Direkt zum Inhalt

Sommer 2006: Im Schwitzkasten

Sprudelverkäufe auf Höchst-, Flüsse auf Tiefststand: Der heiße Juli 2006 bricht (fast) alle Rekorde. Ist er aber einfach nur eine Ausnahme oder drückt der Klimawandel schon deutlich seinen Stempel auf?
Hitzewelle: Ventilatorenbau
"Endlich!" möchten wohl viele fast ausrufen, endlich ist diese Hitze vorüber: Nachts erholt schlafen können, nicht schon morgens bei der Radfahrt ins Büro vollkommen verschwitzt sein oder auf glühenden Asphaltpisten im Stau stehen, weil die Dauerbesonnung die Betonplatten der Autobahn aus der Fassung brachte. Vielleicht auch endlich Regen, der die Ernte von Kartoffel- und Maisbauern rettet oder zumindest dem heimischen Rasen ein schmähliches braunes Ende erspart.

Möglich macht es eine umfassende Veränderung der für Mitteleuropa zuständigen Großwetterlagen. Wo sich bisher stabile und kräftige Hochdruckgebiete mit denkwürdigen Namen wie "Bruno" tummelten, verdrängt nun Tief "Xaviera" die letzten Flecken der Hitzewelle. Alles begann am 9. Juni mit dem Tag des Eröffnungsspiels der Fußball-Weltmeisterschaft, als sich über Mitteleuropa eine so genannte antizyklonale Südostlage einstellte, die dauerhaft trockenes und vor allem zu warmes Wetter brachte: Von Südosteuropa über die Ostsee und Südskandinavien bis zum Nordmeer – manchmal auch bis nach Island – erstreckt sich hoher Luftdruck, dessen absteigende Luftmassen die Wolken auflösen. Nur vereinzelt zogen kleine Störungen als Ausläufer eines Tiefs über dem Ostatlantik über Deutschland hinweg, die dann mitunter sehr kräftige, aber nur kurzzeitige Regengüsse brachten.

Diese Penetranz der Schönwetterphasen bescherte Deutschland einen sonnig-heißen Juli, der selbst den letzten Ausnahmesommer 2003 in den vielgesuchten Schatten stellte: "In den Archiven des Deutschen Wetterdienstes finden wir keinen Monat, der heißer und sonniger war als der Juli 2006. Dieser Monat schlägt alle Rekorde", so Wolfgang Kusch vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Seit Beginn der deutschlandweiten Wetteraufzeichnungen 1901 gab es keinen Juli, der mehr als die diesjährigen durchschnittlichen 22,1 Grad Celsius auf die Waage brachte.

Statt der 16,9 Grad Celsius des langjährigen Mittels lagen die Werte diesmal satte 5,2 Grad darüber. In einigen Orten wie Karlsruhe, Trier oder Jena ging jeder einzelne Tag des Monats als so genannter Sommertag mit Höchsttemperaturen jenseits der 25-Grad-Celsius-Marke in die Annalen ein. Im Südwesten der Republik sowie in Brandenburg wurde zudem die Schwelle von 30 Grad Celsius häufig an mehr als zwanzig Tagen übertroffen. Und an zahlreichen Stationen wurden zudem neue Rekordhöchstwerte – zum Beispiel in Kalkar am Niederrhein mit 38,6 Grad Celsius am 19. Juli oder in Wernigerode im Harz mit 36,4 Grad Celsius am Tag darauf. Der absolute Temperaturrekord von 40,2 Grad Celsius in Karlsruhe aus dem August 2003 blieb jedoch unangetastet, Bernburg an der Saale erreichte nur 38,9 Grad Celsius.

Zum Leid der Landwirte

Niederschläge machten sich dagegen rar, sodass nur etwas mehr als Hälfte der ansonsten im Juli üblichen Regenmengen die trockenen Böden Deutschlands benetzten. Betroffen waren davon vor allem Ostdeutschland sowie Teile des Nordens und äußersten Westens, wo teilweise nicht einmal ein Fünftel der üblichen Wassermengen herunter kamen, nachdem schon der Juni diese Gebiete mit Trockenheit bedachte. Wenn sich aber die Schleusen öffneten, konnte es gewaltig hernieder prasseln: So meldete Karlsruhe am 7. Juli mehr als 76 Liter regen pro Quadratmeter – mehr als in jedem anderen überwachten Juli zuvor.

Und wo sich der Himmel meist in makellosem Blau zeigte, konnte die Sonne ungestört strahlen – sehr zur Freude von Solarstromproduzenten, denen der Sommer bislang viel Freude bereitete. Denn während normalerweise knapp 200 Sonnenstunden den Normalwert des Monats darstellen, betrug dieses Jahr die durchschnittliche Sonnenscheindauer mehr als 330, an der Ostseeküste sogar 400 Stunden.

Bestimmten Wirtschaftszweigen wie Binnenschifffahrt oder Landwirtschaft bereitete dies aber weniger Freude. Die letzten trockenheißen Wochen bedeuteten gerade für Pflanzen einen enormen Stress, wie Günter Delfs vom DWD anmerkt, während tierische Schädlinge optimale Bedingungen vorfanden. Beim Getreide beispielsweise wuchsen die Ähren vielerorts während der Reifezeit nicht weiter, sodass hier Einbußen zu erwarten sind. Schlimmer traf es noch den Mais, denn dessen Blüte beginnt später im Jahr und damit fiel die Entwicklung der Kolben mitten in die größte Dürreperiode. Engpässe sind außerdem beim Heu zu erwarten, da vielfach der zweite Schnitt ausfallen musste. Auch der Wald dürfte gelitten haben, doch lassen sich hier laut Delfs die Folgen meist erst später absehen.

Aber nicht nur Deutschland stöhnte – oder freute sich – über die heißen Tage, auch weite Teile Nordamerikas verzeichneten einen der wärmsten Juni-Monate seit Beginn der Klimadatensammlung. Überhaupt ist das Jahr 2006 bislang das wärmste seit 1895, und auch der Juli scheint nach vorläufigen Daten davon keine Ausnahme zu machen. Fast die Hälfte der Landesfläche der Vereinigten Staaten leidet mittlerweile unter Dürre. Trockenheit ist auch das Stichwort für das südliche Amazonasbecken, das im zweiten Jahr in Folge unter zu hohen Temperaturen, Regenmangel und rasant fallenden Flusspegeln zu leiden hat, sowie für Südengland, wo neben einer ausgeprägten Hitze ebenfalls Wasserknappheit Schlagzeilen macht.

All das passt ins globale Bild, denn nach Angaben der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) war der letzte Juni weltweit der bislang zweitwärmste und das erste Halbjahr immer das sechstwärmste je gemessene. Die Fieberkurve des Planeten zeigt also weiterhin steigende Tendenz, nehmen doch die Temperaturabweichungen nach oben in den letzten 10 bis 15 Jahren beträchtlich zu – auch wenn nach einhelliger Meinung der Klimatologen ein einzelner Sommer wie dieser immer noch kein endgültiger Beweis für den prognostizierten Klimawandel ist.

Keine Überraschung für Klimaforscher

Für Peter Werner vom Postdamer Insitut für Klimafolgenforschung ist aber dieser Juli schon keine Überraschung mehr, denn er entspricht allen Prognosen seiner Zunft. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre träten derartige Schönwetterperioden gehäuft auf, denn damals gab es einen neuen Wärmeschub in der Erdatmosphäre, durch den sich die Großwetterlagen auch über Europa räumlich und zeitlich veränderten. Deshalb kräftigen sich mittlerweile im Sommer die ortsfesten Subtropenhochs – etwa das berühmte rund um die Azoren – und dehnen ihren Einfluss weiter nach Norden aus. Regenreiche Tiefdruckgebiete verlaufen hingegen nun häufiger weiter im Norden, so der Forscher. Das Ergebnis: stabile, lang anhaltende Sonnenphasen in Deutschland, welche die Klimatologie laut Werner derart in dieser Häufigkeit hierzulande noch nicht kannte.

Sommer wie der von 2003 oder 2006 dürften daher bei weiter steigenden Erdtemperaturen zukünftig zum Normalfall werden – auch wenn es immer wieder zu Ausschlägen nach unten kommen wird und ein unterkühlter, nasser Juli oder August die Menschen verärgert. Diese Ereignisse werden aber nach Aussage des Potsdamer Forschers wie auch Günter Delfs seltener, was vielleicht dazu führt, dass sich die Bevölkerung leichter daran erinnert. Klimatologisch war demnach der letzte Winter nicht so extrem, wie allseits vermutet: "Vielmehr verblasst die Erinnerung an normale Winter mit Eis und Schnee", merkt Peter Werner an.

Vielleicht verdrängt der beginnende August ebenfalls bald die Gedanken an den hitzigen Juli. Denn nun sieht es nach Angaben von Günter Delfs aus, als könnten dynamische Atlantik-Tiefs die Vorherrschaft hierzulande gewinnen: Das Tief "Xaviera" zieht gerade langsam vom Ostatlantik gen Nordsee und transportiert dabei frische Meeresluft sowie einzelne Schauer und Gewitter heran. Zumindest in Norddeutschland herrscht bald wieder das für die Jahreszeit eigentlich typische Wetter mit einem Sonne-Wolken-Regen-Mix vor. Doch ein kleiner Trost am Rande: Wegen der aufgeheizten Nordsee strömt selbst mit nordatlantischen Luftströmungen nur Mildes nach Mitteleuropa – frieren muss also noch niemand.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.