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Covid-19: »In Quarantäne bewerten wir Freundschaften als besser und wichtiger«

Isolation ist eine Ausnahmesituation. Was hilft, um klarzukommen, erklärt der Psychologe Winfried Rief im Interview. Besonders wichtig: »die Frage der Sinnhaftigkeit«.
Auch Personen, die eine Isolation verordnet bekommen haben, können gut damit klarkommen.

Kein Kontakt, kaum Besuch, wenig Abwechslung: Um zu verhindern, dass sich das neue Coronavirus weiter verbreitet, werden Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Nachweislich Infizierte und Personen, die sich angesteckt haben könnten, kommen für mindestens zwei Wochen in Quarantäne. Derlei Abschottung vom Rest der Welt empfinden Betroffene oft als belastend. Sie kann sogar lang anhaltende Auswirkungen auf die Psyche haben, wie eine aktuelle Studie in der medizinischen Fachzeitschrift »The Lancet« zeigt.

Im Interview erklärt der Psychologe Winfried Rief, weshalb Quarantäne Menschen unterschiedlich belastet und wie man am besten mit solch einer Ausnahmesituation klarkommt.

»Spektrum.de«: Was bedeutet es für einen Menschen, in Quarantäne zu müssen?

Winfried Rief: Für die meisten Menschen heißt es zunächst einmal, ihre ganze Lebensführung umzustellen. Alles Weitere ist letztlich ein sehr individueller Prozess, mit dem einige Menschen sehr gut zurechtkommen können, andere wiederum schlecht oder gar nicht zurechtkommen.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unseren FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«.

Wovon hängt das ab?

Ganz stark von der subjektiven Bewertung. Fühle ich mich zu Unrecht isoliert, oder erkenne ich einen Sinn darin? Die Frage der Sinnhaftigkeit ist an der Stelle ganz wichtig für das Empfinden. Wenn es sich mir erschließt, kann ich mich leichter damit abfinden – es gibt dann schließlich einen guten Grund.

Es ist durchaus sinnvoll, Menschen zu isolieren, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben (siehe »Plötzlich Quarantäne«). Nicht nur bekommen Betroffene die medizinische Hilfe, die sie brauchen. Auch ist die Infektionskette unterbrochen, der Erreger kann sich nicht verbreiten. Nun bleiben einige Menschen aus Angst sich anzustecken vorsorglich zu Hause. Untersuchungen deuten darauf hin, dass freiwillige Quarantäne im Vergleich zur verordneten als erträglicher gilt. Nachvollziehbar, oder?

Winfried Rief | Der Psychologe ist seit dem Jahr 2000 Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Philipps-Universität Marburg.

Absolut. Eine Person, die so etwas freiwillig macht, stellt sich dieser Sondersituation aus eigener Motivation. Das ist hilfreich. Aber auch Personen, die eine Isolation verordnet bekommen haben, können gut damit klarkommen. Nehmen wir als extreme Beispiele etwa den Psychiater Viktor Frankl, der im Konzentrationslager eingeschlossen war und Tagebuch darüber geschrieben hat, wie er mit dieser Situation zurechtgekommen ist. Oder Nelson Mandela, der im Gefängnis in Südafrika saß und Briefe verfasst hat. Das sind zwei Beispiele von Menschen, die in einer extrem widrigen Situation waren, die ihnen aufgezwungen wurde, aber die für sich einen Weg gefunden haben, damit umzugehen.

Plötzlich Quarantäne

Wer darf solch eine Zwangsmaßnahme verordnen?

In Deutschland ist der Infektionsschutz größtenteils Sache der Bundesländer. Das jeweils zuständige Gesundheitsamt beurteilt die Lage und kann gegebenenfalls Quarantäne verordnen.

Ist die Anordnung der häuslichen Quarantäne verpflichtend?

Die Quarantäne darf auch gegen den Willen der Betroffenen verordnet werden, wenn ein begründeter Ansteckungsverdacht besteht. In dem Fall hat der Schutz der Allgemeinheit Priorität gegenüber der persönlichen Freiheit. Wer sich trotz Ansteckungsgefahr weigert, sich zu Hause selbst zu isolieren, kann in eine bewachte Quarantänestation eingewiesen werden. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen »§ 74 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) kann mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft werden.

Wie lange dauert die häusliche Quarantäne an?

Die Dauer orientiert sich an der maximalen Inkubationszeit der vermuteten Krankheit. Beim Coronavirus beträgt sie rund 14 Tage.

Wie sollte man sich auf eine Quarantäne zu Hause vorbereiten?

Es gibt eine Checkliste für Notfallvorsorge vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt das Anlegen von Vorräten, weist aber darauf hin, dass diese Empfehlungen »unabhängig vom Coronavirus« gelten.

Wer versorgt mich in der Zeit?

Während der Quarantäne ist es wichtig, engen Körperkontakt zu vermeiden. Familie, Freunde oder Nachbarn können Betroffene dennoch unterstützen, indem sie etwa Lebensmittel vor die Tür stellen.

Wer dringend Medikamente benötigt, hat die Möglichkeit, diese über Online-Apotheken zu bestellen. Die Bestellung wird direkt an die nächstgelegene Apotheke weitergeleitet. Innerhalb von einigen Stunden wird das Medikament nach Hause geliefert. Rezepte für Medikamente können ebenfalls online in Auftrag gegeben werden.

Sie sagen selbst: Das sind extreme Beispiele. Lassen Sie uns mehr auf den Alltag blicken. Viele, die wegen einer Erkältung oder Grippe mal länger daheim waren, wissen: Irgendwann wird's langweilig. Erst recht, wenn die Symptome schon sehr mild sind. Bei vielen Coronavirus-Infizierten ist ja genau das der Fall. Was raten Sie Betroffenen, um die Zeit erträglicher zu gestalten?

In der Psychologie nennt man das Konzept »benefit finding«. Wir wissen, dass neben der Belastung auch positive neue Aspekte in der Nachfolgezeit erkannt werden können: In Quarantäne bewertet man Freundschaften als besser und wichtiger, die positiven Momente des Alltags werden bewusst wahrgenommen. Wenn es gelingt, trotz der negativen Seiten und der Belastungen auch solche positiven Veränderungen zu erkennen, dann sind die Chancen einer Bewältigung gut. Eine positive Veränderung kann zum Beispiel auch der intensivere Kontakt unter den Familienangehörigen sein. Soziale Beziehungen spielen in einer solchen Situation eine überaus wichtige Rolle. Man sollte die Zeit nutzen, um Kontakte zu pflegen oder wieder aufzunehmen. Über elektronische Medien kann man heute jederzeit mit jedem Menschen kommunizieren. So lassen sich die sozialen Bezüge auch in der Isolation gut aufrechterhalten. Man sollte außerdem Dinge tun, die man schon lange tun wollte, zu denen man sonst aber nicht oder zu wenig gekommen ist. Zum Beispiel schöne Musik oder einen Bildband mal wieder bewusst wahrnehmen. Oder man beschäftigt sich mit einem Hobby, das man lange vor sich hergeschoben hat. Es ist wichtig, der Zeit einen neuen Sinn zu geben.

In der chinesischen Stadt Wuhan, wo das Sars-CoV-2 wohl erstmals auf den Menschen übersprang, sind Online-Videospiele nun besonders gefragt – kann die Flucht in die virtuelle Welt bei der Bewältigung helfen?

Solange es richtig Freude macht, kann es in so einer schwierigen Situation Stabilität geben. Für manche sind Onlinespiele ja durchaus ein Hobby, und in manchen erlauben Chats den Austausch mit anderen Spielern. Wenn es aber nur darum geht, Zeit totzuschlagen, dann steigt mitunter das Gefühl der Sinnlosigkeit. Stundenlang zu spielen, macht die Isolationssituation wohl nur kurzfristig besser, langfristig eher schlechter.

Manche Menschen haben grundsätzlich eine positivere Lebensstellung als andere. Haben die in einer solchen Situation einen Vorteil?

Sie haben definitiv einen Vorteil in der Bewältigung von großen Belastungen, also von Isolation, aber auch von Traumatisierungen oder schweren, bedrohlichen Krankheiten. In der Psychologie sprechen wir von kohärenten Menschen. Das sind Menschen, die ein gewisses Verständnis von der Sinnhaftigkeit des Lebens haben.

»Meinungen und Ängste verhalten sich ähnlich wie ein Virus: Sie springen von Mensch zu Mensch«
Winfried Rief, Psychologe

Die häusliche Quarantäne ist nur eine Form der Isolation. Daneben gibt es auch geschlossene Quarantänezonen. Im südpfälzischen Germersheim verbrachten 122 deutsche China-Rückkehrer die Zeit zusammen in einer Kaserne. In der Nähe von Tokio wurde das Kreuzfahrtschiff »Diamond Princess« komplett abgeriegelt, nachdem bei einem Passagier der Erreger nachgewiesen wurde. An Bord befanden sich 3700 Passagiere. Macht es einen Unterschied für das Gemüt, wenn man Raum und Alltag mit anderen, potenziell infizierten Menschen teilt?

Das kann durchaus gut laufen im Sinne von: Wir sind eine Gruppe. Wir stehen das zusammen durch, und in zwei Wochen ist alles vorbei. Oder aber einer steckt die anderen an, und die Situation spitzt sich zu. Meinungen und Ängste verhalten sich ähnlich wie ein Virus: Sie springen von Mensch zu Mensch. Diesen Effekt der sozialen Ansteckung kennen wir auch bei körperlichen Beschwerden und aus sozialen Eskalationssituationen. Auf dem Kreuzfahrtschiff hat sich die Situation aufgestaut und ist auch ein Stück weit eskaliert. Das Ausmaß an Unberechenbarkeit ist für die Beteiligten immer größer geworden. Sie wussten nicht, was der langfristige Plan ist. Dadurch wurde die ohnehin schon schwierige Situation, ein Stück weit gefangen zu sein, potenziert, ähnlich wie bei einem Menschen, der Platzangst hat.

Wie wichtig ist eine psychologische Betreuung während der Zeit?

Eine psychologische Betreuung ist in jedem Fall wichtig. Es sollte jemand mit den Betroffenen im Gespräch sein und beobachten: Wer kommt gut damit zurecht? Bei wem ist vielleicht die psychologische Verarbeitung der Situation ungünstig? Wichtig ist auch, über allgemeine Informationen wie die Vorgehensweise in einer solch speziellen Situation aufzuklären. Alle Maßnahmen müssen dazu dienen, das Gefühl der Kontrollierbarkeit bei den Personen zu erhöhen. Je höher das Gefühl der Unkontrollierbarkeit ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass traumatische Erfahrungen sich einprägen oder die Menschen mit der Situation schlecht zurechtkommen.

Was raten Sie Menschen, die sich vor Isolation und Quarantäne fürchten?

Es ist hilfreich, sich hierzu Situationen zu vergegenwärtigen, die vielleicht nicht so extrem, aber ähnlich waren und in denen man solche Belastungen bewältigt hat. Wie kam ich schon mal damit zurecht, als ich auf mich allein gestellt war? Wir Menschen haben ein unglaubliches Maß an Ressourcen, doch zu oft sind wir uns dessen nicht bewusst. Deshalb gilt es, sich an die eigenen Ressourcen zu erinnern und auf sie zu bauen.

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