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Brasilien: Aus den Waldgärten duftet das gute Leben

Eine Reise nach Amazonien zeigt, wie sich eine kleine indigene Gemeinschaft der Ausbeutung von Mensch und Natur entgegenstemmt: mit Waldgärten, in denen nun sogar Rosenholz sprießt.
Eine Hand hält die Blätter einer jungen Pflanze in einem Garten oder einer Baumschule. Die Pflanze hat glänzende, grüne Blätter. Im Hintergrund sind weitere Pflanzen in schwarzen Pflanzbeuteln auf einem kiesbedeckten Boden zu sehen.
Die Parfümindustrie verlangte nach so viel Rosenholzöl, dass die Baumart vielerorts ausgerottet wurde. In den Waldgärten der Sateré-Mawé wachsen sie nun im nachhaltigen Anbau.

Obadias Batista García ist Unternehmer, und er ist stolz darauf. »Nusoken« steht auf seinem grau gemusterten T-Shirt. Das Wort entstammt der Sprache seines Volks, der Sateré-Mawé, und bedeutet: »Ort der Steine« oder Ursprungsort. Es ist der Markenname der Produkte, die Obadias vertreibt. Und zugleich mehr als das: Es ist Obadias' Bekenntnis zu Authentizität, zur Verbundenheit mit der Erde und zur Herkunft mitten aus dem Amazonasgebiet.

Sein preisgekröntes Waldgartenprojekt läuft nun schon seit über 30 Jahren. Seit mehr als drei Jahrzehnten verkauft er Produkte, die für das stehen, was der Name Nusoken ausdrücken soll.

Wir treffen ihn in seinem Büro, in einer Lagerhalle der Kleinstadt Parintins. Dazu sind wir von Manaus aus etwa zehn Stunden mit dem Schnellboot den Amazonas flussabwärts gefahren. Der 63-Jährige sieht überarbeitet aus, sein kurzes schwarzes Haar ist verwuschelt.

Die eiergelbe Farbe blättert von den Wänden. Es gibt einen großen runden Tisch, ein paar Stühle und eine Hängematte. Israelita, Obadias Frau, hat eine Schale mit Guaraná-Wasser in die Runde gestellt. Das koffeinhaltige, stärkende Getränk wird immer bei Versammlungen herumgereicht, für die Sateré-Mawé ist es so eine Art »Friedenspfeife«.

Auf dem Rio Andirá | Mit dem Holzboot geht es gemächlich den Zufluss des Amazonas hinauf. Zehn Stunden dauert die Fahrt von der Mündung zu den Dörfern der Sateré-Mawé.

Zusammen mit dem Ethnologen Wolfgang Kapfhammer wollen wir mit Obadias García den Rio Andirá hinauffahren, um uns das Waldgartenprojekt anzusehen und mit den Produzenten zu sprechen. Denn in ihren Gärten wächst ein neues Produkt heran: Rosenholz. Ein Baum, mit dem die Sateré schlechte Erfahrungen gemacht hatten – katastrophal schlechte.

Der Fluch eines Dufts

Rosenholz ist vor allem wegen seines hohen Linalool-Gehaltes eine geschätzte Zutat in der Parfümindustrie. Der Stoff verleiht den Mixturen nicht nur einen blumig-zitronigen und zugleich angenehm holzigen Duft, sondern hilft auch, eine Balance zwischen anderen Duftkomponenten einer Komposition zu schaffen. Deshalb ist er in unzähligen parfümierten Produkten enthalten.

»Im 19. Jahrhundert wurde Rosenholz von den Franzosen in Französisch-Guayana entdeckt«, erklärt Lauro Barata. Der Chemiker hat sich sein ganzes Leben mit den Pflanzen Amazoniens beschäftigt. »Aber dort rotteten die Franzosen es aus. Dann holten sie es sich aus den brasilianischen Wäldern im Norden Brasiliens, in Amapá.« Auch dort errichteten sie ihre Mühlen, in denen das Holz für die Extraktion zermahlen wird. »Und auch dort haben sie es ausgerottet.«

Angefeuert wurde die ohnehin starke Nachfrage nach Rosenholzöl vom Erfolg des Parfüms Chanel No 5 – und vom Ausspruch Marilyn Monroes, dass sie »nur mit ein paar Tropfen Chanel No 5« bekleidet ins Bett gehe. Das löste einen regelrechten Hype um das Parfüm aus, der bis in die hinterste Ecke Amazoniens Wellen schlug – bis zu den Sateré-Mawé am oberen Rio Andirá.

Unterwegs mit Obadias

Dorthin sind wir unterwegs. Erneut steht uns eine zehnstündige Bootsfahrt bevor. Diesmal aber geht es auf dem Holzdampfer der Indigenen völlig entschleunigt den Rio Andirá hinauf. In den unendlichen Gewässern spiegeln sich die Wolken, rosa Delfine lassen sich blicken. Wir spannen unsere Hängematten auf und werden mit Hühnchen und Reis versorgt, gewürzt mit Ameisen. Gerade als wir durch einen Kanal des weitverzweigten Flusssystems steuern, bricht ein Gewitter über uns los.

Abends erreichen wir das Heimatdorf von Obadias: Nova União. Die Dorfschule ist nach ihm benannt, was ihm gefällt. Denn würde man ihn erst nach seinem Tod ehren, hätte er ja nichts mehr davon, sagt er grinsend.

Am nächsten Tag besuchen wir die Waldgärten einer Sateré-Siedlung, die zehn Minuten mit dem Motorboot entfernt liegt. Hier lebt Valdir Souza. Er erinnert sich noch an die Zeit des Rosenholzbooms. Durch einen Schlaganfall ist er teilweise gelähmt. Er ist froh, dass eine deutsche Reporterin bis hierhergekommen ist, um sich die Geschichte anzuhören.

»Die Leute, die damals gelebt haben, gibt es nicht mehr. Heute sind wir die zweite, dritte Generation«, beginnt er seinen Bericht. »Früher wurde viel Rosenholz geerntet. Die Weißen kamen, die Flusshändler, Geschäftsleute, Holzfäller kamen in die Gegend, um Rosenholz zu kaufen.«

Auch für den schönen Hain unweit seiner Siedlung hätten sie sich interessiert. Antoníco, der damalige Chef der Region, habe mit den Weißen nicht zusammenarbeiten wollen. »Aber es gab hier diesen Sateré-Flusshändler Lúcio Menezes. Viele Leute arbeiteten für ihn.« Am Ende waren es dann doch die Weißen, die den Handel und die Produktion in die Gegend brachten – auch auf Betreiben der eigenen Leute, sagt Valdir Souza. »Also, sie kamen, nahmen das Holz und destillierten das Öl dort in Ponta Alegre, wo es eine Mühle gab.«

Die Form der Rosenholzausbeutung ist typisch für Amazonien. »Sie folgte den Strukturen des sogenannten Aviamento«, erklärt Wolfgang Kapfhammer. Bestimmte Flussabschnitte standen unter dem Monopol eines »Regatão«, eines Flusshändlers. Der versorgte die Indigenen mit industrieller Massenware und kaufte dafür Rohstoffe aus den Wäldern oder Pflanzungen auf. »Die Industrieprodukte wurden aber zu überhöhten Preisen verkauft, und die Indigenen verschuldeten sich immer mehr, bis sie ihre Waren praktisch umsonst abgeben mussten.« Gleichzeitig konnten sie ihre Felder nicht mehr bestellen, konnten sich nicht mehr selbst versorgen und gerieten so in den Teufelskreis der Schuldknechtschaft.

Aufstand gegen den Rosenholzraubbau

Valdir Souza berichtet, wie große Schneisen in den Wald geschlagen wurden, um die Baumstämme, die in rund ein Meter lange Abschnitte zersägt wurden, zu den Wasserläufen herunterzurollen.

Doch nicht nur der Wald litt. Die Weißen brachten auch Pocken, Masern und Keuchhusten mit, und durch die Abholzung stiegen die Malariafälle an. »Es war eine Invasion, es gab Partys, es gab dort alles: Handel und Frauen, die sich prostituierten«, erzählt Valdir.

Die Sateré verlangten vom Aufseher, diese Feste zu stoppen. Und als dieser nicht reagierte, zerstörten sie die gesamte Destillationsanlage. »Die Weißen wurden sehr wütend auf uns. Dann kamen die Wachen. Und ein Kriegsschiff der Armee kam«, erzählt Valdir. Die Sateré befürchteten ein Massaker. Doch weil Kinder anwesend waren, sei es nicht dazu gekommen. Von da an war jedoch Schluss mit der Rosenholzproduktion bei den Sateré.

Amazonien war schon immer ein Selbstbedienungsladen. Seit dem 16. Jahrhundert wurde die Region kontinuierlich geplündert: Eisen, Zinn, Aluminium, Nickel, Kupfer, Mangan, Niob, Gold, Erdgas, Erdöl, aber auch pflanzliche Rohstoffe wie Kautschuk. Und immer wieder: Hölzer.

Waldgarten-Initiator Obadias | Vor 30 Jahren exportierte der Unternehmer erstmals Guaraná im Fair-Trade-Handel.

Noch in den 1950er Jahren, erklärt der Chemieprofessor Lauro Barata, gab es mehrere Rosenöl-Produktionsstätten in Amazonien. »Jährlich wurden schätzungsweise 50 000 Kilo in Santarém und Manaus produziert und nach Frankreich exportiert.«

Die brasilianische Umweltschutzbehörde IBAMA versuchte mit verschiedenen Gesetzen, die Produktion zu steuern und die Unternehmen zur Wiederaufforstung von Rosenholz zu verpflichten. Doch die Maßnahmen griffen zu kurz.

1992 stufte die Behörde den Brasilianischen Rosenholzbaum (Aniba rosaeodora) als vom Aussterben gefährdet ein. Drei Jahre später drohten französische Umweltschützer der Firma Chanel mit einem Boykottaufruf. Nach einigem Hin und Her erzielte die Umweltorganisation Robin des Bois mit Chanel eine Einigung: Die Umweltschützer erkannten an, dass Chanel ein eher marginaler Nutzer von Rosenholz war, zugleich engagierte sich die Marke dafür, eine nachhaltige Lösung zu finden.

2010 wurde der Rosenholzhandel dann auch international mit strengen Auflagen verbunden. Lauro Barata war selbst Mitglied der Kommission, die den unkontrollierten Export von Rosenöl verbot.

Amazoniens gigantische Ausmaße und sein ungeheurer natürlicher Reichtum stehen in einem auffälligen Gegensatz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage seiner Einwohnerinnen und Einwohner. Obwohl die Wirtschaft des Bundesstaats stärker wächst als die jeder anderen Region in Brasilien, gehört er zu den ärmsten des Landes. Amazonien hat die niedrigste Schulbildung und ein Pro-Kopf-Einkommen, das deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegt.

Der Raubbau, die vordringenden Rinderweiden, Sojaanbau, illegaler Holzeinschlag und Bergbau haben das amazonische Ökosystem bereits deutlich geschädigt. Riesige Infrastrukturprojekte wie Staudämme und Schnellstraßen degradieren den Wald und bringen immer mehr Siedler und Rinder in zuvor noch relativ unberührte Gebiete. Ihnen folgt noch mehr Zerstörung auf dem Fuße.

Vision von »Amazônia 4.0«

Um dem entgegenzuwirken und gleichzeitig der wachsenden Bevölkerung Amazoniens ein Einkommen zu verschaffen, arbeiten brasilianische Umwelt- und Wirtschaftsfachleute an einer Vision, die sie »Amazônia 4.0« nennen. Das Zauberwort heißt: Bioökonomie. Neben dem Chemiker Lauro Barata ist auch der einflussreiche brasilianische Wissenschaftler Carlos Nobre daran beteiligt.

Eine Maßnahme besteht darin, eine Fläche fast so groß wie Frankreich wieder aufzuforsten – 50 Millionen Hektar geschädigter Wald. Dazu wurde ein eigener Fonds aufgelegt. An diesem Amazonienfonds beteiligt sich auch Deutschland mit 90 Millionen Euro.

Auf Wachstumskurs | Die vor 15 Jahren gepflanzten Rosenholzbäume haben bereits eine beträchtliche Größe erreicht. Das aus ihnen gewonnene ätherische Öl ist nachhaltig, weil die Sateré-Mawé ihre Bäume nicht fällen, sondern nur zurückschneiden.

Barata findet allerdings: »Wenn man schon aufforsten muss, dann am besten mit Nutzpflanzen. Dann weiß ich von jeder Pflanze, was sie bringt: zum Beispiel Pflanzenöl, ätherisches Öl, Nahrungsmittel oder Heilmittel.«

Neue Monokulturen wie beim Sojaanbau sollten dabei freilich nicht geschaffen werden. Was Barata vorschwebt, sind Agroforstsysteme, in denen Bäume unterschiedlicher Art mit Sträuchern und weiteren Pflanzen zusammenstehen. Aus ihnen kann man Nahrungs- und Heilmittel, Energie, chemische Grundstoffe oder andere Materialien gewinnen und gleichzeitig den Wald schützen, während die Gewinne zum großen Teil bei lokalen Produzenten landen. Das wäre eine Umsetzung jener Bioökonomie, die im Konzept von Amazônia 4.0 die tragende Rolle spielt und der Region zu einem nachhaltigen, umweltverträglichen Wirtschaftswachstum verhelfen soll.

Gerechter Handel lässt die Waldgärten erblühen

Ganz neu ist die Idee nicht, weiß Obadias García: Er hatte sie schon vor drei Jahrzehnten. Als Präsident des damals gegründeten Stammesrates suchte er nach Lösungen, wie er das Territorium, das vom brasilianischen Staat für die Sateré-Mawé ausgewiesen wurde, schützen und gleichzeitig jenen Familien eine Einkommensmöglichkeit eröffnen könne, die in abgelegenen Gebieten an den oberen Flussläufen lebten. Er wollte zertifizierte Produkte aus dem Wald verkaufen, zu gerechten Konditionen.

Doch Anfang der 1990er Jahre fand sein Konzept keine Unterstützung – weder bei den Indigenen-Organisationen noch beim brasilianischen Staat oder der Kirche. Sie meinten, ein »Indianer« könne kein Unternehmer sein. »Da tauchte plötzlich Mauricio Fraboni auf.« Der italienische Fair-Trade-Unternehmer suchte jemanden für den Export von Guaraná nach Europa. Das war 1993. Zwei Jahre später kam die französische Unternehmerin Claudie Ravel dazu, die sich in Brüssel für ein Nahrungsergänzungsmittelgesetz einsetzte. Noch im selben Jahr exportierte Obadias seine ersten 650 Kilogramm Guaraná nach Italien.

Mit Guaraná fing alles an

Passend, dass das Waldgartenprojekt ausgerechnet mit der heiligen Pflanze der Sateré-Mawé begann. »Guaraná ist unser Heiligtum, es ist das Prinzip der Weisheit.« Obadias' Augen leuchten, als er das sagt. »In ihr sind das ganze Wissen, unsere Mythologie und unsere Wissenschaft enthalten. Lange bevor die weißen Botaniker den Wert dieser Pflanze entdeckten, kannten wir ihn schon – und zwar so sehr, dass wir als ›Kinder der Guaraná-Pflanze‹ gelten.«

Mit der koffeinhaltigen Pflanze, deren Frucht wie ein Auge aussieht, haben Obadias und die Fair-Trade-Unternehmer Fraboni und Ravel das Projekt aufgezogen. Dann kamen Andirobabäume dazu, aus deren Samen man ein heilsames Öl gewinnt, dann die Bäume, aus deren Harz das antiseptische und entzündungshemmende Copaiba-Öl hergestellt wird, Cupuaçú (eine Kakaoart), Maniok, Zitrusfrüchte und die Açaí-Beere.

2020 gelang Obadias ein weiterer Streich: Das Guaraná der Sateré trägt nun eine geschützte Herkunftsbezeichnung – die erste indigene in Brasilien. Das Siegel zertifiziert gastronomische und landwirtschaftliche Produkte, deren Merkmale mit ihrer Produktionsregion verbunden sind. Es soll den Verbrauchern Herkunft und Qualität des Produkts garantieren. Damit konnten sich die Indigenen gegen den industrialisierten Anbau von Guaraná des größten Getränkeherstellers Lateinamerikas, Ambev, absetzen, der mit geklonten Pflanzen in Monokulturen arbeitet.

Wolfgang Kapfhammer | Der Ethnologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts »Planetary Healing« unter der Leitung von Eveline Dürr, Ethnologin an der LMU München.

»Das Besondere an den Waldgärten ist ihre Hybridform. Sie basieren einerseits auf den ökologischen Gegebenheiten im Regenwald und andererseits auf alten indigenen Anbaustrategien«, sagt Wolfgang Kapfhammer. »Gleichzeitig ist das Konzept sehr stark inspiriert durch den Permakulturgedanken.« Darunter versteht man ein in den 1970er-Jahren entwickeltes Prinzip des ökologischen Landbaus, das auf Kreislaufprozesse setzt und Systeme zu schaffen versucht, in denen alle Bestandteile ineinandergreifen und sich wechselseitig fördern und unterstützen, sei es als Düngung, als Rankhilfen oder auch nur durch Beschattung.

Indigene Anbauweisen und westliche Permakultur

Im Portugiesischen spricht man von der »floresta análoga«, vom Wald, der in Analogie zum natürlichen Wald geschaffen wird und sich dessen komplexes Ökosystem als Vorbild nimmt. »In den Waldgärten soll die Biodiversität des eigentlichen Waldes nachempfunden werden«, sagt Kapfhammer. »Die Pflanzen werden in relativ wenigen Exemplaren so angepflanzt, dass die ökologische Diversität des Waldes strukturell erhalten bleibt.« Und: Die Grenze zum natürlichen Wald bleibt offen und durchlässig.

Ende der 1990er-Jahre wandte sich Chanel an Lauro Barata, um eine Lösung für den sich abzeichnenden Mangel an natürlichem Rosenöl zu finden. Zwar konnte die Parfümindustrie auch damals schon den Hauptbestandteil Linalool künstlich herstellen, die Ergebnisse waren allerdings nicht so zufriedenstellend wie mit dem natürlichen Öl des Rosenholzes. Barata sprach mit Staatsanwälten, Unternehmern und Produzenten und führte statistische Erhebungen durch. Dann hatte er eine Idee.

»Ich habe festgestellt, dass auch die Blätter und Zweige duftende Substanzen enthalten. In meinem Bericht an Chanel habe ich also dargelegt, dass es möglich ist, ein Öl herzustellen, das dem ätherischen Öl des Holzes ähnlich ist, ohne dass der Baum gefällt werden muss.« Das war im Jahr 2000.

Barata empfahl, die Bäume zu beschneiden, und das begehrte Öl aus den Blättern und Zweigen zu destillieren. Das bewirkte einen großen Umbruch.

Zum einen war mit der zunehmenden Verknappung der Ressource die Ölproduktion bis zur Jahrtausendwende von 46 Tonnen auf nur noch zwei pro Jahr gesunken. Zum anderen war der Verkaufspreis von einst 40 US-Dollar pro Kilogramm auf das Achtfache gestiegen.

An dieser Stelle befindet sich eine Bildergalerie, die gedruckt leider nicht dargestellt werden kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Nachhaltige Nutzung von Rosenholz ist möglich

Diese Wertsteigerung hat das Interesse der Sateré am Anbau der Baumart geweckt. Nur sollte es diesmal nach ihren Konditionen laufen. Seit 2010 pflanzen sie die Rosenholzbäume in ihren Waldgärten an. Nach gut 15 Jahren haben die ersten bereits eine beträchtliche Höhe erreicht.

Leonson Batista, der Präsident der Produzentenvereinigung, steht vor einem dieser Gewächse. Seine Hand fährt fast liebevoll über die weißliche Rinde von Baum Nummer 54. Ungefähr 200 Rosenholzbäume besitzt er selbst. Einige davon treiben schon kleine orange-gelbe Blüten. Die schlanken Bäume werden bis zu 35 Meter hoch und erreichen einen Durchmesser von 70 bis 100 Zentimetern. Sie zu beschneiden, wird nicht einfach werden.

Jeder Baum hat eine Marke mit Geolokalisierung, die Lage und Herkunft genau verzeichnet. So kann die Lieferkette exakt nachverfolgt werden. Leonson freut sich schon auf die Einnahmen. Jetzt würde nur noch die eigene Destillationsmühle fehlen, findet er.

»Dieses Jahr werde ich auch Bienenkästen im Garten aufstellen«, sagt Leonson. »Ich habe 50 Kästen, um den Hain auch bestäuben zu können, die Açaí-Beeren und die anderen Pflanzen dort drüben.«

Die biologische Vielfalt der Gärten ist wichtig. Auch Tiere gehören dazu. Von den Samen des Andirobabaums zum Beispiel lassen die Sateré etwa ein Drittel für die Nagetiere und größeren Vögel übrig. »Damit schaffen wir auch einen Anreiz, dass die Tiere kommen«, fügt Leonson hinzu. »Wenn wir pflanzen, denken wir, es ist nur für uns, aber es gehört auch den Tieren und Vögeln, die davon essen.« Papageien und andere Vögel würden wegen des Futters auftauchen und dann die Samen verteilen. »Dadurch fängt hier alles an zu sprießen. Das ist doch gut für uns, oder?«

Doch für die Sateré sind es nicht nur die Einkünfte aus dem Fair-Trade-Handel, die das Projekt erfolgreich machen. Während anderswo in Brasilien die Dorfgemeinschaften zerfallen, wird hier das Miteinander gefestigt. Und nicht zuletzt sichern sie die Ernährung für die Bewohnerinnen und Bewohner. Das ist ein weiteres Charakteristikum der Waldgärten. »Von ungefähr zwei Dutzend verschiedenen Pflanzen, die in einem Waldgarten angebaut werden, gerät nur etwa ein Viertel in den internationalen Handel«, sagt Kapfhammer. »Das meiste dient der Ernährungssicherheit der jeweiligen Community.«

Das »Gute Leben« ist harte Arbeit

Das ist auch Thema bei der Dorfversammlung in Nova União, wo heute 13 Produzenten zusammengetroffen sind. Jeder Bauer gibt an, was er für die Gemeinschaft anpflanzen wird. Präsident Leonson notiert alles auf einem Whiteboard.

»Pflanzt, hegt, produziert!«, feuert Obadias die anwesenden Bauern an. »Ihr müsst euch nicht mit dem Verkauf herumschlagen. Ihr braucht kein Zertifikat, keine Rechnung. Es ist für alles gesorgt. Das Konsortium der Produzenten gehört euch. Wir sind nur da, um es zu verwalten.«

Die Feldarbeit ist schwere Arbeit. Von 1700 Sateré-Familien nehmen nur 370 als Waldgartenproduzenten teil. Die meisten anderen leben entweder von Sozialhilfe oder verkaufen ihre Produkte auf dem Schwarzmarkt. Ohne Zertifikate bringen sie freilich nur die Hälfte ein.

»Es ist wichtig, gut zu leben. Zu essen zu haben. Es hat keinen Sinn, reich zu sein. Wo willst du es denn ausgeben? Es ist sinnlos, reich zu sein. Es ist wichtig, zu essen zu haben. Zusammen zu sein!«, ermutigt Obadias die Anwesenden.

Damit spielt er auf genau das an, was in Südamerika mit dem Schlagwort »Buen Vivir« verbunden wird: Das Ideal des »Guten Lebens« basiert auf einer tiefen Verbundenheit mit der Natur, die als lebendiges Gegenüber wahrgenommen wird. Es zeichnet sich durch kollektive Verantwortung und ein Leben im Gleichgewicht aus. Gemeinschaft und Vielfalt gelten als zentrale Werte – Konsumorientierung und Wachstumsideologien haben keinen Platz darin.

Auch der indigene Biologe und Lehrer Tyson Sateré ist zur Versammlung gekommen. Er erinnert an die extreme Dürre von 2023. Als der Regen ausblieb und die Flüsse austrockneten, waren viele indigene und lokale Gemeinden komplett von der Umwelt abgeschnitten. Die Boote liefen einfach auf Grund. Daher konnten sie sich nicht mehr mit tiefgefrorenem Hühnchen und anderen Lebensmitteln aus der Stadt versorgen. Viele Menschen hungerten, weil sie nichts angepflanzt hatten.

Tyson Sateré hat gerade ein Buch über Pilze und deren Gebrauch bei den Sateré veröffentlicht. Die Leute hier wüssten viel, meint Tyson. Dass sie durch die Anbaupraxis der Waldgärten auch ihr traditionelles Wissen pflegen, ist ihm wichtig. Wie die Expertengruppe hinter Amazônia 4.0 sieht auch er in den Waldgärten großes Potenzial. Das Rosenholz verspreche eine gute Einnahmequelle zu werden.

So stärken die Waldgärten die Unabhängigkeit der Familien, schaffen Einkommen und tragen zur kulturellen Selbstvergewisserung bei. Wissen über Anbauweisen, Heilkräuter und Pflanzen wird gepflegt und weitergegeben. »Die Kinder bekommen wieder mit, dass es nicht nur Salzkekse gibt, sondern auch die köstlichsten Früchte aus den eigenen Wäldern und Gärten«, sagt Kapfhammer.

Der Ethnologe sieht in der verbindenden Kraft des Projekts den wichtigsten Effekt der Waldgärten. »Anstatt sich in die Stadt zu orientieren, haben die Sateré angefangen, die Waldumgebung neu wertzuschätzen. Das wiederum schafft Resilienz und vor allen Dingen das Selbstvertrauen, das eigene Territorium nach außen argumentativ zu rechtfertigen.«

So wächst in den Waldgärten der Sateré-Mawé vielleicht auch das zarte Pflänzchen der Bioökonomie heran – lokal verankert, sozial wirksam und ökologisch tragfähig. Die Gärten könnten Schule machen, weit über das Gebiet am oberen Rio Andirá hinaus.

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