Inklusion in der Raumfahrt: »Wir wollen allen Menschen den Zugang zum Weltraum ermöglichen«

Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Frau Benthaus, Sie fliegen ins All! Seit wann haben Sie diesen Traum, Astronautin zu werden?
Schon sehr lange. Aber ich wusste immer, dass dieses Ziel äußerst schwer zu erreichen ist – selbst für einen gesunden Menschen. 2018 hatte ich dann einen Unfall und bin seitdem querschnittsgelähmt. Da war ich überzeugt, dass das Thema nun endgültig vom Tisch ist.
Ich hatte auch immer die Vorstellung, dass man als Astronaut superfit sein muss.
Viele Menschen haben dieses veraltete Bild von Astronauten aus den 1960er Jahren, die damals Kampfpiloten waren. Heute werden aber häufig Wissenschaftler oder Mediziner ins All geschickt – aber auch sie sind meist körperlich fit und vor allem gesund.
Es gibt zwar noch keinen offiziellen Starttermin, aber trotzdem steht fest, dass Sie nun als erste Person mit Behinderung in den Weltraum fliegen werden. Wie kam es dazu?
Weil mich Raumfahrt an sich schon immer begeistert hat, habe ich Luft- und Raumfahrttechnik studiert. Nach meinem Unfall hat auch das Thema Inklusion eine große Rolle in meinem Leben eingenommen. Und so habe ich mich immer mehr für Inklusion in der Raumfahrt eingesetzt, vor allem auf Social Media.
2022 hatte ich die Möglichkeit, an einem Parabelflug teilzunehmen. Da fliegt man mit dem Flugzeug parabelförmige Bahnen in ungefähr zehn Kilometer Höhe und kann dabei Schwerelosigkeit erleben. Und dann wurde mir allmählich klar, dass mein Traum möglicherweise nicht ganz vom Tisch ist. Ich hoffte, vielleicht am Ende meines Lebens doch noch ins All zu können. Dass das jetzt so schnell passieren würde, hätte ich nicht gedacht.
Wie kam die Mission mit Blue Origin zustande?
Das verdanke ich Hans Königsmann, einem deutschen Ingenieur, der SpaceX mitaufgebaut hat. Ich kenne ihn schon seit ein paar Jahren und habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, dass ein Mensch mit Behinderung ins All fliegt. In unserem Gespräch waren wir uns beide einig, dass orbitale Flüge wie zur ISS für Menschen mit Querschnittslähmung vermutlich irgendwann in der Zukunft möglich wären, ein erster Schritt aber erst mal ein suborbitaler Flug ist.
Nach unserem Gespräch hat er sich mit der Idee bei Blue Origin gemeldet – ich wusste zu dem Zeitpunkt nichts davon. Und so kam das Projekt dann nach und nach zustande. Ich bin anschließend zweimal nach Texas zu der Raumfahrtfirma gereist, wo wir gemeinsam die nötigen Konzepte ausgearbeitet und trainiert haben.
Und jetzt werden Sie an einem Suborbitalflug teilnehmen?
Ja, wir werden mehr als 100 Kilometer in die Höhe steigen, also über die Karman-Linie, die offizielle Grenze zum Weltraum. Der Flug dauert rund 15 Minuten. Das ist zwar recht kurz, aber tatsächlich ist das ein riesengroßer Schritt.
»In diesem Fall bin ich das Experiment«
Häufig werden auf solchen Flügen wissenschaftliche Experimente durchgeführt. Wie wird das bei Ihnen sein?
In diesem Fall bin ich das Experiment. In der Raumfahrt gibt es für alles festgelegte Prozeduren, was man in welchem Fall macht – vor allem auch für Notfälle. Für mich funktionieren die bestehenden Systeme leider nicht. Wir mussten deshalb ein bisschen umdenken.
Muss auch die Kapsel an Ihre Bedürfnisse angepasst werden?
Nein, tatsächlich nicht. Wir haben uns überlegt, wie ich im Normalfall selbstständig in die Kapsel hinein- und wieder hinauskommen kann. Dafür fiel die Wahl letztendlich auf ein langes Rutschbrett, auf das ich mich vor der Luke der Kapsel vom Rollstuhl aus umsetzen kann, um über das Brett auf meinen Sitz zu rutschen. Das Brett wird dann vor dem Start wieder entfernt. Während des Flugs sitze ich. Sobald die Microgravity-Phase beginnt, löse ich meinen Fünf-Punkt-Gurt und kann durch die Kapsel schweben. Ich habe schon mal Schwerelosigkeit bei einem Parabelflug erlebt – es ist ein unglaublich tolles Gefühl, mich wieder frei ohne den Rollstuhl bewegen zu können.
Eines der Dinge, die wir nicht auf der Erde testen konnten, ist, wie ich am Ende der Schwerelosigkeit wieder in meinen Sitz zurückkomme. Vermutlich klappt das problemlos – aber da ich keine Kontrolle über meine Beine habe, ist das noch mal eine besondere Herausforderung. Daher planen wir für mich etwas mehr Zeit ein als für die anderen Teammitglieder. Nachdem wir gelandet sind, verlasse ich die Kapsel wieder mithilfe des Rutschbretts.
Wir mussten uns außerdem überlegen, wie wir mit Notfällen umgehen: Besonders kritisch wäre ein Notfall, wenn wir schon in der Kapsel sitzen und der Booster voll betankt ist. Auch für solche Situationen sind wir bestens vorbereitet und ich habe Hans, der mich unterstützt.
Konnten Sie diese Abläufe üben?
Wir haben Bewegungsabläufe geübt, damit man diese im Ernstfall abrufen kann, ohne groß zu überlegen. Wir haben den Ein- und Ausstieg im Normalfall sowie im Notfall viel trainiert und obendrein den Flug in einem Simulator nachgespielt.
»Man muss für einen Flug ins All nicht körperlich extrem fit sein«
Bereiten Sie sich physisch auf den Flug vor?
Nein. Wichtig ist ein gesundes Herz-Kreislauf-System. Abgesehen davon ist es ja gerade unser Ziel zu zeigen, dass man auch mit einer Behinderung an so einem Flug teilnehmen kann. Man muss dafür nicht körperlich extrem fit sein.
Und wie sähe das bei einem Orbitalflug aus?
Dabei stellen sich natürlich ganz andere Fragen. Wenn man wie auf der ISS ein halbes Jahr bleibt, dann bauen sich die Muskeln und die Knochendichte ab. Astronauten auf Langzeitmissionen müssen deshalb rund zwei Stunden pro Tag Sport machen. Ich bräuchte daher auf mich angepasste Sportgeräte.
Außerdem gibt es beispielsweise in Raumstationen Schienen, an denen die Astronauten ihre Füße einhaken können, wenn sie an etwas arbeiten, damit sie nicht wegschweben. Auch das würde mit mir nicht funktionieren. Auf meinem Parabelflug war dieses Problem eines der Experimente, die ich durchgeführt habe.
Und wahrscheinlich müsste man das Bad anpassen, damit ich die Toilette und die Dusche benutzen kann. Es gibt sehr viele Dinge, über die man sich Gedanken machen muss. Je längerfristiger und aufwändiger die Missionen, desto mehr Anpassungen braucht es. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass all diese Anpassungen in Zukunft möglich gemacht werden könnten.
Haben die Raumfahrtagenturen Inklusionsprogramme oder größere Projekte, bei denen sie solchen Fragen nachgehen?
Ich habe bisher noch nicht von solchen Projekten bei der NASA, der japanischen Jaxa oder der russischen Roskosmos gehört. Aber die ESA unternimmt gerade eine Machbarkeitsstudie: Sie will eine Person mit einem amputierten Bein auf die ISS schicken. Ich verfolge diese Studie mit großem Interesse.
Und dann gibt es ja den kommerziellen Sektor, der sich wahnsinnig schnell weiterentwickelt. Da gibt es meiner Meinung nach viel Potenzial. SpaceX arbeitet zum Beispiel an einem Starship, das irgendwann 100 Personen in den Weltraum transportieren soll. Und das sind dann natürlich keine 100 Leute, die alle total gesund sind und die Astronautentests der großen Raumfahrtagenturen bestehen würden.
Insgesamt hat sich aber in den letzten Jahren viel in dem Bereich geändert. Mittlerweile liegt der Fokus darauf, wie es gelingen kann, dass alle Menschen mitfliegen können. Wir wollen jedem Menschen den Zugang zum Weltraum ermöglichen. Ich mache da jetzt den Start.
Könnten Menschen mit Behinderung vielleicht sogar einen Vorteil in gewissen Situationen bei der Raumfahrt haben?
Menschen mit Behinderung bringen meiner Meinung nach einen echten Mehrwert in eine Crew. Wenn man sich ein bisschen mit Astronauten unterhält, erzählen sie oft, wie wichtig es ist, schnell unvorhersehbare Probleme zu lösen. Menschen mit Behinderung müssen dies jeden Tag im Alltag tun, da unsere Erde leider in den meisten Fällen noch nicht barrierefrei ist.
Außerdem haben wir aufgrund unserer Situation eine besondere Resilienz entwickelt. Auch das ist eine Eigenschaft, die für Astronauten durchaus wichtig ist. Wenn man an längere Missionen denkt, zum Beispiel zum Mars, kann man von Menschen mit Behinderung vieles lernen: Es könnte sein, dass sich eine Person an Bord verletzt und vielleicht eine Behinderung erlangt. Dann muss man wissen, wie man damit umgeht, da man nicht eben schnell zur Erde zurückfliegen kann.
»Ich freue mich total darauf, die Erde von oben zu sehen«
Haben Sie Rückmeldungen zu der Ankündigung bekommen, dass Sie ins All fliegen werden?
Ich hatte anfangs ein bisschen Angst, weil ich nicht wusste, wie die Leute reagieren werden. Ich befürchtete, dass sie es überflüssig finden, Menschen mit Behinderung in den Weltraum zu schicken.
Aber das Feedback war zum Glück sehr positiv. Sowohl von Menschen aus der Raumfahrtindustrie als auch von Leuten, die mit Raumfahrt gar nichts zu tun haben und selbst eine Behinderung haben: Einige sagten mir, meine Geschichte motiviere sie, an ihre Ziele zu glauben und nicht aufzugeben.
Sind Sie schon aufgeregt?
Ich bin nicht aufgeregt in dem Sinne, dass ich Angst habe. Die Raumfahrt ist sehr sicher, da wird eher ein Launch abgesagt, als dass man mit Risiko fliegt. Aber natürlich bin ich sehr aufgeregt, zu wissen, wie sich so ein Raketenstart anfühlt. Und ich freue mich total darauf, die Erde von oben zu sehen!
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