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News: Im Osten Deutschlands droht ein Mangel an Arbeitskräften

Schon in wenigen Jahren droht in den neuen Bundesländern ein riesiger Mangel an Arbeitskräften. Besonders kleine und mittlere Betriebe könnten dadurch in ihrer Existenz gefährdet sein. Der Grund: In ostdeutschen Firmen überwiegen mittlere und ältere Arbeitnehmer, die in den kommenden Jahren ausscheiden. Wegen des drastischen Geburtenrückgangs nach der Wende wachsen aber kaum neue Arbeitskräfte nach.
Spätestens ab dem Jahr 2010 droht den neuen Bundesländern ein Mangel Arbeitskräften. Dadurch könnten besonders kleine und mittlere Betriebe in ihrer Existenz gefährdet sein. Das erklärte der Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Peter Pawlowsky auf einem gemeinsamen Bildungsforum der Süddeutschen Zeitung und des TÜV Süddeutschland in München. Das Forum stand unter dem Motto "Qualifizierung rechnet sich – neue Lernformen für den Mittelstand".

In kaum einer Region im Westen Deutschlands sind ähnlich viele Menschen ohne Arbeit wie im Osten: Arbeitslosenquoten von 20 und mehr Prozent sind nicht ungewöhnlich. 1989 gab es in der DDR noch 9,75 Millionen Arbeitsplätze. Diese Zahl ist seither um mehr als 3,7 Millionen auf 6,05 Millionen im Jahr 1997 gesunken. Die Gründe dafür sind einfach: Die DDR-Wirtschaft war auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig, die Produkte waren nicht selten veraltet, die Produktivität zu gering. Die gleiche Menge an Gütern, die damals riesige Kombinate mit Tausenden von Arbeitern herstellten, schaffen heute einige hundert – und das in besserer Qualität. Der Anteil der verschiedenen Sektoren (Landwirtschaft, produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen) an der Volkswirtschaft der DDR entsprach 1989 etwa dem Stand, den die alte Bundesrepublik bereits 1960 erreicht hatte. Ein umfassender Strukturwandel war daher unvermeidbar.

Der kam allerdings einer Rosskur gleich – rund 90 Prozent der vor 1938 geborenen Ex-DDR-Bürger, mehr als eine Million Menschen, ging zwischen 1990 und 1992 in den Vorruhestand oder die Frührente, in einer zweiten Welle wurden besonders jüngere Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt und abgefunden. Da seit 1992 kaum noch jemand aus Altersgründen ausscheidet, werden auch keine jungen Mitarbeiter mehr als Ersatz eingestellt. Durch Wachstum bedingte Neueinstellungen sind ebenfalls eine Seltenheit. Die meisten Betriebe waren schon froh, wenn sie ihren Personalbestand halten konnten. Die Folge: Die Struktur der verbliebenen Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern geriet aus dem Gleichgewicht, mittlere und ältere Jahrgänge überwiegen. Dadurch nimmt das Durchschnittsalter der Beschäftigten in den nächsten Jahren weiter zu.

Diese Situation wird sich um das Jahr 2010 schlagartig ändern, hat Pawlowsky gemeinsam mit Burkart Lutz und der Soziologin Bettina Wiener vom Zentrum für Sozialforschung an der Universität Halle herausgefunden. Spätestens dann nämlich scheiden die heute 55- bis 60-Jährigen aus dem Arbeitsleben aus. Nachrücker sind weit und breit nicht in Sicht: Nach der Wende gingen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer die Geburten von einstmals fast 250.000 Anfang der achtziger Jahre auf nur noch 79.000 im Jahr 1994 zurück, seitdem steigen sie wieder leicht an – es droht ein schwerwiegender Mangel an Fach- und Führungskräften.

Die Wissenschaftler sprechen deshalb schon von einer "demographischen Falle", in der sich die ostdeutschen Unternehmen befinden. Pawlowsky fügt hinzu: "Wenn da nicht rechtzeitig gegengelenkt wird, kann das bis zur Existenzgefährdung der Betriebe gehen". Doch als Mitarbeiter von Pawlowsky fast 200 sächsische Betriebe befragten, wo sie Ihre Vorteile im Wettbewerb sehen, antworten drei Viertel "bei der Qualität", zwei Drittel "beim Preis" und deutlich mehr als ein Drittel "bei neuen Produkten und neuer Technik". Kurze Lieferzeiten und geringe Kosten werden ebenfalls genannt. Nicht einmal jedes vierzehnte Unternehmen glaubt dagegen, daß seine Personaldecke in den nächsten Jahren ausdünne.

Eine Lösung des bevorstehenden Fachkräftemangels könnte darin bestehen, das vorhandene Personal planmäßig weiterzubilden und zu entwickeln. Da nämlich liegt in den neuen Bundesländern noch manches im Argen, so Pawlowsky. Vor der Wende lag die Weiterbildung meist in Händen der DDR-Kombinate. Die Arbeitskräfte seien fachlich sehr gut ausgebildet gewesen, ja, es habe sogar ein Überangebot an qualifizierten Mitarbeitern gegeben, denen nicht immer gleichwertige Stellen gegenüber gestanden hätten. Allerdings sei auch der Einfluß der Politik auf die Weiterbildung sehr stark gewesen. Zeitgemäße Lerninhalte, etwa in der Personalführung, stießen auf ideologische Vorbehalte oder gar – in der Informatik – auf Sicherheitsbedenken.

Nach der Wende übernahmen meist außerbetriebliche Träger die Weiterbildung, die oft über das Arbeitsförderungsgesetz finanziert werden. Nicht immer spielte dabei die Qualität eine Rolle, auch der tatsächliche Bedarf war häufig nicht ermittelt worden. Die vorhandenen betrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten brachen dagegen weg. Man habe die alten Weiterbildungseinrichtungen für "nicht anpassungsfähig und damit nicht geeignet" erklärt und es vorgezogen, Strukturen aus den alten Bundesländern zu übernehmen. Dies war vor allem dann der Fall, wenn Betriebe privatisiert und einem westlichen Konzern eingegliedert wurden. "Dabei hätte man durchaus prüfen können, ob man nicht Teile des DDR-Weiterbildungssystems in veränderter Form weiterführt", so Pawlowsky.

Anfangs ging es bei den Weiterbildungsmaßnahmen vor allem darum, die Bürger der ehemaligen DDR möglichst schnell mit der Marktwirtschaft vertraut zu machen. Mittlerweile glauben vor allem kleinere Betriebe, ihr Bedarf an Weiterbildung sei erst einmal gedeckt. Wenn überhaupt, dann ist die Weiterbildung bei ihnen kurzfristig angelegt: Sie reagieren meist nur auf aktuelle Schwierigkeiten, eine langfristige Strategie existiert nicht.

Auch die Kosten spielen eine Rolle: Während Unternehmen im Westen je Mitarbeiter im Schnitt fast 2000 Mark im Jahr ausgeben, sind es im Osten mal gerade 200. "Dabei spielen freilich auch die schlechten Erfahrungen eine Rolle, die viele kleine und mittlere Betriebe in der unmittelbaren Nachwendezeit mit zweifelhaften Weiterbildungsträgern gemacht haben", urteilt Pawlowsky. Doch selbst Großbetriebe in den neuen Bundesländern geben nur halb so viel aus wie die in den alten. Ost-Firmen sind auch seltener bereit, ihre Mitarbeiter für die Weiterbildung freizustellen. Führen Sie trotzdem Weiterbildungsmaßnahmen durch, sind es oft die "falschen" – das Schwergewicht liegt im fachlich-technischen Bereich, "da verdienen wir schließlich unser Geld", so ein Firmeninhaber. Kaufmännisches Wissen und besonders Führungseigenschaften werden dagegen vernachlässigt.

Vielen Unternehmern wird dies erst bewußt, wenn es bereits zu spät ist und sie pleite sind. Dann erkennen sie meist, woran es ihnen gefehlt hat. Ein gutes Produkt allein reiche nicht, man müsse es auch verkaufen können, urteilt Pawlowsky. Und er nennt ein Beispiel: "Viele Existenzgründer wundern sich, wenn ihnen die Bank einen Kredit verweigert. Sie halten die Banken für zu risikoscheu. In Wirklichkeit sind häufig Mängel beim Finanzmanagement und beim Marketing der Grund. Zudem fehlt es nicht selten auch am Verhandlungsgeschick und an der Überzeugungskraft." Wenn dann noch eine zu geringe Eigenkapitaldecke dazukomme, sei es aus mit dem Kredit. Gerade Fälle wie diese ließen sich oft vermeiden, wenn Mitarbeiter und Unternehmer sich regelmäßig gerade in den kritischen Bereichen weiterbilden und vor allem eine zukunftsorientierte Personalplanung und – entwicklung ins Auge fassen würden.

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