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News: In die Zange genommen

Ob tonnenschwere Stahlträger zusammengefügt oder winzige Proteine in einem Organismus tätig werden - für jede Arbeit braucht man das richtige Werkzeug. So macht denn auch das Immunsystem keine Ausnahme. Wissenschaftler entdeckten nun, dass bestimmte Antikörper mit zangenartigen Strukturen Rezeptoren an weißen Blutkörperchen umklammern, damit letztendlich die von den Antikörpern erkannten Erreger von den Fresszellen unschädlich gemacht werden können.
Die wichtigste Waffe zur Abwehr von Krankheiten im menschlichen Organismus sind Y-förmige Antikörper, die so genannten Immunglobuline (Ig). Das Blut eines Menschen enthält viele Trillionen dieser Gesundheits-Polizisten, die mehr als eine Billion verschiedener Spezifitäten besitzen. Bei allen Säugetieren unterteilen sich Antikörper in fünf verschiedene Typen: IgM, IgG, IgA, IgD und IgE. Jede Klasse ist auf charakteristische Weise aufgebaut und übernimmt daher ganz bestimmte Abwehrfunktionen. Zum Beispiel kann IgA durch die oberste Hautschicht transportiert werden und findet sich in Speichel, Schweiß und Tränen. Das Immunglobulin IgG ist – mit einem Anteil von über 80 Prozent – der häufigste Antikörpertyp. Er durchquert problemlos Blutgefäßwände, überschreitet beispielsweise die Placentaschranke und überträgt dadurch eine passive Immunität von der Mutter auf den Embryo. IgG schützt vor Bakterien, Viren und Toxinen in der Lymphbahn und im Blut. Dabei wird der Erreger auf seiner Oberfläche durch Antikörper, die dort mit den beiden "Armen" ihrer Y-förmigen Struktur bestimmte Strukturen erkennen, markiert. Diese Arme heißen Fab-Fragmente – von Fragment antigen bindend. Über Fc-Rezeptoren – Fragment kristallin –, die jeweils eine ganz spezifische Region des Antikörpers im Bereich des "Stammes" seiner Y-förmigen Struktur erkennen, binden dann Lymphozyten an diese Antikörper. Erst jetzt kann der Erreger tatsächlich beseitigt werden, indem ihn "Fresszellen", so genannte Makrophagen, aufnehmen und unschädlich machen.

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Biochemie in Martinsried fanden nun heraus, dass sich Antikörper und Rezeptor ungefähr so verbinden, wie eine Zange einen Nagel umschließt (Nature vom 20. Juli 2000). Konkret öffnet sich der hufeisenförmige Fc-Teil des Antikörpers etwas und greift den Rezeptor wie zwischen zwei "Backen". Beide Proteine, Rezeptor und Antikörper, erkennen sich dabei nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip": Der Rezeptor verbindet sich nur mit Antikörpern der IgG-Klasse, und beispielsweise nicht mit solchen der IgE-Klasse.

Um die Röntgenstruktur dieses Proteinkomplexes zu bestimmen, hatten Robert Huber und seine Mitarbeiter eine Reihe von Hürden zu überwinden. Die Forscher setzen dazu einen Kunstgriff ein: Sie kristallisierten keinen gesamten Antikörper, sondern lediglich sein ziemlich starres Fc-Fragment, von dem schon biochemische Untersuchungen gezeigt hatten, dass es allein für eine Bindung des Fc-Rezeptors ausreichend ist. Analog dazu wurde auf der anderen Seite der Fc-Rezeptor durch gentechnische Methoden so verändert, dass ihm sein flexibler Teil fehlte, mit dem sich das Molekül normalerweise in der Membranen immunologisch aktiver Zellen verankert. Da alle Antikörper des Immunglobulins IgG und des Allergie auslösenden IgE sowohl ähnliche Sequenzen als auch entsprechende Fc-Rezeptoren besitzen, schließen die Wissenschaftler, dass auch in diesen Fällen die Antikörper-Rezeptor-Komplexe dem jetzt beschriebenen sehr ähnlich sind.

Mit diesem Wissen ist es nun möglich, auf der Röntgenstruktur aufbauend, maßgeschneiderte Medikamente zu entwickeln, die eine Wechselwirkung zwischen dem Antikörper und dem Fc-Rezeptor der Immunzelle blockieren und damit in der Lage sind, das Immunsystem "herunter" zu regulieren. "Im Fall einer Infektion ist dies natürlich nicht wünschenswert, aber in Fällen, wo das Immunsystem vom richtigen Weg abkommt. Also bei Allergien, wo auf im Prinzip harmlose Substanzen eine heftige, in manchen Fällen sogar lebensbedrohliche Immunreaktion erfolgt, nach Transplantationen, wo das Immunsystem sich gegen das neue Organ wehrt, oder bei Autoimmunerkrankungen, wo das Immunsystem körpereigene Stoffe angreift", erklärt Peter Sondermann, der ebenfalls am Projekt mitwirkte. Forscher sind davon überzeugt, dass ihre Entdeckung es in Zukunft ermöglichen wird, für ein derart aus dem Ruder gelaufenes Immunsystem spezifischere Therapien zu entwickeln.

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