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Immunsystem: Erstkontakt mit Corona beeinträchtigt Immunität

Unser Immunsystem prägt sich die Virusvariante ein, der es zuerst begegnet ist – und reagiert daher schwächer auf veränderte Varianten. Sind deshalb angepasste Corona-Impfstoffe weniger wirksam als erhofft?
Mehrere Schnelltests, die alle zwei Striche zeigen und demnach positiv sind
Corona-Impfungen bieten keine sterile Immunität, die Infektionen mit Sars-CoV-2 verhindern könnten. Manche Menschen haben sich deshalb schon mehrfach infiziert. Impfungen schützen aber weiterhin vor schweren Verläufen.

Im Sommer 2022, als die Omikronvariante des Coronavirus grassierte, wurde der Immunologe Bob Seder von Freunden und Verwandten immer wieder gefragt: »Soll ich meine Covid-19-Auffrischungsimpfung verschieben und warten, bis der neue, auf Omikron zugeschnittene Impfstoff verfügbar ist?« Er riet ihnen davon ab.

Bob Seder ist stellvertretender Leiter des Vaccine Immunology Program (VIP) am US National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda, Maryland. Er vermutete, dass die Wirksamkeit einer neu angepassten Auffrischungsimpfung durch eine Besonderheit des Immunsystems abgeschwächt werden würde: das »Imprinting«, zu Deutsch »Prägung«. Dieses Phänomen bezeichnet die Tendenz des Immunsystems, bei einer erneute Konfrontation mit einem Virus wie beim ersten Aufeinandertreffen zu reagieren.

Prägung vom Immunsystem ist bei Grippe ein bekanntes Phänomen

Imprinting wurde vor Jahrzehnten erstmals bei Menschen mit Grippe beobachtet: Ihr Immunsystem reagierte auf einen neu zirkulierenden Virusstamm, indem es Antikörper produzierte. Diese waren allerdings auf die Virusvariante zugeschnitten, die ihre erste Infektion ausgelöst hatte. Einige der Erkrankten konnten dadurch den neuen Stamm schlechter abwehren.

Diese Prägung des Immunsystems kann Auffälligkeiten vergangener Grippewellen erklären, wie zum Beispiel die überraschend hohe Sterblichkeitsrate unter jungen Erwachsenen während der Influenzapandemie im Jahr 1918. Die ältere Generation, die in ihrer Jugend einem Grippestamm ausgesetzt war, der dem tödlichen H1N1-Pandemiestamm sehr ähnelte, zeigte eine robuste Immunreaktion. Viele der jüngeren Erwachsenen hingegen waren bislang nur mit »unpassenden« Stämmen konfrontiert gewesen. Aus diesem Grund reagierte ihr Immunsystem – geprägt von den bisherigen Erfahrungen – schlechter als das der älteren Generation.

Eine Reihe von Studien zeigt nun, wie sich Imprinting auch bei Sars-CoV-2 auf die Immunabwehr auswirkt. So hängt beispielsweise die Immunreaktion auf eine erneute Corona-Infektion mit der Omikronvariante davon ab, mit welchem der vorangehenden Stämme – also der Ursprungsvariante oder den nachfolgenden Alpha- oder Beta-Varianten – die betreffende Person vorher infiziert war. Auch bewirkt die Exposition gegenüber Omikron in der Regel nicht, dass sich ein durch einen älteren Stamm geprägtes Immunsystem aktualisiert.

Auffrischungsimpfungen lohnen sich trotzdem

Inzwischen ist es relativ einfach, mRNA-Impfstoffe an eine neue Variante anzupassen. Doch wahrscheinlich verbessern diese maßgeschneiderten Auffrischungsimpfungen den Schutz vor einer Infektion nicht wesentlich, da sie die Prägung des Immunsystems nicht ändern. Entsprechend reduzieren sie zwar das Übertragungsrisiko kaum, gleichwohl aber das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Daher stimmen Forscherinnen und Forscher überein, dass sich auch variantenspezifische Auffrischungsimpfungen lohnen.

Außerdem bewirkt eine Prägung mit Covid-19 nicht, dass man bei einer erneuten Infektion schwerer erkranken kann als jemand, der zuvor noch gar nicht mit dem Virus in Kontakt gekommen ist. »Man ist immer besser dran, wenn man eine gewisse Immunität hat, egal welche«, sagt Katie Gostic, Evolutionsbiologin an der University of Chicago, Illinois. Zudem existieren Hinweise darauf, dass sich das Immunsystem zumindest bei manchen Menschen anpassen kann, wodurch sich ihre Abwehrreaktion gegenüber neuen Varianten durchaus verbessern könnte.

»Man ist immer besser dran, wenn man eine gewisse Immunität hat, egal welche«Katie Gostic, Evolutionsbiologin an der University of Chicago

Mittels der Prägung kann sich unser Immunsystem an Eindringlinge erinnern. Das hilft ihm bei einem erneuten Aufeinandertreffen, schneller zu reagieren. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei die B-Gedächtniszellen, die sich beim ersten Kontakt mit dem Virus in den Lymphknoten bilden. Fortan zirkulieren sie im Blut und halten Ausschau nach dem bekannten Feind. Taucht er erneut auf, entwickeln sie sich zu Plasmazellen, die dann Antikörper als Abwehrwaffe produzieren.

Problematisch wird es nun, wenn das Immunsystem auf einen ähnlichen, aber nicht identischen Virusstamm stößt. In diesem Fall werden keine neuen oder »naiven« B-Zellen gebildet, um maßgeschneiderte Antikörper zu produzieren. Stattdessen springen die bereits vorhandenen Gedächtnis-B-Zellen ein. Sie stellen nun Antikörper her, die sowohl an Strukturen des alten als auch des neuen Virusstamms binden können. Fachleute sprechen von kreuzreaktiven Antikörpern. Zwar bieten auch diese einen gewissen Schutz; doch da sie nicht perfekt zum neuen Stamm passen, sind sie weniger wirkungsvoll.

Die »antigene Erbsünde«

Das Imprinting-Phänomen wurde erstmals 1947 von Jonas Salk und Thomas Francis, den Entwicklern des ersten Grippeimpfstoffs, zusammen mit dem Wissenschaftler Joseph Quilligan beobachtet. Sie stellten fest, dass Menschen, die zuvor an Grippe erkrankt waren und dann gegen den aktuell zirkulierenden Stamm geimpft wurden, Antikörper gegen die vorherige Variante produzierten. Thomas Francis gab dem Phänomen den nicht ganz ernst gemeinten Namen »antigene Erbsünde«.

Erst kürzlich haben Forschende nun nachgewiesen, wie sehr dieser Prozess die Immunität tatsächlich beeinflussen kann. Im Jahr 2016 veröffentlichte Katie Gostic eine epidemiologische Studie, in der sie und ihr Team die Daten zweier Vogelgrippen-Pandemien analysierten: eine verursacht durch die Viren H5N1 im Jahr 2009 und die andere durch H7N9 im Jahr 2013. Beide Varianten weisen Ähnlichkeiten mit den Stämmen der saisonalen Influenza auf, stammen aber von entgegengesetzten Ästen des Evolutionsbaums der Grippe ab. Man habe wirklich ein bemerkenswertes Muster gesehen, sagt Katie Gostic: »Anscheinend ist man viel anfälliger, zumindest für schwere Infektionen, wenn man in der Kindheit durch einen ›unpassenden‹ Subtyp geprägt wurde.«

Auch bei Sars-CoV-2 würde die Kombination aus individueller Infektions- und Impfhistorie jede spätere Immunreaktion auf das Virus beeinflussen, sagt die Immunologin Rosemary Boyton vom Imperial College London. Sie und ihre Kollegen gelangten zu diesem Schluss, nachdem sie die Immunität zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehrerer Londoner Krankenhäuser unter die Lupe genommen hatten.

»Anscheinend ist man viel anfälliger, zumindest für schwere Infektionen, wenn man in der Kindheit durch einen ›unpassenden‹ Subtyp geprägt wurde«Katie Gostic, Evolutionsbiologin an der University of Chicago

Ihre erste Studie führten sie durch, bevor die Omikronvariante auftauchte. Hier untersuchten sie verschiedene Immunreaktionen – einschließlich Antikörperproduktion sowie B- und T-Zell-Antwort – bei Menschen, die zwei Impfdosen erhalten hatten. Einige von ihnen hatten bereits vor ihren beiden Impfungen eine Infektion durchgemacht, andere erkrankten dazwischen oder danach. Die Forscher fanden heraus, dass die Immunität einer Person gegen nachfolgende Stämme stark von deren früheren Infektionen und Impfungen abhängt. »Manche Kombinationen bieten zufällig einen besseren Schutz gegen eine neue Variante als andere«, sagt Rosemary Boyton.

Im Juni 2022 veröffentlichen Boyton und ihre Kollegen dann eine Nachfolgestudie, in der sie die Immunität von Personen untersuchten, die sich nach einer Dreifachimpfung mit dem Omikronstamm infiziert hatten, aber eine unterschiedliche Covid-19-Infektionsgeschichte aufwiesen. Auch hier wurde eine Vielzahl von Reaktionen festgestellt, die auf eine Prägung durch frühere Kontakte mit dem Virus hinweisen. So stimmten selbst bei Personen, deren erste Covid-19-Infektion eine Omikroninfektion war, die Antikörper besser mit dem ursprünglichen Stamm überein, gegen den sie geimpft worden waren.

Bei denjenigen, die zuvor mit dem ursprünglichen Stamm infiziert und dann gegen diesen noch geimpft worden waren, erhöhte eine anschließende Omikroninfektion nicht die Fähigkeit, omikronangepasste Antikörper zu bilden. Dies sei ein klares Zeichen für eine Prägung, sagt Rosemary Boyton. Und es erkläre wahrscheinlich, warum erneute Infektionen mit Omikron so häufig vorkommen. Immerhin reicht aber bei den meisten Menschen die »geprägte» Immunreaktion aus, um eine schwere Erkrankung zu verhindern.

Auch eine im Dezember 2022 veröffentlichte Studie von Yunlong Cao von der Universität Peking stützt die Annahme, dass sich Imprinting bei Corona-Impfungen bemerkbar macht. Er fand heraus, dass Menschen, die gegen den ursprünglichen Stamm geimpft worden waren und sich dann eine Omikroninfektion zuzogen, kreuzreaktive Antikörper produzierten. Im Gegensatz dazu bildeten Personen ohne vorherigen Impfschutz Antikörper, die spezifisch auf Omikron reagierten. Je weiter sich die Omikronvarianten vom ursprünglichen Stamm entfernten, desto geringer war laut Yunlong Cao der Anteil an Antikörpern, die Omikron-Coronaviren neutralisieren konnten. Er geht daher davon aus, dass sich diese Entwicklung bei den neueren Omikron-Untervarianten wie XBB noch ausgeprägter zeigen wird.

B-Zellen können sich anpassen und spezifische Antikörper herstellen

Das Immunsystem verfüge jedoch über einige Tricks, die dazu beitragen könnten, der Prägung entgegenzuwirken, sagt Laura Walker, Chief Scientific Officer und Mitbegründerin des auf Antikörper spezialisierten Pharmaunternehmens Invivyd mit Sitz in Waltham, Massachusetts. Gedächtnis-B-Zellen können bis zu einem gewissen Grad mutieren, wenn sie einem neuen Stamm ausgesetzt sind. Der als Affinitätsreifung bekannte Prozess führt dazu, dass die Zellen spezifischere Antikörper herstellen. Laura Walker und ihre Kollegen verfolgten die Antikörperreaktionen bei mRNA-geimpften Personen bis zu sechs Monate nach der Infektion mit Omikron und stellten fest, dass sich zumindest eine Untergruppe der B-Zellen so verändert hatte, dass ihre produzierten Antikörper exakt zu Omikron passten. Die Affinitätsreifung könnte dazu führen, dass sich die Immunrepertoires im Lauf der Zeit verändern, denkt Rosemary Boyton daher. Allerdings ist unklar, in welchem Ausmaß dies nach mehreren Impfungen noch passiert.

Die Umwandlung der B-Zellen findet in bestimmten Bereichen der Lymphknoten und des Knochenmarks statt, den so genannten Keimzentren. »Man kann sich das wie ein Ausbildungslager vorstellen, in dem unsere Immunzellen trainiert werden«, sagt Ali Ellebedy, ein Immunologe an der Washington University in St. Louis, Missouri. Die verbesserten B-Zellen produzieren schließlich wirksamere Antikörper.

Im September 2022 berichtete ein Forscherteam um Ali Ellebedy über die Ergebnisse einer Studie, in der es B-Zellen aus den Keimzentren von Freiwilligen entnahm, die einen Auffrischungsimpfstoff entweder gegen den ursprünglichen Sars-CoV-2-Stamm oder gegen Omikron erhalten hatten. In beiden Fällen überwogen die Antikörper, die den ursprünglichen Stamm erkannten, auch wenn Antigene des ursprünglichen Stamms in der Auffrischungsimpfung gar nicht mehr enthalten waren. Bei Menschen, die das Omikronvakzin erhalten hatten, so Ellebedy, »konnten wir jedoch einen sehr kleinen Anteil von Zellen nachweisen, die spezifisch auf Omikron reagierten«. Offenbar unterdrückt die Prägung die Reaktionen auf neue Stämme also nicht vollständig – auch wenn das Team diesen Effekt nicht bei allen Studienteilnehmern feststellen konnte. Die Schlüsselfragen, auf die es noch keine abschließenden Antworten gibt, sind demnach: Warum reagiert nicht jeder gleich? Und wie lassen sich die Reaktionen auf angepasste Impfstoffe fördern?

»Es gibt keine Beweise dafür, dass Imprinting Schaden anrichtet, eine schlechtere Immunreaktion nach sich zieht oder zu einem schwereren Verlauf führt«Rosemary Boyton, Immunologin am Imperial College London

Neben der Affinitätsreifung von vorhandenen B-Zellen haben die Forscher untersucht, ob das Immunsystem völlig neue B-Zellen rekrutieren kann, sobald es mit einer neuen Virusvariante konfrontiert wird. Der Immunologe Gabriel Victora von der Rockefeller University in New York entwickelte eine Technik, mit der sich Zellen und ihre Nachkommen in Mäusen verfolgen lassen. Auf diese Weise konnte er herausfinden, von welchen B-Zellen die Antikörper stammen.

Seine im Januar 2022 im Fachblatt »Nature« veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass bei Mäusen, die zuvor gegen den ursprünglichen Sars-CoV-2-Stamm geimpft worden waren, mehr als 90 Prozent der produzierten Antikörper von bereits vorhandenen B-Zellen stammten. Eine Auffrischungsimpfung gegen den Omikronstamm habe jedoch das Bild geändert, erzählt Gabriel Victora: 25 bis 50 Prozent der Antikörper stammten nun von neuen B-Zellen, und sie neutralisierten Omikron besser als die älteren Antikörper.

Laut Laura Walker ist nicht klar, ob daraus auch ein besserer, längerfristiger Schutz entstehe. Dafür müssten die neuen B-Zellen im Knochenmark zu Antikörper produzierenden Plasmazellen heranreifen. Noch ist jedoch ungewiss, ob das Immunsystem diese neueren Plasmazellen auch wirklich behält.

Obwohl sich in Antikörperstudien die Signatur der Prägung zeige, so Katie Gostic, gebe es kaum Beweise dafür, dass die Menschen dadurch anfälliger werden. Selbst wenn Imprinting verhindert, dass weitere Impfungen das Risiko für eine Ansteckung verringern, so Rosemary Boyton, »gibt es keine Beweise dafür, dass es Schaden anrichtet, eine schlechtere Immunreaktion nach sich zieht oder zu einem schwereren Verlauf führt«, verglichen mit Menschen, die gar keine Antikörper haben, weil sie weder geimpft sind noch infiziert waren. Katie Gostic sieht die Sache daher lieber positiv: Die Prägung betrachtet sie nicht als Schwächung der Immunreaktion, sondern als eine »Art Superkraft«, die alles bekämpft, was dem ähnelt, was den Körper schon einmal bedroht hat.

Prägung überwinden, Ausbreitung stoppen

Allerdings hat die Prägung des Immunsystems die Hoffnung zunichtegemacht, dass Booster-Impfungen besser schützen, wenn sie auf die neuen Varianten abzielen statt auf die alten. Die im September 2022 in Europa eingeführten mRNA-Auffrischungsimpfstoffe enthalten sowohl das Spike-Protein des ursprünglichen Stamms als auch das der Omikronvariante BA.1. In den USA wurden Impfstoffe eingeführt, die auf die Omikronvariante BA.5 abzielen. Die Mittel erhöhen zwar die Konzentration der Antikörper, aber diese sind nicht omikronspezifisch und bieten daher wahrscheinlich keinen nennenswerten Schutz gegen eine Infektionen mit der Omikronvariante.

Was bedeutet das nun für unsere derzeitigen Impfstoffe? Rosemary Boyton betont, dass sie »brillant« darin seien, vor schweren Verläufen zu schützen. Jetzt, da die meisten Menschen ohnehin schon einen Immunschutz haben, sollten sich die Wissenschaftler allerdings darauf konzentrieren, Vakzine zu finden, die die Prägung überwinden können. Nur so ließe sich die Ausbreitung des Virus stoppen und nicht bloß der Krankheitsverlauf abmildern. »Nun sind wir in einer etwas anderen Situation, und wir müssen anders an die Sache herangehen«, findet sie.

Bob Seder stimmt zu, dass sich die Impfstoffe ändern müssen, wenn sie Ansteckung und Übertragung und nicht nur Todesfälle verhindern sollen. Seiner Meinung nach wäre ein möglicher Ansatz, Lebendimpfstoffe einzusetzen, die fünf bis zehn Tage im Körper verbleiben und eine effektivere Reaktion hervorrufen könnten. Solche Impfstoffvarianten bergen jedoch größere Risiken, insbesondere für gefährdete Personen, da sich selbst ein geschwächtes Virus im Körper vermehren kann.

Sind Vakzine, die in der Nase wirken, die bessere Alternative?

Bob Seder untersucht stattdessen nasale Impfstoffe, die ihm zufolge wirksamer gegen Varianten sein könnten als injizierte Impfstoffe. Wenn ein Impfstoff direkt in die Nase gesprüht wird, könnte dies eine Schleimhautimmunität auslösen – also eine Immunreaktion der Zellen, die die Atemwege und andere Schleimhäute besiedeln. Bei einer natürlichen Infektion sind die Schleimhäute die erste Abwehrbarriere. Die Antikörperreaktion ist hier sehr ausgeprägt und zielt darauf ab, das Virus nicht weiter in den Körper vordringen zu lassen.

Diese Reaktion könnte zwar immer noch durch die frühere Exposition geprägt sein, doch durch ihre schiere Stärke könnte ein besserer Schutz aufgebaut werden, der dann womöglich sogar Infektion und Übertragung verhindert. So hat eine 2022 in »Science« veröffentlichte Studie etwa Folgendes gezeigt: Die durch injizierte Impfstoffe hervorgerufene Antikörperreaktion umgeht die Antikörperkaskade, die durch eine Immunantwort in den Schleimhäuten ausgelöst wird. Bei einer Durchbruchsinfektion kommt es dort aber stets zu Immunreaktionen.

In Versuchen vergleicht Bob Seder nun nasale und injizierte mRNA-Impfstoffe bei Tieren, um festzustellen, ob sie die Abwehrreaktion auf Omikron verbessern. Bislang sind die Daten dazu, wie sich diese Impfstoffe beim Menschen verhalten, noch spärlich und uneinheitlich. In einer klinischen Phase-I-Studie mit einem von Astrazeneca und der University of Oxford entwickelten Nasenspray-Impfstoff zeigte lediglich eine Minderheit der Teilnehmer eine Antikörperantwort auf den Schleimhäuten. Auch die systemische Abwehrreaktion des Körpers fiel schwächer aus als bei einer Impfung in den Muskel.

Impfstoffverstärker und ein universaler Corona-Impfstoff

Ein weiterer Ansatz wäre, Adjuvanzien zu verwenden, Mittel, die den Impfstoffen zugesetzt werden, um die Immunreaktion zu verstärken. Bei der Grippeimpfung hat sich gezeigt, dass Adjuvanzien das Imprinting abschwächen können. Wie sie auf die Prägung bei Covid-19 wirken, wurde aber bislang noch nicht untersucht.

Eine optimale Immunreaktion sei stark und breit gefächert – sowohl um die Prägung zu entschärfen als auch um eine größere Palette an Viren zu bekämpfen, sagt Rosemary Boyton. Ein Impfstoff gegen alle Varianten von Sars-CoV-2 – ein so genannter Pan-Coronavirus-Impfstoff – würde den Körper anregen, ein breites Spektrum an Antikörpern herzustellen, die sich gegen verschiedene Sequenzen des Virus richten. Ein solches Vakzin kann möglicherweise verhindern, dass das Virus so sehr mutiert, dass es dem Immunsystem entkommt. Letztlich könnte das der Schlüssel sein, um künftige Pandemien einzudämmen. Entsprechend ist die Suche nach einem solchen Arzneimittel bereits in vollem Gang.

Imprinting wird oft als Problem dargestellt, doch es ist ein grundlegender Teil des Immungedächtnisses, das eine blitzschnelle Reaktion auf einen viralen Eindringling ermöglicht, ohne dass man bei null anfangen muss. »Für mich bedeutet das«, sagt Gabriel Victora, »dass das Immunsystem seinen Job ziemlich erfolgreich erledigt.«

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