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Marshubschrauber Ingenuity: Fliegen statt Fahren auf anderen Planeten

Auf Planeten rumzufahren, ist gut, die fremden Welten aus der Lüfte zu erkunden noch besser. NASAs Ingenuity ist der Beweis. Nächster möglicher Halt für Drohnen und Hubschrauber: Titan oder Venus.
Künstlerische Darstellung des Mars-Helikopters Ingenuity

Eine Vision: Eine kleine Drohne von der Größe eines Koffers schwebt in eine dunkle Marsspalte hinab – vielleicht eine Lavahöhle, die vor Milliarden von Jahren durch vulkanische Aktivitäten auf dem Roten Planeten entstanden ist. Die Drohne leuchtet ihre Umgebung aus und nimmt Bilder auf von Ansichten, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat, während ihre Instrumente nach Zeichen vergangener oder gegenwärtiger außerirdischer Lebenszeichen suchen. Nach Abschluss der Erkundung fliegt die Drohne zurück zu einer Landezone auf der Oberfläche, um die wertvollen Daten zur Erde zu senden. Nachdem sie ihre Batterien dank des Sonnenlichts auf dem Mars aufgeladen hat, setzt sie ihre Erkundung des für andere Maschinen unzugänglichen Terrains fort.

Das hat wenig mit Sciencefiction zu tun – im Gegenteil: Dank des durchschlagenden Erfolgs von Ingenuity – dem Rotorflugzeug der NASA, das auch als Hubschrauber oder Drohne bezeichnet wird – könnte eine solche Mission schon bald Realität werden. Die Technologie-Demonstration dazu fand in den vergangenen Wochen auf dem Mars statt. Die kleine, nur 1,8 Kilogramm schwere Maschine wurde vom NASA-Rover Perseverance auf den Planeten gebracht. Was folgte, war der erste Versuch eines kontrollierten Flugs auf einer anderen Welt – mehr als ein Jahrhundert, nachdem die Gebrüder Wright dieses Kunststück auf der Erde vollbracht hatten. »Wir können jetzt sagen, dass Menschen ein Rover-Raumschiff auf einem anderen Planeten geflogen haben«, sagte MiMi Aung, Projektleiterin von Ingenuity am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA, in einer Ansprache an ihr Team von der Missionskontrolle nach dem erfolgreichen Erstflug am 19. April. »Wir haben jetzt gemeinsam unseren Wright-Brüder-Moment.«

»Wir können jetzt sagen, dass Menschen ein Rover-Raumschiff auf einem anderen Planeten geflogen haben«
MiMi Aung, Projektleiterin von Ingenuity

Der Erfolg von Ingenuity lässt Raumfahrtforscher die Rolle überdenken, die Luftfahrzeuge bei der Erforschung des Sonnensystems spielen könnten. Nur wenige Welten besitzen die notwendigen Voraussetzungen für einen motorisierten aerodynamischen Flug – nämlich eine Atmosphäre und eine felsige Oberfläche wie die des Mars oder der Erde – aber es gibt zwei weitere Faktoren, die erwähnenswert sind. »Die allgemeine Technik des Luftflugs funktioniert auch an Orten wie [dem Saturnmond] Titan und der Venus«, sagte Bob Balaram, Chefingenieur des Ingenuity-Teams, in einem Pressebriefing nach dem ersten Flug.

Die extrem hohen Temperaturen und der hohe Luftdruck auf der Venus stellen einige einzigartige Herausforderungen dar. »In der Nähe der Oberfläche ähnelt es eher dem Schwimmen«, sagt Paul Byrne, ein Planetenforscher an der North Carolina State University. Dennoch ist der Flug dorthin nicht unmöglich, was die Vega-Ballons der Sowjetunion 1985 bewiesen. Da bereits ein Drehflügler namens Dragonfly entwickelt wird, der im nächsten Jahrzehnt Titan besuchen soll, und die Arbeit an einem konzeptionellen Nachfolger von Ingenuity fortgesetzt wird, sieht die Zukunft für die Erkundung fremder Welten aus der Luft rosig aus. »Dies könnte der Beginn einer neuen Ära sein«, sagt Byrne.

Rosige Zukunft für die Erkundung fremder Welten

Der erste Flug von Ingenuity von einem Landstreifen im Jezero-Krater auf dem Mars, der jetzt »Wright Brothers Field« genannt wird, war bescheiden, aber beeindruckend: Die Atmosphäre des Planeten ist unglaublich dünn, nur ein Prozent der der Erde, so dass es äußerst schwierig ist, Auftrieb zu erzeugen. »Es ist vergleichbar mit einer Höhe von etwa 100 000 Fuß über dem Boden der Erde«, sagt Ben Pipenberg, ein Ingenieur beim Verteidigungsunternehmen AeroVironment, der am Bau von Ingenuity beteiligt war. Während Perseverance aus sicherer Entfernung zusah, drehte der Mars-Helikopter Ingenuity seine Rotoren mit 2500 Umdrehungen pro Minute, um auf eine Höhe von drei Metern aufzusteigen, wo er 30 Sekunden lang schwebte und eine 96-Grad-Drehung vollführte. Dann sank er wieder auf den Boden und landete auf seinen vier Beinen, mit einer Gesamtflugzeit von 39,1 Sekunden.

Von da an wurden die Dinge komplexer. Der zweite Flug dauerte 51,9 Sekunden und erreichte eine Höhe von fünf Metern. Und er beinhaltete eine seitliche Bewegung von etwa zwei Metern – etwas, was in der engen Testkammer auf der Erde nicht möglich war, in der Ingenuity erstmals unter simulierten Marsbedingungen flog. Bei Flug drei legte Ingenuity die halbe Länge eines Fußballfelds zurück, etwa 50 Meter, und erreichte dabei eine Spitzengeschwindigkeit von etwas mehr als zwei Metern pro Sekunde. Der vierte Flug am 30. April ging noch einmal an die Grenzen: Ingenuity blieb fast zwei Minuten in der Luft und erreichte eine beeindruckende Geschwindigkeit von 3,5 Metern pro Sekunde, während er eine potenzielle zukünftige Landezone auskundschaftete und dabei eine Rundreise von mehr als 260 Meter zurücklegte. Der fünfte Flug von Ingenuity – der am 7. Mai abgeschlossen wurde und ursprünglich als letzter geplant war – führte ihn auf eine einfache Reise zur neuen Landezone, um dort auf die Ankunft von Perseverance, seinem Mutterschiff, zu warten.

Kundschafter für den Rover

Jetzt tritt diese äußerst erfolgreiche Technologie-Demonstrationsdrohne in eine neue Phase ihrer Mission ein – eine zweite, einmonatige Reihe von anspruchsvolleren Tests. Diese Tests sollen zeigen, wie luftgestützte Drohnen »eine aktive Rolle in einer zukünftigen Rover-Wissenschaftsmission spielen könnten«, sagt Dave Lavery, Programm-Manager für Ingenuity im NASA-Hauptquartier in Washington. Ingenuity wird zwar die wissenschaftlichen Ziele von Perseverance – nämlich die Suche nach Anzeichen für früheres Leben auf dem Mars – nicht direkt unterstützen können. Aber der Mars-Hubschrauber kann helfen, die potenzielle Route des Rovers auszukundschaften, während das Team den optimalen Weg durch den Jezero-Krater plant. Und er könnte nahe gelegene Orte fotografieren, die nicht auf dem geplanten Weg der Perseverance liegen. Es besteht sogar eine kleine Chance, dass Ingenuity auch die spätere Mission des Rovers unterstützen könnte – falls das Raumschiff überlebt. »Wir könnten uns überlegen, ob wir über den Rand des Kraters schauen wollen«, sagt Lavery.

»Ich glaube, dass wir in der Zukunft einige fliegende Fahrzeuge sehen werden«
Michael Meyer, leitender Wissenschaftler des Mars Exploration Program der NASA

Es wurde viel darüber gesprochen, wie diese Fahrzeuge eines Tages menschliche Missionen unterstützen könnten, indem sie als Aufklärungsdrohnen für Menschen fungieren, um interessante Regionen in der Nähe eines Landeplatzes auszukundschaften oder Werkzeuge zwischen verschiedenen Orten zu transportieren. Diese Zukunft rückt jetzt näher: Wir stehen vor spannender robotischer Wissenschaft. Der erste Schritt in diese Richtung war der Sojourner Rover im Jahr 1997, selbst ein Prototyp der Erkundung auf Rädern und Teil der Pathfinder-Mission der NASA. Er ebnete den Weg für seine Nachfolger Spirit, Opportunity, Curiosity und jetzt Perseverance. »Ich glaube, dass wir in der Zukunft einige fliegende Fahrzeuge sehen werden«, sagt Michael Meyer, leitender Wissenschaftler des Mars Exploration Program der NASA im Hauptquartier der Agentur. »Es wird ein Teil unseres Portfolios an Methoden sein, die wir für die Erkundung nutzen. Es gibt Dinge, die man mit einem Hubschrauber machen kann, die man mit anderen Plattformen nicht machen kann.«

Beispiele dafür sind die Erkundung enger Lavaröhren oder die Annäherung an Kraterwände, die für einen Rover zu hoch und zu steil sind, um sie zu erklimmen. Hier könnte ein Hubschrauber Bilder aufnehmen und auch einige Analysen aus der Nähe durchführen. Ein weiteres Beispiel wäre die Untersuchung wiederkehrender Hanglinien, dunkler Ströme auf dem Mars, die mit Wasser in Verbindung gebracht werden. Bezeichnenderweise bringt Besuch von der Erde genau hier große Probleme mit sich: Wasser könnte mit Bakterien kontaminiert werden, die von der Erde eingeschleppt wurden –, und das verbietet im Grunde genommen, dass irgendjemand oder irgendetwas dort einen Fuß (oder ein Rad) setzt, um nach Anzeichen für einheimisches Leben auf dem Mars zu suchen. Eine schwebende Drohne kann dieses Problem lösen, ohne die Oberfläche zu berühren, und damit einen neuen Weg der Erkundung eröffnen. »Ein Drehflügler würde uns die Möglichkeit geben, etwas aus der Nähe zu betrachten, das wir sonst als nicht geeignet für einen Rover erachten würden«, sagt Byrne, »entweder aus Gründen des Planetenschutzes oder weil es zu gefährlich ist.«

Mars-Hubschrauber eröffnen beeindruckende Möglichkeiten

Und es gibt bereits Pläne, solche Konzepte auszubauen: Die NASA arbeitet an einem weiteren Luftfahrzeug jenseits von Ingenuity. Dieser sechsblättrige Hexacopter, bekannt als Mars Science Helicopter, würde fast 30 Kilogramm wiegen. Er wäre mit mehreren Kilogramm an Instrumenten ausgestattet, um verschiedene Regionen der Marsoberfläche zu analysieren und hätte die Fähigkeit, minutenlang über mehrere Kilometer am Stück zu fliegen. »Wir versuchen, von Ingenuity zu lernen und uns zu fragen: ›Was könnten wir erreichen, wenn wir es weitertreiben?‹«, sagt Theodore Tzanetos vom JPL, der zum Konzeptteam des Mars Science Helicopter gehört. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben würden, wären enorm, da große Teile der Marsoberfläche plötzlich in Reichweite gerieten. Der aktuelle Entfernungsrekord auf dem Mars wird vom NASA-Rover Opportunity gehalten, der in etwas mehr als elf Jahren mehr als 42 Kilometer zurückgelegt hat. Ein Hubschrauber könnte das gleiche Kunststück in wenigen Wochen vollbringen.

Andere Ideen sehen den Einsatz von Drehflüglern vor, um das frei liegende Wassereis in für Rover unzugänglichen Regionen der Marsoberfläche zu untersuchen. Drohnen könnten in Marstäler wie das zwei Kilometer tiefe Mawrth Vallis eintauchen, um nach Hinweisen auf Tone zu suchen, die mit der Astrobiologie in Verbindung stehen, oder vielleicht Instrumente einsetzen, um die unteren Bereiche der Marsatmosphäre zu untersuchen, sagt Shannah Withrow-Maser, Leiterin der Fahrzeugsysteme des Mars Science Helicopters im Ames Research Center der NASA. Und all dies könnte entweder zusammen mit einer größeren Rover-Mission oder als kostengünstigere und viel leichtere Einzelmissionen durchgeführt werden, was eine umfassendere Erkundung einer Vielzahl von Marsgebieten ermöglichen würde. »Ich persönlich fände das wunderbar«, sagt Withrow-Maser.

Anderswo im Sonnensystem sind die Flugmöglichkeiten noch begrenzter. Man könnte sich einen Drehflügler in der Atmosphäre eines der Gasriesen wie Jupiter oder Saturn vorstellen. Das wäre zwar theoretisch möglich, auf dem Planeten zu landen, ist allerdings anspruchsvoll: »Das Problem ist die Verlangsamung und die Menge an Energie, die dafür nötig wäre«, sagt Byrne. Aber Titan, der faszinierende Saturnmond mit einer unglaublich dicken Atmosphäre und Seen von Kohlenwasserstoffen auf seiner Oberfläche, ist sehr verlockend. Im Jahr 2019 hat die NASA eine Mission angekündigt, die versuchen soll, das Drehflugzeug Dragonfly auf dem Mond einzusetzen. Dragonfly soll bereits 2026 starten und 2034 ankommen – und das Team hat die Erfolge von Ingenuity sehr genau beobachtet.

Ein Mammut von Raumflugzeug

»Wir haben das mit großem Interesse verfolgt«, sagt Elizabeth Turtle, Leiterin der Dragonfly-Mission am Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory. »Wir sind sehr gespannt darauf, welche Erkenntnisse wir für Dragonfly mitnehmen können.« Wie Ingenuity wird Dragonfly autonom fliegen und daher ähnliche Bildverarbeitungsfunktionen an Bord nutzen, um zu entscheiden, wo auf der Titanoberfläche gelandet werden soll. Ingenuity kartiert das Gelände, indem er 30 Bilder des Bodens pro Sekunde aufnimmt. Aber Dragonfly ist im Vergleich zu Ingenuity ein Mammut, das fast eine halbe Tonne wiegt und mit Plutonium betrieben wird. Und es ist eine eigenständige Mission und keine Mitfahrgelegenheit wie Ingenuity. »Es ist von der Größenordnung her wie Perseverance, nur dass wir fliegen, statt über die Oberfläche zu fahren«, sagt Turtle.

»Ein Mensch könnte sich Flügel anlegen und über die Titanoberfläche schweben«
Elizabeth Turtle, Leiterin der Dragonfly-Mission

Obwohl Titan eine viel weiter entfernte fremde Welt ist als der Mars, ist das Fliegen dort relativ einfach. Die Schwerkraft auf Titan beträgt nur 14 Prozent der Schwerkraft auf der Erde und viel weniger als auf dem Mars, während die viel dickere Atmosphäre es viel einfacher macht, Auftrieb zu erzeugen. »Ein Mensch könnte sich Flügel anlegen und über die Titanoberfläche schweben«, sagt Turtle.

Die Winde auf Titan sind auch viel langsamer – kaum mehr als ein Kilometer pro Stunde im Vergleich zu Dutzenden von Kilometern pro Stunde auf dem Mars. Und während die Rotorblätter von Ingenuity 2500 Umdrehungen pro Minute benötigen, um den nur 1,8 Kilogramm schweren Körper von der Oberfläche zu heben, kann Dragonfly eine halbe Tonne Gewicht mit nur 800 Umdrehungen pro Minute in die Luft befördern. Die größte Herausforderung auf Titan ist seine Temperatur, die im Durchschnitt nur etwa -180 Grad Celsius beträgt – daher die Notwendigkeit einer langlebigen, Wärme erzeugenden Plutonium-Energiequelle. »Es ist sicherlich kalt«, sagt Turtle. »Es ist eine nicht triviale Herausforderung.«

Mit Dragonfly am Horizont und vielleicht zukünftigen Missionen wie dem Mars Science Helicopter in Arbeit, gibt es auch jenseits von Ingenuity viel, worauf man gespannt sein kann. Dieser kleine Hubschrauber hat zum ersten Mal bewiesen, dass der Flug zu fremden Welten möglich ist – sowohl aus physikalischer als auch aus logistischer Sicht. Jetzt steht eine aufregende neue Ära der Entdeckungen bevor. Und obwohl nur eine Hand voll Welten die richtigen Bedingungen für diese Art der Erkundung bieten, sind der Wissenschaft, die mit Fluggeräten in diesen fremden Himmeln durchgeführt werden könnte, kaum Grenzen gesetzt.

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