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Indische Raumfahrt: Miniraumfähre HEX fliegt für Indien

Erstmals erprobte Indien am 23. Mai 2016 einen frühen Prototyp einer künftigen bemannten Raumfähre auf einer kurzen Testmission über dem Golf von Bengalen. Dies war nur ein sehr einfacher Flugversuch, dem noch viele weitere folgen werden.
Das RLV-TD bei der Startvorbereitung im Reinraum

Die indische Raumfahrtagentur ISRO brachte am 23. Mai 2016 einen Technologie-Demonstrator für ein zukünftiges wiederverwendbares Raumfahrzeug erfolgreich auf eine suborbitale Flugbahn. Die Mission des als RLV-TD bezeichneten Vehikels begann um 7 Uhr indischer Standardzeit am Satish-Dhawan-Raumfahrtzentrum auf der ostindischen Insel Shriharikota und endete 770 Sekunden später im Golf von Bengalen. Der indische Premierminister Narendra Modi pries das Vehikel als "Indiens ersten eigenständigen Spaceshuttle". Das RLV-TD erinnert an eine Kreuzung aus den US-Raumfähren X-34 und X-37B. Es ist eine maßstäblich verkleinerte Version der zukünftigen zweistufigen Raumfähre und bildet die endgültige Flugversion etwa im Maßstab 1 : 5 ab.

Start der Testraumfähre RLV-TD am 23. Mai 2016 | Am frühen Morgen des 23. Mai 2016 hob vom Satish-Dhawan-Raumfahrtzentrum auf der ostindischen Insel Shriharikota eine Feststoffrakete mit dem Technologiedemonstrator RLV-TD zu einem rund 13-minütigen Testflug ab. Das RLV-TD ist ein ganz früher Prototyp für eine künftige bemannte Raumfähre Indiens.

Für den Start des etwa 6,5 Meter langen und 1,75 Tonnen schweren Testkörpers wurde eine 9 Tonnen schwere Feststoffrakete des Typs HS9 eingesetzt. Dieser Booster brachte das Gefährt während einer 91 Sekunden dauernden Antriebsphase auf eine Höhe von 56 Kilometern und beschleunigte es auf eine Geschwindigkeit von etwa Mach 6. Dann trennte sich der Treibsatz vom Fluggerät, das daraufhin seine eigene, nur wenige Minuten lange Mission begann. Der RLV-TD – die Abkürzung steht für Reusable Launch Vehicle – Technology Demonstrator, auf Deutsch etwa Technologiedemonstrator für ein wiederverwendbares Raumfahrzeug – stieg zunächst antriebslos auf seiner Bahnparabel weiter. Schließlich erreichte es den Scheitelpunkt seiner Bahn in einer Höhe von 65 Kilometern, worauf der Abstieg in die dichteren Schichten der Atmosphäre begann.

In dieser Phase führte der RLV-TD eine Reihe von Lageänderungen durch, ähnlich den so genannten "Roll-Reversals", die der US-Spaceshuttle bei seinen Abstiegen aus dem Orbit in die Erdatmosphäre unternahm. Sie dienten dazu, Geschwindigkeit abzubauen und Richtungsänderungen vorzunehmen. Neben diesen Manövern, die vor allem das Lageregelungssystem testeten, war auch die Erprobung des Hitzeschilds ein wichtiger Testpunkt. In der Endphase der kurzen Mission wurden die allgemeinen aerodynamischen Eigenschaften des Vehikels untersucht. Dabei glitt der RLV-TD auf einer "virtuellen Landebahn" – so bezeichnet es die ISRO – dem imaginären Aufsetzpunkt im Golf von Bengalen entgegen, etwa 450 Kilometer vom Startort entfern. Der RLV-TD war nicht dafür ausgelegt, geborgen und wiederverwendet werden. Alle seine Messdaten wurden per Funk an das Bodenzentrum übermittelt, bevor er auf Nimmerwiedersehen im Meer niederging.

Die indischen Projektingenieure gaben der Mission die Bezeichnung HEX. Sie ist die erste Flugerprobung im Rahmen eines vierstufigen Versuchsprogramms, mit denen die ISRO in den kommenden Jahren die Flugcharakteristika ihres Minishuttles erproben will. Die vier Testphasen tragen die Bezeichnungen HEX (für: Hypersonic Flight Experiment), LEX (für: Landing Experiment), REX (für: Return Flight Experiment) und SPEX (für: Scramjet Propulsion Experiment). Bei der LEX-Testreihe wird ein RLV-TD von einem Hubschrauber aus abgeworfen und fliegt danach autonom auf eine Landebahn zu und landet dort. Bei REX werden die Testmissionen eins und zwei kombiniert, und bei SPEX wird ein Scramjet-Triebwerk dazu eingesetzt, das Testgefährt auf Hyperschallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Danach soll es wieder zum Startort zurückkehren und dort auf einer Landebahn aufsetzen.

Narendra Modis überschwängliche Gratulation nach dem erfolgreichen Test wurde von westlichen Raumfahrtexperten mit milder Belustigung aufgenommen. Das lag unter anderem daran, dass der Premierminister damit auf den Hype der indischen Medien reagierte. Diese hatten sich im Vorfeld der Mission mit Superlativen bezüglich der Leistung und des Aufgabenspektrums des Fahrzeugs und seiner Vorteile vor anderen wiederverwendbaren Raumtransportsystemen wie dem Shuttle schier überschlagen. Die Medien hatten ihren Kunden den Eindruck vermittelt, hier sei ein extrem fortschrittliches Raumfahrzeug, mit dem Indien weit vor der internationalen Konkurrenz läge, unmittelbar vor der Serienreife. Nichts könnte jedoch unwahrer sein.

Der indischen Raumfahrtagentur selbst war das sichtlich peinlich, so dass sie wiederholt darauf hinwies, dieses Vehikel sei ein einfacher und sehr früher Technologiedemonstrator. Tatsächlich erfüllte die Mission HEX noch nicht einmal die moderaten Kriterien eines suborbitalen Raumflugs und dürfte einige Jahrzehnte hinter dem aktuellen Stand der Technik liegen. Selbst das in der Raumfahrt eher zurückhaltende Europa demonstrierte im vergangenen Jahr mit dem Intermediate Experimental Vehicle die Fähigkeit, ein aerodynamisch gestaltetes Raumfahrzeug zielgenau aus dem Orbit zu landen und nach dem Flug unbeschadet zu bergen. Indien hat noch einen sehr langen Weg zurückzulegen. Somit ist es nicht zu erwarten, dass das Land vor dem Jahr 2030 in der Lage sein wird, aus der gegenwärtigen Versuchsreihe ein einsatzbereites Raumfahrzeug abzuleiten.

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