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Datensicherheit: »Im Metaverse droht ein Komplettverlust der Privatsphäre«

Jeder Schritt, Blick und Herzschlag wird getrackt. Das lade zu Datenmissbrauch ein, sagt Netzexpertin Anna-Verena Nosthoff. Polizei-Avatare brauche es nicht, aber globale Gesetze.
Überwachungskapitalismus
Im Metaverse lassen sich auch biometrische Daten sammeln wie etwa Pupillenbewegungen, Herzschlag oder Körpertemperatur. »Eines der möglichen Geschäftsmodelle ist das, was man eine virtuelle Zukunft des Überwachungskapitalismus nennen könnte«, sagt die Netzexpertin Anna-Verena Nosthoff.

Wird das Metaverse tatsächlich das Internet ablösen, oder ist das alles nur ein großer Hype? »Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen«, sagt Anna-Verena Nosthoff, Philosophin und Kodirektorin des Critical Data Lab an der Humboldt-Universität zu Berlin. »Beim Metaverse hängt es auch davon ab, wie die Nutzer das Angebot annehmen werden.« Im Interview spricht sie darüber, welche Rolle dem Facebook-Konzern in der Ausgestaltung des digitalen Paralleluniversums zukommt, ob das Metaverse den alten Traum einer egalitären Gesellschaft einlösen wird und wie eine sinnvolle Regulierung aussehen könnte.

»Spektrum.de«: Der Facebook-Konzern Meta wirbt im Internet mit den Worten »Chirurginnen werden im Metaverse hunderte Male üben können, bevor sie komplizierte Operationen durchführen«. Würden Sie sich bei einer Ärztin unters Messer legen, die ihr Handwerk in einem digitalen Paralleluniversum gelernt hat?

Anna-Verena Nosthoff: Das hängt vom Stand der Technik ab. Zu Beginn würde ich das vielleicht nicht unbedingt machen, gerade wenn diese Simulationen noch im Entwicklungsstadium sind. Es gibt aber, bei aller Kritik am Metaverse, durchaus Potenzial für die Medizin: Mit Hilfe von Virtual-Reality-Technologien lassen sich Operationen sehr realitätsnah simulieren. Das wird von Meta in der eigenen Werbestrategie gerade stark in den Vordergrund gestellt – nach dem Motto: Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Forschung. Das verschleiert allerdings, dass es Facebook um andere Dinge geht, nämlich darum, die eigene Monopolstellung zu zementieren.

Serie: Metaverse

Das »Metaverse« gilt als gigantische Verheißung – als »the next big thing«, die nächste große Sache, wie die Tech-Gurus im Silicon Valley sagen. Dieser dreidimensionale Nachfolger des mobilen Internets soll unsere Wirklichkeit von Grund auf verändern. Fantasie und Realität verschmelzen zu einem digitalen Paralleluniversum. Doch ist es schon mehr als eine Spielerei?

  1. Willkommen im digitalen Paralleluniversum
  2. In der Stretchlimousine durchs Metaverse
  3. »Im Metaverse droht ein Komplettverlust der Privatsphäre«
  4. Wie eine Datei zum Statussymbol wird
Anna-Verena Nosthoff | Die Philosophin ist Kodirektorin des Critical Data Lab an der Humboldt-Universität zu Berlin und derzeit Gastwissenschaftlerin an der Princeton University in den USA. Zu ihren Forschungsgebieten gehören Plattformmacht, digitale Steuerungs-, Regierungs- und Herrschaftsformen sowie die Politiken sozialer Netzwerke und der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit.

Wie kommt es eigentlich, dass plötzlich alle über das Metaverse reden? Die Idee ist nicht neu. Neal Stephensons Roman »Snow Crash«, der als Blaupause für ein digitales Paralleluniversum gilt, ist 1992 erschienen. Die virtuelle Spielewelt von »Second Life« ist bereits fast zwei Jahrzehnte alt. Warum ploppt dieses Thema jetzt auf?

Die Aktualität hat mit Facebooks Diskursmacht zu tun: Facebook hat durch das Rebranding zu Meta sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Hinzu kommt, dass Zuckerberg auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz Connect 21 ein Video veröffentlicht hat, das medial stark verbreitet wurde. Seither ist es so, dass viele Leute die Idee des Metaverse mit Facebook verknüpfen. Dabei ist klar: Das Metaverse ist keine Erfindung von Mark Zuckerberg. Es ist bekannt, dass Facebook nicht der innovativste Konzern ist. Facebook hat nicht mal das erste soziale Netzwerk erschaffen, auch da gab es Vorgänger.

Aber es werkeln doch auch andere Konzerne wie Microsoft oder Nvidia an eigenen Parallelwelten.

Ja, aber ich glaube, dass Facebook in vielerlei Hinsicht das Narrativ über das Metaverse bestimmt. Das zeigt sich zum einen in der Art und Weise, wie darüber berichtet wird – viele Repräsentanten des Unternehmens tauchen in den Medien auf. Außerdem habe ich im englischsprachigen Raum festgestellt, dass viele Diskussionen über das Metaverse – auch von Leitmedien wie der »Financial Times« – im Metaverse selbst geführt wurden, etwa auf Facebooks VR-Plattform »Horizon Worlds«. Eine geschickte PR-Strategie.

Es gibt konkurrierende Erzählungen über die Zukunft des Internets: Auf der einen Seite steht das Metaverse, auf der anderen Seite das Web3, dessen Anhänger die Dezentralität des Internets wiederherstellen und das Netz auf eine Blockchain setzen wollen. Inwieweit unterscheiden sich diese Visionen, und wo, glauben Sie, geht die Reise hin?

Grundsätzlich gibt es zwei Positionen. Die einen sagen: Das Metaverse kommt überhaupt nicht, es ist nur ein großer Hype. Die anderen sagen fast schon technodeterministisch: Das ist die Zukunft, das wird so kommen. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Was wir definitiv sehen werden, ist eine verstärkte Präsenz von Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR). Wie sich das dann entwickelt, ist eine offene Frage, die viel damit zu tun hat, wie Unternehmen auf diese Technologien aufspringen. Beim Metaverse hängt es zum einen davon ab, wie die Nutzer das Angebot annehmen werden. Zum anderen, ob genügend Akteure das Angebot ausfächern. Vorstellbar wäre, dass etwa Versicherer Fitnessprogramme in virtueller Realität anbieten.

Was mich überrascht: Netzvordenker wie etwa Sascha Lobo sprechen gerade sehr viel übers Geldverdienen im Metaverse. Utopien sind dagegen selten Thema. Könnte das digitale Paralleluniversum die alten Versprechen einlösen, denen das Internet nicht gerecht geworden ist – den Traum einer egalitären Gesellschaft, in der es keine Rolle spielt, ob man aus Boston oder Buxtehude kommt?

Das ist ja auch der Traum der Web3-Community. Ich halte das aber für eine idealistische Vorstellung. Das hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass die gegenwärtigen Akteure – vor allem Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft – so viel Macht haben, dass sie über Netzwerkeffekte Nutzerinnen und Nutzer an sich binden können. Zuckerberg wird es sicherlich schaffen, die einzelnen Dienste seiner Plattform – Facebook, Instagram und das Metaverse – miteinander zu verknüpfen. Insofern glaube ich schon, dass bestimmte Machtasymmetrien, die wir jetzt sehen, sich reproduzieren werden.

Auf Facebooks VR-Plattform »Horizon Worlds« wurden Fälle virtueller Vergewaltigungen bekannt. Solche sexuellen Übergriffe fühlen sich für die Betroffenen so an, als würden sie in der realen Welt geschehen. Braucht es so etwas wie eine Polizei im Metaverse?

Das ist eine heikle Frage. Mit Blick auf die vielschichtigen Kriminalitätsformen wie etwa Pädokriminalität, terroristische Rekrutierung oder Geldwäsche ist man intuitiv geneigt zu sagen: Ja, wir brauchen aus einem Sicherheitsinteresse heraus eine Überwachung der Räume. Doch natürlich muss man sich dann auch die Frage stellen: Wie sieht die Zukunft der Privatheit aus? Wenn wir jetzt die Präsenz polizeilicher Behörden erlauben, die die gesamten Räume ausleuchten, würde das einen extremen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten.

Aber kann das überhaupt funktionieren? Wenn ich im physischen, öffentlichen Raum unterwegs bin, erkenne ich einen Polizisten an seiner Uniform – vorausgesetzt, es ist kein falscher Polizist. Im Metaverse gibt es aber auch Rollenspiele, wo Spieler in die Rolle eines Polizisten oder Gangsters schlüpfen können.

Die Vorstellung, dass da Polizei-Avatare patrouillieren, geht eigentlich gegen die Grundidee, dass man unterschiedliche Identitäten annehmen kann und sich nicht auf eine Identität festlegen muss. Technisch wäre es allerdings schon möglich, staatliche Repräsentanten entsprechend zu kennzeichnen und dem Nutzer die Präsenz von Polizeibehörden transparent zu machen. Ich glaube aber, dass es bessere Lösungen gibt, wie man diese Räume moderieren kann. Wenn wir uns den physischen Raum vorstellen, würden wir ja auch nicht wollen, dass an jeder Ecke ein Polizist steht.

»Es braucht einen globalen Minimalkonsens über inakzeptables Verhalten, also mindestens eine Bindung an internationale Menschenrechtsstandards«

Wie könnten bessere Lösungen aussehen?

Neben Melde- und Ausschlussverfahren, die wir auch von gängigen sozialen Medien kennen, wäre es etwa wünschenswert, Moderatoren auszubilden, die in geeigneten öffentlichen Institutionen längerfristig ausgebildet werden, als das gegenwärtig der Fall ist. Hier müssten die »Community-Standards«, nach denen moderiert wird, transparent sein und demokratisch verhandelt werden. Gleichzeitig sollten die Entscheidungen dieser Moderatoren nachvollziehbar sein. Zudem braucht es mit Blick auf die kulturell unterschiedlichen Auslegungen von kommunikativen Normen etwa zwischen dem angloamerikanischen und dem europäischen Raum einen globalen Minimalkonsens über inakzeptables Verhalten, also mindestens eine Bindung an internationale Menschenrechtsstandards. In diesem Kontext müssten wir auch darüber sprechen, ob wir nicht gänzlich neue – manchmal »immersiv« genannte – Menschenrechte für das Zeitalter des Metaverse benötigen, die dann von Moderatoren umgesetzt werden.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat Frauen nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 geraten, »eine Armlänge« Abstand zu Fremden zu halten – und dafür einen heftigen Shitstorm geerntet. Meta hat nun genau das codiert: einen Mindestabstand von 1,2 Metern zu Avataren, die man nicht kennt. Was halten Sie von dieser »Safe Zone«?

Das sind übliche Strategien, nach dem Motto: Wir designen ein neues Tool, um das Problem zu adressieren. Viele Betroffene sagen aber, dass sie in dem Moment des sexuellen Übergriffs so schockiert waren, dass sie gar nicht in der Lage waren, die Safe Zone zu aktivieren. Solutionistische Antworten …

… die Lösung sozialer Probleme durch Technik …

… reichen also nicht aus. Die werden von den Plattformen häufig avisiert, um staatliche Regulierung zu vermeiden.

»Die Regulierungsfragen im Metaverse werden aber noch mal komplexer, weil es nicht mehr nur darum geht, Sprache wie etwa Hasskommentare zu regulieren, sondern auch Verhalten«

Wie könnte eine Regulierung denn aussehen?

Die Regulierungsfragen sind heute schon sehr komplex, wenn wir an die Debatten zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz denken: die Frage also, ob man Plattformen noch mehr Macht zugesteht, indem man sie indirekt zum Schiedsrichter der Meinungsfreiheit macht, weil Staaten allein nicht genügend technische Ressourcen haben, um Inhalte zu moderieren. Die Regulierungsfragen im Metaverse werden jedoch noch mal komplexer, weil es nicht mehr nur darum geht, Sprache wie etwa Hasskommentare zu regulieren, sondern auch Verhalten. Wir haben es ja mit Avataren zu tun, und die immersiven Erfahrungen sind so gestaltet, dass sie fast physischen Charakter haben.

Angenommen, ich habe eine dieser klobigen VR-Brillen auf dem Kopf und gehe durch eine virtuelle Shopping-Mall. Bei den Sportartikeln bleibe ich stehen. Mein Blick fällt auf ein Fußballtrikot, mein Puls schlägt höher. Was passiert mit diesen Daten?

Eines der möglichen Geschäftsmodelle ist das, was man eine virtuelle Zukunft des Überwachungskapitalismus nennen könnte. Hier geht es nicht mehr nur darum, Daten zu sammeln, die mit unserem Klickverhalten zu tun haben, sondern biometrische Daten: Pupillenbewegungen, aber auch Herzschlag oder Körpertemperatur, wenn das VR-Headset mit einer Smartwatch gekoppelt wird. Es kann passieren, dass die Daten in dem Moment, in dem sie erhoben werden, an Datenbroker, also Informationshändler, weitergegeben werden. Das scheint auch das Modell von Facebook zu sein: Die jüngste VR-Brille, die der Konzern auf den Markt gebracht hat, besitzt einige Features, mit denen zum Beispiel Gestik und Mimik getrackt werden können. Wenn wir hier keine Regulierungsmöglichkeiten finden, könnte eine völlig undurchsichtige Form von Microtargeting entstehen. Es droht ein Komplettverlust der Privatsphäre.

Das müssen Sie erklären.

Wir kennen ja die personalisierte Werbung von Facebook, wo man im Newsfeed eine Anzeige sieht. Das virtuelle Pendant könnten simulierte Interaktionen sein: Ich laufe mit meinem Avatar herum und sehe am Straßenrand zwei Personen neben einem Auto stehen. Die eine Person sagt: »Hey, das Auto ist ja total interessant.« Die andere Person antwortet: »Ja, das habe ich gerade gekauft, kann ich total empfehlen.« Das könnte eine Form von Microtargeting sein, die für die Userin oder den Konsumenten in dem Moment überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist. Wir müssen uns Gedanken machen, ob wir ein generelles Verbot von Datenverarbeitung erwirken sollten: ein Verbot des biometrischen Targetings und des Handelns mit diesen Daten. Facebook sagt, dass diese Daten ausgewertet werden müssen, um die Echtzeit-Berechnung von Avataren zu ermöglichen und die Gesichtsausdrücke der Figuren möglichst realistisch ausschauen zu lassen. Aber letztlich geht es um Werbung.

Ein Verbot ist ein starker Eingriff in den Markt. Viele Nutzer willigen ja bewusst ein, dass ihre Daten verwendet werden dürfen …

Ich glaube, dass damit andere Probleme einhergehen könnten, die nicht nur mit dem Werbemodell zu tun haben. Die größeren Gefahren liegen in der politischen Instrumentalisierung: dass ich nicht von einem Konzern, sondern von einer Partei adressiert werde. Mir scheint, als seien die Behörden nach dem Datenskandal um die Analysefirma Cambridge Analytica sehr viel wachsamer geworden. Damals haben die Regulierungsbehörden erst sehr spät reagiert. Im Vergleich habe ich den Eindruck, dass das kritische Bewusstsein gegenüber Big Tech mittlerweile viel stärker ausgeprägt ist – das lässt zumindest etwas hoffen.

Glauben Sie, dass die Akteure von heute in fünf bis zehn Jahren noch dominant sein werden? Die Stichwortsuche etwa muss ja in 3-D-Welten ganz anders organisiert werden, weil es eben nicht mehr darum geht, Links zu indexieren, sondern virtuelle Objekte zu katalogisieren.

Es gibt bereits Sprachsuchen wie etwa Smart-Home-Assistenten, die man einfach ins Metaversum überführen könnte. Es wäre natürlich interessant, wenn es eine natürliche Evolution der Plattformen gäbe. MySpace beispielsweise, eines der ersten sozialen Netzwerke, ist heute von der Bildfläche verschwunden. Darauf sollten wir uns allerdings nicht verlassen, denn mit Blick auf Facebook beziehungsweise Meta sehen wir, dass dieser Konzern sehr adaptiv ist und es immer wieder durch Zukäufe von Wettbewerbern schafft, sich auf dem Markt zu behaupten – auch wenn die amerikanische Verbraucherschutzbehörde FTC hier mittlerweile stärker reguliert. Zuckerberg setzt mit dem Metaverse alles auf eine Karte. Es wird aber eine große Herausforderung. Sein Proto-Metaverse »Horizon Worlds« hat bislang monatlich gerade mal 300 000 aktive Nutzer. Auch wenn man momentan von einem beginnenden »post-solutionistischen« Zeitalter sprechen kann, in dem der Glaube daran, dass Technologiekonzerne weltumspannende Probleme lösen, schwindet, werden die führenden Tech-Firmen am Ende wahrscheinlich in der Lage sein, sich an die virtuelle Umgebung anzupassen.

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