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Neurologie: Informationsübermittlung ganz nebenbei

Neurone sprechen nur über ihre knopfartigen Enden, die Synapsen, miteinander - glaubte man bisher. Doch es geht auch anders.
Synapse
Selbstvergessen pickt ein Huhn unter einem Baum nach Körnern. Plötzlich weht ein leichtes Lüftchen die Schatten spendenden Blätter beiseite – ein Sonnenstrahl fällt auf die Augen des Vogels. Blitzschnell treten die Nerven in Aktion und melden ans Hirn: "Hier blendet etwas! Bitte sofort die notwendigen Maßnahmen ergreifen!" Prompt kommt die Reaktion: Der entsprechende Befehl rast über die Nervenbahnen zurück zum Auge, und schon verengt sich die Pupille – der blendende Lichteinfall wird reduziert.

Solche äußerst praktischen Reflexe, aber auch jede noch so einfache Bewegung, funktionieren nur dann, wenn die Nerven untereinander oder mit den Muskeln reibungslos kommunizieren. Dafür verfügen sie über spezielle Verbindungen, die Synapsen. Dort verdicken sich die Nervenendigungen leicht und treten mit anderen Zellen in Kontakt.

Zum Informationstransfer setzen nach der herkömmlichen Ansicht in der Synapse kleine Bläschen in der präsynaptischen Membran des sendenden Neurons, die synaptischen Vesikel, einen Botenstoff frei, den Neurotransmitter. Dieser diffundiert durch den synaptischen Spalt, der beide Zellen voneinander trennt, bindet an spezielle Rezeptoren in der postsynaptischen Membran der empfangenden Zelle und löst so die Erregung aus. Soweit die Lehrmeinung.

Nicht so recht zu dieser Ansicht wollen neuere Beobachtungen passen. So wurden auf elektonenmikroskopischen Aufnahmen Vesikel mit Neurtransmitter gefunden, die nicht im synaptischen Spalt liegen, sondern daneben. Sollte womöglich ein Informationsaustausch außerhalb der Synapse stattfinden? Dafür sprechen auch quantitative Messungen von der Freisetzung von Neurotransmitter, die vermuten lassen, dass die Nerven nicht nur direkt an den Synapsen miteinander kommunizieren. Ein Beweis für eine solche als "ektopisch" bezeichnete Freisetzung von Neurotransmitter steht bisher aber aus.

Dem Problem der ektopischen Freisetzung rückte nun Jay Coggan vom Salk-Institut in La Jolla mit einem interdisziplinären Team unter der Leitung von Terrence Sejnowski mit Hilfe einer Computersimulation zuleibe. Die Wissenschaftler arbeiteten mit elektronentomografischen Daten aus dem Ciliarganglion des Huhns. Hier werden Informationen aus Hirnnerven auf Neurone umgeschaltet, die ihrerseits die Form der Augenlinsen und die Größe der Pupillenöffnung steuern. Am Ciliarganglion untersuchen Forscher gerne synaptische Prozesse, da es verhältnismäßig einfach aufgebaut und leicht zugänglich ist. Zudem können Nervenimpulse sowohl von der präsynaptischen als auch von der postsynaptischen Membran oder von beiden abgeleitet werden.

In den postsynaptischen Membranen des Ciliarganglions liegen zwei verschiedene Rezeptoren für den Neurotransmitter Acetylcholin (nAChR): Die Alpha3*-nAChRs befinden sich vorwiegend in der postsynaptischen Membran, wohingegen die Alpha7-nAChRs dort kaum vorkommen, sondern eher daneben zu finden sind. Dennoch sind nach physiologischen Messungen ausgerechnet die außerhalb des synaptischen Spalts liegenden Alpha7-nAChRs für die Erregung der weiterleitenden Zelle verantwortlich. Daher vermuteten Coggan und sein Team, dass in diesem Fall die Information nicht über den synaptischen Spalt vermittelt wird, sondern daneben: eben über eine ektopische Freisetzung von Neurotransmitter.

Synapse | Computersimulation einer Synapse: Die synaptischen Vesikel (gelbe Kreise) enthalten den Neurotransmitter Acetylcholin. Das freigesetzte Acetylcholin (grüne Ovale) wandert durch den synaptischen Spalt zur postsynaptischen Membran (hellblau). Dort bindet es an zwei verschiedene Rezeptoren (blaue Pyramiden und rote Polyeder). Hier sind drei einzelne Vesikelfreisetzungen zu verschiedenen Zeitpunkten dargestellt.
Nun modellierten die Forscher anhand der vorliegenden elektronentomografischen Daten die Struktur einer Synapse, verteilten die beiden Rezeptortypen entsprechend der physiologischen Vorlage und fütterten den Computer mit Angaben über die freigesetzte Neurotransmittermenge sowie dessen Bindungskonstante und Wiederabbaurate. Dann ließen sie ihre virtuellen Vesikel mit der Membran fusionieren und deren Inhalt freigeben. Anschließend beobachteten sie die Erregung an der postsynaptischen Membran.

Das Ergebnis war eindeutig: Die Beobachtungen aus physiologischen Experimenten an lebenden Zellen ließen sich nur dann reproduzieren, wenn sehr viele ektopische Vesikel freigesetzt wurden.

Demnach findet im Ciliarganglion des Huhns ein Großteil der Kommunikation zwischen den Neuronen – wenn nicht sogar die ganze Verständigung – außerhalb der Synapsen statt. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass es keine Synapsen gibt, die der althergebrachten Lehrmeinung über die Informationsübermittlung entsprechen. Doch offenbar gibt es mehrere Möglichkeiten für Zellen, miteinander zu kommunizieren – und eine davon führt eben an der Synapse vorbei.

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