diese Strömung beeinflusst vermutlich wiederum umgekehrt die Richtung des Zilienschlags.
Die Antwort liegt in einer nur etwa zehn Mikrometer langen und einen Viertel Mikrometer dicken Struktur: Zilien oder Wimpern arbeiten vereint in einem Flimmerepithel als Putzkolonne in zahlreichen Organen wie Lunge und Nasennebenhöhlen und befördern durch ihren gleichmäßigen gerichteten Ruderschlag Schmutzteilchen nach draußen. Beim angeborenen Kartagener-Syndrom, das auch unter dem Namen "Primäre Ciliäre Dyskinesie" bekannt ist, versagen sie auf Grund eines Gendefekts – Entzündungen von Bronchien, Lungen, Nebenhöhlen und Mittelohr bereits in den ersten Lebenswochen sind die dramatische Folge. Da nun ein koordinierter Zilienschlag während der Embryonalentwicklung die Symmetrieverhältnisse im Körper festlegt, kann es zusätzlich zu den seitenvertauschten Organen, dem "Situs inversus" kommen.

Doch was veranlasst die Zilien bereits im frühesten Stadium des Embryos zu ihrer einträchtigen Kooperation? Zur Beantwortung dieser Frage holten sich Brian Mitchell und Christopher Kintner vom Salk-Institut im kalifornischen La Jolla Rat beim Elektronenmikroskopiker Richard Jacobs vom benachbarten Howard Hughes Medical Institute sowie bei den Bioingenieuren Julie Li und Shu Chien von der Universität von Kalifornien in San Diego. Zusammen schauten sie sich an, wie junge Larven des Krallenfroschs Xenopus – den Entwicklungsbiologen schon lange als Modellorganismus zu schätzen wissen – heranreifen und maßen deren Zilienschläge in einer Flusskammer.

Dabei offenbarten die Zilien der Froschlarven bereits zu Beginn eine gewisse Neigung: Noch bevor sie voll ausgereift waren, orientierten sie sich grob zum hinteren Ende des jungen Embryos. Fehlte dieses Hinterende, dann blieb jegliche Orientierung der Wimpern aus.

Einige Stunden später begannen sie zu schlagen, wobei zwar die meisten bereits brav nach hinten ruderten, die Koordination jedoch noch deutlich zu wünschen übrig ließ. Doch nach und nach passten sich auch die letzten Ausreißer der allgemeinen Schlagrichtung an, bis schließlich alle ihre gemeinsame Richtung gefunden haben.

Offensichtlich beeinflusste der Flüssigkeitsstrom durch die ersten Ruderschläge in einem sich selbst verstärkenden Prozess die weitere Orientierung der Ruderer. "Sobald die Zilien diese Strömung verursachen, spüren sie – auch wenn wir noch nicht wissen wie – die Strömungsrichtung und reorientieren sich selbst, um die Richtung zu optimieren", erklärt Kintner.

Als die Forscher bei den Froschlarven die Gene ausschalteten, die auch beim Kartagener-Syndrom eine Rolle spielen, zeigten sich ebenfalls Mängel in der Koordination. "Die Zilien orientieren sich immer noch in Richtung Hinterende", betont Kintner. "Aber ohne eine nennenswerte Strömung ist die Nachjustierung gestört."

Das Geheimnis der kleinen Rudergänger liegt also in ihnen selbst: Indem die ersten eine grobe Richtung vorgeben, folgen ihnen weitere nach. Fehlt diese Richtungsvorgabe, dann können seltsame Krankheitsbilder entstehen, wie sie Manes Kartagener bei seinen sieben Patienten entdeckt hatte.

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