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Die Forschungsministerin im Interview: »Wir werden jetzt Tempo machen«

Die Wissenschaft in Deutschland erhält bis 2030 deutlich mehr Geld als erwartet. Ministerin Anja Karliczek erklärt die Einzelheiten des Deals - und antwortet ihren Kritikern.
Bundesforschungsministerin Karliczek

Das hatte schon etwas Paradoxes: Bevor sich die Wissenschaftsminister von Bund und Ländern vergangene Woche trafen, um über die Zukunft der Wissenschaftsfinanzierung zu beschließen, kursierten Schreckensszenarien. Von heillos verfahrenen Verhandlungen war die Rede, von einem drohenden Sparpaket und von Finanzministern, deren einziges Ziel sei, die Ausgaben klein zu halten.

Doch dann traten Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Bremens Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) am Freitagmittag vor die Presse und verkündeten ein Paket, das von seinem Volumen und von seiner Laufzeit her alle Vorgängerinitiativen in den Schatten stellt: 160 Milliarden Euro für die Wissenschaft bis 2030. Wie bisher drei Prozent mehr für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, aber diesmal zugesagt nicht für fünf, sondern gleich für zehn Jahre.

Auch die Hochschulen bekommen ab 2021 jedes Jahr Bundesgeld, und zwar nicht wie bislang befristet, sondern auf Dauer. Zwar erhalten sie nicht, was sie gefordert hatten, künftig wie die Außeruniversitären ein jährliches Plus, aber die anfangs 1,88 Milliarden Euro sollen nach und nach erhöht werden. Und dann soll auch noch eine eigenständige Förderorganisation entstehen, um neue Ideen und Innovationen in der Hochschullehre zu fördern. Ebenfalls unbefristet, ausgestattet mit 150 Millionen Euro für die Projektfinanzierung.

Trotzdem gab es Kritik. Das sei nicht das erwartete Aufbruchsignal, befand Bernhard Kempen, Präsident es Deutschen Hochschulverbandes. Die Schere zwischen Hochschulen und Außeruniversitären gehe weiter auseinander. »Die Universitäten in Deutschland bleiben trotz des Hochschulpakts in erster Linie chronisch unterfinanziert. Darunter leidet die Lehre am meisten.« Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bemängelte, der neue Zukunftsvertrag zur Hochschulfinanzierung bleibe bei bloßen Appellen für mehr Dauerstellen stehen.

Zusammen mit anderen Verbänden hatte die GEW im Vorfeld die Politik mit der Protestinitiative »Frist ist Frust« unter Druck gesetzt. »Unverbindliche Aufrufe allein werden keine Dauerstellen schaffen«, sagte der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller nach Verkündung der Pakt-Ergebnisse. Wenn sich das Befristungsunwesen fortsetze, sei dies »ein Schlag ins Gesicht der hoch qualifizierten und motivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler«. Die Politik müsse nachbessern.

Wie reagiert Anja Karliczek auf die Kritik? Bleiben die Hochschulen die Gelackmeierten? Was wird aus dem Versprechen, mehr Dauerstellen zu schaffen? Und vor allem: Wie erklärt die Bundesforschungsministerin den Überraschungserfolg in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz? Spektrum.de hat nachgefragt.

Spektrum.de: Frau Karliczek, das muss eine bemerkenswerte Sitzung gewesen sein in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz vergangene Woche. Donnerstagvormittag fürchtete mancher Wissenschaftsminister noch ein Scheitern der Verhandlungen, 24 Stunden später standen die Wissenschaftspakte, und alle hatten mehr gegeben, als sie eigentlich zu geben bereit gewesen waren. Können Sie uns erklären, was da passiert ist?

Karliczek: Natürlich sind Bund-Länder-Verhandlungen nie einfach. Aber ich war mir vor der entscheidenden Runde sicher, dass Bund und Länder wussten, was für die Zukunft Deutschlands auf dem Spiel steht. Meine Botschaft lautete: Wenn wir uns das Gelingen vornehmen, wenn wir zeigen wollen, dass Bund und Länder gemeinsam handlungsfähig sind, dann schaffen wir das auch.

Es war wichtig, zu Beginn der Gespräche noch einmal herauszuarbeiten, wer für was verantwortlich ist. Die Aufgaben von Bund und Ländern im Bereich Hochschulen und Forschung sind unterschiedlich. Und jeder muss sich auch auf seine Aufgabe konzentrieren. Ich denke, dass ich mit dieser Aussage verstanden wurde. Es herrschte von Anfang an eine erfreulich konstruktive Atmosphäre.

Ein bisschen Pep-Talk, und das war’s?

Natürlich habe ich engen Kontakt mit dem Bundesfinanzminister und seinem Haus gehalten – und das schon seit geraumer Zeit. Dabei habe ich auch die Auffassung vertreten, es sei kaum denkbar, dass nur die Länder sich bewegen müssen. Es war klar, dass auch wir als Bund auf die Länder zugehen müssen. Der Bund hat sich dann flexibel gezeigt.

Andere reklamieren den Erfolg natürlich auch für sich. Fest steht: Vor der Pakt-Einigung wurden Sie massiv für Ihre Amtsführung kritisiert, in den Medien, von der Opposition, aber auch in den eigenen Reihen. Glauben Sie, das hört jetzt auf?

Mein Ministerium leistet sehr gute Arbeit. Die Einigung über die drei Wissenschaftspakte ist natürlich ein zentraler Baustein für eine gute Zukunft der Hochschulen und der Forschung in Deutschland – und damit für alle Bürger, weil wir als Land so extrem von unserer Innovationsfähigkeit abhängen. Mein Ministerium und ich werden jetzt bei vielen anderen Themen Tempo machen.

Denken Sie an die Verabschiedung der nationalen Weiterbildungsstrategie und der Reform des Berufsbildungsgesetzes. Wir müssen den Nationalen Bildungsrat voranbringen. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung für die Grundschulen steht an. Wir sagen dem Krebs den Kampf an. Fördern die künstliche Intelligenz und Projekte, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Wir merken ja, wie unsere bislang so starke Wirtschaft zu schwächeln beginnt und die Menschheit, denken Sie an den Klimawandel, vor großen Herausforderungen steht. Da müssen wir Antworten geben und Bildung, Wissenschaft und Forschung stärken.

In die Begeisterung über die unerwarteten Dimensionen des Pakets mischten sich kritische Töne. Kein jährliches Plus für die Hochschulen und der Bund hat beim neuen Hochschulpakt auf der Zielgeraden auf einen eigenen Parameter verzichtet, der die »unbefristeten wissenschaftlich Beschäftigten« belohnt hätte. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert jetzt Nachbesserungen von den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, bevor die Pakte in Kraft treten: eine verbindliche Verpflichtung, »dass mit den Hochschulpaktmitteln in Zukunft ausschließlich unbefristete Beschäftigungsverhältnisse finanziert werden dürfen«. Ihre Antwort?

Zunächst möchte ich Aussagen über eine angebliche Benachteiligung der Hochschulen geraderücken im Vergleich zu dem jährlichen Drei-Prozent-Plus für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Hochschulen erhalten einen beträchtlichen Aufwuchs, und zwar gleich zweimal. Zum Ende des bisherigen Hochschulpakts zahlt der Bund 2020 die Summe von 1,73 Milliarden Euro an die Hochschulen. 2021 mit Beginn des Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken sind es 1,88 Milliarden Euro – also 150 Millionen mehr. Und 2024 steigern wir die Bundesfinanzierung auf 2,05 Milliarden Euro – wiederum also um weitere 170 Millionen Euro. Hinzu kommt, dass wir die DFG-Programmpauschalen in Höhe von 22 Prozent der Projektmittel jedes Jahr um drei Prozent steigern. All das bietet den Hochschulen die Planungssicherheit und damit sollten sie auch wesentlich mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse ausschreiben.

Aber wenn Sie so einen Wert auf die Dauerstellen legen, warum haben Sie sich dann überhaupt von den Ländern diesen Parameter abverhandeln lassen?

Die Frage impliziert, dass der Druck auf die Hochschulen nun geringer wäre. Das ist aber nicht der Fall. Das Ziel, mehr Dauerstellen für Daueraufgaben mit den Paktmitteln zu finanzieren, ist gleich zweimal im Zukunftsvertrag enthalten. Einmal gleich zu Anfang als grundsätzliches Ziel. Vor allem aber wird dieses Ziel Teil der Verpflichtungserklärungen sein, die wir mit jedem Land einzeln abstimmen werden. Jedes Land muss in diesen Verpflichtungserklärungen genau beschreiben, wie es das Ziel der Entfristung von Stellen umsetzen will und auch in welcher Größenordnung. Diese Verpflichtungserklärungen werden veröffentlicht werden und für jeden einsehbar sein. Diese Transparenz wird dazu führen, dass sich die Länder an die Ziele halten werden. Mehr dauerhafte Perspektiven für Nachwuchswissenschaftler zu schaffen, sollte doch übrigens auch im Interesse der Hochschulen selbst liegen.

Wenn die Länder ihre Selbstverpflichtung nicht erfüllen, sind aber keinerlei Sanktionen vorgesehen. Trotzdem glauben Sie, der neue Zukunftsvertrag bringt die Trendwende?

Davon bin ich überzeugt. Wir arbeiten bewusst nicht mit Strafen. Bitte denken Sie auch daran: Das Selbstorganisationsprivileg der Wissenschaft ist ebenfalls ein hohes Gut. Sanktionen passen dazu nicht. Manche mögen bei diesem Thema zu Kompromissen bereit sein. Das ist nicht mein Ansatz. Aber zu diesem Privileg gehört auch die Verantwortung, die vorgenommenen Ziele zu erreichen. Und dieser Verantwortung werden sich die Länder und ihre Hochschulen stellen müssen. Darum werden die Verpflichtungserklärungen öffentlich sein.

Und während die Hochschulen sich strecken sollen, können sich Helmholtz, Max Planck und Co. über die drei Prozent und recht bequeme Zielvereinbarungen freuen?

Die finanzielle Sicherheit ist da, ja. Aber wir haben vereinbart, dass wir nach fünf Jahren die forschungspolitischen Ziele, die wir mit dem neuen Pakt für Forschung und Innovation vereinbart haben, anpassen wollen. Dazu gehören auch die Zielvereinbarungen, die wir mit jeder einzelnen Wissenschaftsorganisationen für die kommenden Jahre abgeschlossen haben. Hinzu kommt der so genannte Strategieraum, den wir mit den Ländern weiter konkretisieren wollen.

Von diesem »Strategieraum«, dem einzig wirklich neuen Element im Pakt für Forschung und Innovation, weiß noch keiner so recht, was er sein soll. Was man weiß: Die Außeruniversitären haben ihre drei Prozent zugesagt bekommen, bevor die Verhandlungen zum Strategieraum abgeschlossen waren.

Sie können sicher sein, dass wir die Wissenschaftsorganisationen über den Strategieraum zur weiteren Vernetzung bewegen wollen, übrigens auch zur Vernetzung mit den Hochschulen. Dazu werden wir mit den Ländern intensiv beraten.

Während die Forschungsorganisationen jährlich mehr bekommen und der neue Hochschulpakt zumindest eine Stufenerhöhung, schrumpft die Neuauflage des bisherigen Qualitätspakts Lehre um ein Viertel, satte 50 Millionen Euro im Jahr. Was ist das für ein Signal, dass ausgerechnet die Innovation in der Lehre bluten muss?

Hier möchte ich mit einem Missverständnis aufräumen. Die Bund-Länder-Vereinbarung Innovation in der Hochschullehre ist keine Weiterführung des bisherigen Qualitätspakts Lehre. Wir haben den Zukunftsvertrag so formuliert, dass die Hochschulen Projekte, die sie mit dem nun auslaufenden Qualitätspakt angestoßen haben, mit Mitteln des Zukunftsvertrags weiterführen können. Durch die Vereinbarung Innnovation in der Hochschullehre schaffen wir dagegen eine völlig neue Organisation, die über eine Projektförderung die Innovationsfähigkeit in der Hochschullehre dauerhaft stärken wird. Das ist etwas, was wir bisher in unserer Wissenschaftslandschaft noch nicht hatten. Und eine Größenordnung von 150 Millionen für diese Aufgabe ist enorm viel. Mir war in den Verhandlungen wichtig: dass die neue Organisation so viel Geld erhält, wie sie braucht, um wirklich neue Anstöße in der Lehre zu fördern. Und das ist gelungen.

Am Donnerstag wird die neue Steuerschätzung erwartet. Die Finanzpolitiker bereiten die Öffentlichkeit bereits auf schlechte Nachrichten vor: Bis zu 100 Milliarden Euro weniger Mehreinnahmen sollen drohen. Formal sollen die Pakte jedoch erst im Juni von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten besiegelt werden. Könnte noch der eine oder die andere Ministerpräsidentin in Versuchung geraten, doch noch Kürzungen am Paket zu verlangen?

Ich glaube nicht, dass es dazu kommt. Dieses Land braucht gerade jetzt, wo sich die Konjunktur seit Langem etwas eintrübt, eine Stärkung seiner Innovationskraft. Die Einigung am vergangenen Freitag auf die Wissenschaftspakte zeigt, dass die Politik diese Prioritäten auch setzen will. Davon wird kein Ministerpräsident und keine Ministerpräsidentin abweichen wollen.

Frau Karliczek, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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